Politik eskaliertPortland, Oregon – der neue Hotspot der USA
Von Philipp Dahm
20.7.2020
Verhaftungen wie in Turkmenistan, ein standhafter Navy-Veteran unter der Polizei-Knute und eine Frau, bei der die Cops erstaunt die Knüppel sinken lassen: Portland ist der neue Hotspot der USA.
Immer wieder Portland, Oregon. In der Stadt an der Westküste der USA mit ihren 650'000 Einwohnern hat ziviler Protest eine gewisse Tradition: 2017 gab es den «Womens March», die «Trump Free Speech Rally» und den «March of Science», 2018 den «March for Our Lives» für das Recht auf Abtreibung, 2019 «End Domestic Terrorism» – und seit Mai 2020 Demonstrationen wegen der Ermordung George Floyds.
Jeden Tag sind die Menschen seither gegen Rassismus auf die Strasse gegangen, doch dieser Protest eskaliert gerade – und hat sich zu einem Konflikt gemausert, in dem sich die Grabenkämpfe der amerikanischen Gesellschaft deutlich manifestieren. Die Rede ist natürlich von der Schlacht ums Weisse Haus: Bis zum November versuchen sowohl Donald Trump wie auch sein demokratischer Widersacher Joe Biden, die eigenen Reihen zu schliessen.
Während Biden Sympathien für die «Black Lives Matter»-Bewegung zum Ausdruck bringt, spielt der US-Präsident deren Bedeutung nicht nur herunter, sondern verortet die Demonstranten in der Nähe von Autonomen, «Antifaschisten» und Linksradikalen. Obwohl Washingtons Befugnisse in den Bundesstaaten eingeschränkt sind, hat sich das Weisse Haus sehr an einer autonomen Zone gestört, die es bis zum 1. Juli in Seattle gab.
We are trying to help Portland, not hurt it. Their leadership has, for months, lost control of the anarchists and agitators. They are missing in action. We must protect Federal property, AND OUR PEOPLE. These were not merely protesters, these are the real deal!
Nun richtet sich das Augenmerk des Commander-in-Chief auf Portland – was allerdings nicht zu einer Beruhigung der dortigen Lage beiträgt. Im Gegenteil: Der US-Präsident hat Bundespolizisten in die Stadt geschickt, die Federal Police alias Feds. Und das notabene gegen des Willen des Bundesstaates Oregon und dessen Bürgermeisters Ted Wheeler.
A crowd of about 400 has now occupied both SW 3rd and SW Main.
The moms are chanting, “Feds stay clear! Moms are here!” at the federal courthouse.
— Lindsey Smith (she/her) (@LindseyPSmith7) July 19, 2020
Die Feds sollen Gebäude wie das örtliche Bundesgericht schützen, doch die Beamten von Behörden wie dem Heimatschutzministerium oder der Grenzpolizei legen ihren Auftrag offensiv aus. Wie der Protest am Samstag eskalierte, beschreibt «The Oregonian»: Einige Hundert versammelten sich vor dem Justizgebäude der Stadt, und die Menge verdoppelte sich, als eine Gruppe Frauen hinzustiess, die rief: «Moms are here, feds stay clear!»
«Vor dem Justizzentrum von Multnomah County entstand durch Trommeln, Singen und laute Musik Partyatmosphäre», schreibt die Lokalzeitung. Spannungen hätten sich dagegen einen Häuserblock entfernt aufgebaut, wo eine kleinere Menge beim Bundesgerichtsgebäude demonstrierte, um das eine Absperrung gezogen worden war.
Tränenreiches Ende einer Party
Gegen 22 Uhr hätten Bundespolizisten diese Menge dazu aufgerufen, sich aufzulösen und jenen gedroht, die die Absperrung angefasst hätten. Das wiederum habe die Aufmerksamkeit der grösseren Gruppe erregt, die bald zum Ort des Geschehens zog. Kurz vor Mitternacht wurde der Zaun dann an einer Stelle umgeworfen, was einen massiven Tränengaseinsatz nach sich zog.
The press conference was also attended by Jeff Paul, a protester who was beaten by a federal officer’s baton last night, when he was trying to help a woman grab her purse that she dropped while being tear gassed. pic.twitter.com/CfQkYJgx0p
Die Feds sind nicht beliebt in der Stadt – nicht zuletzt, seit Videos auf Social Media gepostet werden, die das offensive Auftreten der Sicherheitskräfte belegen. Eines zeigt Polizisten, die kaum gekennzeichnet sind, die einen Aktivisten verhaften und in einen Kleinbus ziehen, der keine behördlichen Kennzeichen aufweist. Dem Delinquenten sei vorenthalten worden, warum er festgenommen worden sei und wohin er gebracht werde.
