Wieder Grenz-GefechteArmenien vs. Aserbaidschan – Tribut in Blut
Von Philipp Dahm
13.9.2022
Tote und Verletzte bei Explosion in Armeniens Hauptstadt Eriwan
Bei einer Explosion auf einem Grossmarkt in der armenischen Hauptstadt Eriwan sind mindestens drei Menschen getötet und dutzende weitere verletzt worden. Die Explosion ereignete sich auf dem Grossmarkt von Surmalu, der sonntags in der Regel sehr g
15.08.2022
Ausgerechnet dann, wenn Russland und die Welt auf die Ukraine schauen, greift Aserbaidschan Moskaus Verbündeten Armenien an. Baku behauptet jedoch, man handele dabei bloss in Notwehr.
Von Philipp Dahm
13.09.2022, 16:17
Philipp Dahm
Es ist eine Todeszone. Im zweistelligen Bereich sterben seit 2010 Menschen an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan. Mal sind es mehr, wie 2016, als es knapp 350 Opfer gab. Mal geht die Zahl in die Tausende, wie 2020, als die beiden Länder vier Monate lang Krieg führten.
Und nun stapeln sich erneut die Leichen. 49 armenische Soldaten sind laut Ministerpräsident Nikol Paschinjan getötet worden, als die feindliche Armee im Süden des Lands angegriffen habe. Das aserbaidschanische Aussenministerium stellt die erneute blutige Eskalation jedoch ganz anders dar.
Demnach soll Armenien Stellungen in drei Bezirken angegriffen und zudem Minen gelegt haben. Es habe Verluste gegeben, doch deren Höhe wird nicht genau beziffert. Aus Baku heisst es nur: «Die gesamte Verantwortung für die Situation liegt bei der militärisch-politischen Führung Armeniens.»
Armenien und Aserbaidschan: Darum geht es in dem Konflikt
Armenien und Aserbaidschan: Darum geht es in dem Konflikt
13.09.2022
Dabei ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Zeitpunkt der Eskalation günstig für Aserbaidschan ist: Die Weltöffentlichkeit ist genauso eingenommen vom Krieg in der Ukraine wie Russland, der Schutzmacht Armeniens.
Türkei unterstellt Eriwan «Provokationen»
Moskau unterhält Stützpunkte in Armenien, die wegen des Kampfes gegen Kiew derzeit jedoch ausgedünnt sind. Der Kreml kann nach Rücksprache mit Eriwan dann auch nicht mehr tun, als zu versprechen, weiter mit Armenien in Kontakt zu bleiben. Ausserdem telefoniert Premier Paschinjan mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und US-Aussenminister Anthony Blinken, der sich «besorgt» über die neuerliche Krise zeigt.
Die Türkei stärkt hingegen ihrem Verbündeten Aserbaidschan den Rücken, das sich bloss gegen «Provokationen» Armeniens wehre. Der Iran, der neben der Türkei und Russland den grössten Einfluss im Kaukasus ausübt, reagiert neutral und ruft allgemein zur Deeskalation auf. Die Region könne keinen weiteren Krieg ertragen, sagte Raisi heute laut staatlicher Nachrichtenagentur Irna nach einem Telefonat mit Paschinjan.
Die aserbaidschanische Sicht der neuerlichen Eskalation schildert ein früherer Botschafter bei Al Jazeera.
Wie die armenische Journalistin Maria Titizian aus Erwian berichtet, hätten aserbaidschanische Truppen an sechs Stellen in zwei Regionen angegriffen – und das nicht im umstrittenen Nagorno-Karabach, sondern im armenischen Kernland. Dabei seien Drohnen und Artillerie zum Einsatz gekommen, sagt sie der Deutschen Welle.
Armenien ruft Militärbündnis zu Hilfe
Nach ihrer Darstellung habe Aserbaidschan die Einrichtung eines Korridors zu einer Exklave gefordert, der armenisches Land durchschneiden würde. Ein solcher Korridor sei in den Friedensverträgen, die 2020 unterschrieben wurden, aber nicht vorgesehen.
Premier Paschinjan ruft nun die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) um Hilfe. In diesem Militärbündnis arbeitet Armenien mit Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan zusammen.
Die armenische Sicht der Dinge legt Tigran Grigoryan bei CivilNet in Eriwan dar.
Dmitri Peskow kommentierte das Ersuchen Eriwans heute nicht, doch der Kreml-Sprecher versichert, Präsident Wladimir Putin unternehme «jede Anstrengung, um zu helfen, die Spannungen zu deeskalieren.» Peskow rief beide Seiten zur Zurückhaltung auf und äussert die Hoffnung, dass die von Russland ausgehandelte Waffenruhe vom Dienstagmorgen halten werde.
Doch wenn man Maria Titizian glaubt, hat Moskaus Wort kräftig an Gewicht verloren. Der Journalistin zufolge ist die Waffenruhe am Morgen nämlich gar nicht eingetreten. Es wäre also ein Wunder, wenn es bei jenen 49 toten armenischen Soldaten bleibt. Die blutige Grenze wird wohl weiter ihren Tribut fordern.
Grenzverschiebung wegen des Friedensvertrags von 2020: Armenier müssen ihre Häuser räumen.