Nato-Anwärter reagieren gelassenRussland provoziert Finnland und Schweden auf mehreren Ebenen
Von Philipp Dahm
5.5.2022
Moskau warnt vor «Konsequenzen» bei Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens
Russland hat Finnland und Schweden erneut vor den «Konsequenzen» eines möglichen Nato-Beitritts gewarnt. Bislang arbeiten die beiden Länder zwar mit dem Verteidigungsbündnis eng zusammen, sind aber keine Mitglieder.
15.04.2022
Die beiden Länder wollen der Nato beitreten, was Moskau erzürnt: Nun verbreiten russische Medien die Mär, Finnland fahre Panzer an der Grenze auf. Nationale Grössen Schwedens werden in die Nähe von Nazis gerückt.
Von Philipp Dahm
05.05.2022, 15:43
05.05.2022, 15:49
Philipp Dahm
Wenn ein Flugzeug schnell und der Raum klein ist, kann es schon mal passieren, dass ein Militär-Jet das Hoheitsgebiet eines Staates verletzt. So lässt sich vielleicht das Eindringen einer zivilen Iljuschin Il-96 am 8. April noch erklären: Immerhin war das Grossraumflugzeug nur kurze drei Minuten in Finnlands Luftraum.
Doch am 30. April kann man wohl kaum von einem Versehen ausgehen, als ein Luftbild-Aufklärer vom Typ An-30, der «nur» 450 km/h schnell ist, erst den dänischen Luftraum über der Ostsee-Insel Bornholm verletzt und dann auch noch weiter in schwedisches Gebiet fliegt. Militär und Politik in Stockholm verurteilen den Vorfall als «vollkommen inakzeptabel».
Und nun erhöht Russland erneut den Druck auf Schweden und Finnland, nachdem beide Länder ganz offenbar eine Mitgliedschaft in der Nato anstreben: Am 4. Mai verletzt erneut ein russisches Fluggerät den finnischen Luftraum – und diesmal ist es ein militärisches.
Angekündigtes Manöver als Pseudo-Provokation
«Der Typ des Fluggeräts ist ein Mi-17 und die Tiefe der verdächtigten Verletzung beträgt vier bis fünf Kilometer», bestätigt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Helsinki. Was die Verantwortlichen dort weiterhin beunruhigt, sind Moskaus Angriffe an der Propaganda-Front: Wie die Zeitung «Ilta-Sanomat» berichtet, streuen russische Websites Falschmeldungen über einen Aufmarsch an der Grenze.
Die betreffenden Websites hätten Verbindungen zu Troll-Fabriken und dem Inlandsgeheimdienst FSB: «In den Artikeln wird behauptet, Finnland habe bereits Dutzende schwerer gepanzerter Fahrzeuge an seine Ostgrenze verlegt», schreibt «Ilta-Sanomat». Anbieter wie etwa «News-Front» zeigen dazu ein Video, das vermeintlich zeigt, wie per Zug Schützenpanzer sowie Leopard 2 verlegt werden.
Eine andere Website mit aggressiven Inhalten namens «Novorossiya» geht noch weiter und zitiert einen namenlosen «Experten», der meint, der Fall würde eine Eskalation bedeuten, auf die eine «Reaktion» erfolgen könnte. Dabei ist die Truppen-Verlegung am 14. April angekündigt worden, weil sie Teil des geplanten Manövers Arrow 22 mit 3400 Soldaten sei. Der Zug mit dem Material sei versehentlich nach Tampere gefahren, weshalb dort das Video entstehen konnte.
«Wir sind gegen Nazis, und sie sind es nicht»
Helsinki ist sich der russischen Propaganda-Meldungen bewusst, will «Ilta-Sanomat» erfahren haben. Kommentieren wollen Offizielle das Ganze jedoch nicht, um nicht weiter Öl ins Feuer zu giessen. Ähnlich beunruhigende Nachrichten muss Stockholm zur Kenntnis nehmen: In Russland werden Poster aufgehängt, die schwedische Grössen als Nazi-Sympathisanten darstellen, berichtet die «Times of Israel».