Das untergräbt bürgerliche Rechte und verunmöglicht, Polizisten bei Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen zu können, denkt sich Christopher David. «Bis die Feds kamen, habe ich den Protesten überhaupt keine grosse Aufmerksamkeit geschenkt», erklärte der frühere Navy-Ingenieur der «New York Times». «Aber als das Video herauskam, wurde es mir bewusst.»
Navy-Veteran angegangen
Der 53-Jährige nahm den Bus nach Portland und als die Polizisten gegen 22:45 Uhr auf ihn zugekommen seien, habe der 2-Meter-Mann bloss fragen wollen, warum sie den Demonstranten ihr Recht auf Versammlung verwehren wollten, doch so weit kam es nicht. Ein Video, das an einem Tag fast zehn Millionen Mal geschaut wurde, zeigt, wie der 140 Kilogramm schwere Mann empfangen wird:
The man in this Portland video is Christopher David.
A Navy veteran, he tells us he went to the protests for the first time to ask officers about the constitution.
He said his fingers are broken and he needs surgery.
David muss im Spital versorgt werden, gebrochene Finger müssen operiert werden. «Ich bin entsetzt und enttäuscht von dem Verhalten der Feds – über denjenigen, der sie führt und trainiert und zugelassen hat, dass sie so werden. Das ist eher ein Fehler der Führung denn einer des individuellen Verhaltens mir gegenüber.»
Selbst beim Anblick nackter Tatsachen konnte sich die Polizei nicht zurückhalten – und auch der Nacktprotest hat in Portland übrigens eine gewisse Historie: Es ist gerichtlich verbürgt, seinen Widerwillen nackt zur Schau zu stellen. Auch ein blankes Füdli auf dem Velosattel ist höchstrichterlich eine «etablierte Tradition» des Protests.
Blanker Protest
Dass auch am Samstag eine Nackte auftauchte, die sich in vorderster Reihe breitbeinig vor die Reihe der Polizisten in Vollmontur setzte, kann also nicht verwundern. Die Dame protestierte eine Weile, doch als sich die Spannungen zwischen Demonstranten und Cops verschärften, zog die Frau ab.
Sie tauchte in der Menge unter – und zwar ohne, dass Reporter ihren Namen herausfinden konnten, aber dafür mit einem Helden, der ihren Abzug mit einem selbstgebauten Schild deckte, berichtet die «Los Angeles Times».
Die Vorfälle haben Folgen. Die Behörde hat jeglichen Polizeikräften die Benutzung ihrer Räumlichkeiten untersagt. Bis dato nutzten auch örtliche Polizeikräfte die 31 meist zentral gelegenen Wachen – doch die Rettungskräfte unter Führung von Fire Commissioner Jo Anne Hardesty nehmen nun dezidiert Abstand von den Kollegen.
«Geheimpolizei hat in unserer Republik keinen Platz»
«Die Polizei von Portland wird weiterhin stolz an der Seite der tapferen Frauen und Männer von Portland Feuer und Rettung dienen», versuchte der örtliche Polizeichef Chuck Lovell zu deeskalieren. «Wir arbeiten tagtäglich zusammen, vertrauen einander unsere Leben an, um der Gemeinschaft zu dienen und werden das auch weiterhin tun.»
Das hat nicht verhindert, dass am Sonntag ein Brandanschlag auf das Büro der Polizeigewerkschaft in Portland verübt wurde: Den Interessenvertretern wird vorgeworfen, korrupte oder brutale Polizisten zu decken. Auch von der Opposition in Washington wird Trump für das Entsenden der Bundespolizei nun heftig kritisiert. Senator Jeff Merkley warf Trump vor, sich aus dem «Handbuch autoritärer Regierungen» zu bedienen. «Eine Geheimpolizei hat in unserer demokratischen Republik keinen Platz.»
«Im Vormonat hat die Regierung Tränengas gegen friedliche Demonstranten in Washington eingesetzt, jetzt zeigen Videos, wie Protestierende in Portland in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen entführt werden», schrieb Nancy Pelosi, die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, in einer Erklärung. «Portland ist das aktuelle Ziel des Präsidenten, aber jede andere Stadt könnte als Nächstes dran sein?»