Der Slogan lautet demnach «Wir sind gegen Nazis, und sie sind es nicht». Das «Wir» ist mit den russischen Farben bemalt, das «sie» mit den schwedischen. Dazu werden Bilder von Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren, Regisseur Ingmar Bergman, Ikea-Gründer Ingvar Kamprad oder König Gustav V. kombiniert. Zitate der Protagonisten stehen dabei, die aber aus dem Kontext gerissen sind und einen falschen Eindruck vermitteln.
Latest plot twist from Moscow "We are against nazism, but they are not" with signs of Astrid Lindgren, Ingemar Bergman, Ingvar Kamprad (IKEA). pic.twitter.com/Sr1z5iIRQx
Verantwortlich für die Propaganda ist eine Gruppe, die sich ausgerechnet «Unser Sieg» nennt. Doch auch in Schweden reagieren die Behörden besonnen auf die Provokation. «Wir haben nicht vor, uns auf eine öffentliche Polemik der russischen Organisation ‹Unser Sieg› einzulassen, die angeblich hinter diesen Postern steckt», sagt ein Sprecher des Aussenministeriums der britischen «Daily Mail». Premier Magdalena Andersson nennt die Aktion bloss «vollkommen inakzeptabel».
Beitritt könnte innert zwei Wochen beschlossen werden
Es bleibt fraglich, was der Kreml mit diesem Gebaren erreichen will: Dass Finnland und Schweden nun deswegen von einem Nato-Beitritt absehen, der bereits Mitte Mai verkündet werden könnte, scheint ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Vorfälle dürften den Drang in das Verteidigungsbündnis nur verstärken.
Zumal Norwegens Premier gerade Medienberichten zufolge hat durchblicken lassen, dass solche Anträge von der Nato in nur zwei Wochen durchgewinkt werden könnten. Und selbst wenn die beiden noch neutralen Staaten doch nicht beitreten würden, stünden sie nicht allein da: London schliesst aus, dass Grossbritannien tatenlos zusehen würde, wenn Stockholm oder Helsinki angegriffen würden.
So eine Situation sei «unvorstellbar», sagt Verteidigungsminister Ben Wallace im Beisein seines finnischen Amtskollegen Antti Kaikkonen, als er besagtes Manöver Arrow 22 besucht. Sein Land würde auch «ohne grosse formale Übereinkünfte» helfen, versichert der Brite.
Scholz unterstützt etwaigen schwedischen und finnischen Nato-Beitritt
STORY: HINWEIS: Dieser Beitrag wird ohne Sprechertext gesendet. O-Ton Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: «Finnland und Schweden sind befreundete Länder. Die beiden Ministerpräsidentinnen sind auch enge Freundinnen von mir, wenn ich das so sagen darf. Wir sind eng miteinander verbunden. Deshalb ist es mir wichtig, bei dieser Gelegenheit auch zu sagen, dass wir sehr genau die Debatte verfolgen, die in beiden Ländern stattfindet, über einen möglichen Beitritt zu unserer Verteidigungsallianz, der NATO. Das sind Entscheidungen und Diskussionen, die dort vor Ort stattfinden müssen, die in Finnland und in Schweden getroffen werden. Für uns ist aber klar: Wenn sich diese beiden Länder entscheiden sollten, dass sie zur NATO-Allianz dazugehören wollen, dann können sie auf unsere Unterstützung rechnen. Es war für uns alle klar, dass Grenzen nicht mehr verschoben werden mit Gewalt und dass die Souveränität von Staaten geachtet werden muss. Das Recht ist von Russland gebrochen worden, und deshalb kann niemand davon ausgehen, dass der russische Präsident und die russische Regierung nicht auch bei anderer Gelegenheit das Recht der Völker und unsere Verständigung brechen würde, mit Gewalt. Das ist der Grund, warum wir auch gleichzeitig alle entschieden haben, dass wir unsere Verteidigungsanstrengungen ausweiten.»
05.05.2022
Und auch Washington stellt sich vor die Schweden: «Ich werde natürlich nicht ins Detail gehen, aber ich bin mir sehr sicher, dass wir nun eine amerikanische Rückversicherung haben», zitiert «Reuters» Aussenministerin Ann Linde nach ihrer kürzlichen Visite in Washington.