«Direkte Folge des Klimawandels»Panama evakuiert erste Insel wegen steigendem Meeresspiegel
AP/toko
4.6.2024 - 22:51
Sie sind seit Generationen auf dieser Insel, haben vom Meer und auch dem Tourismus gelebt. Jetzt zwingt der Klimawandel die indigenen Kunas zum Weggehen – von der Insel in den Wald.
AP/toko
04.06.2024, 22:51
04.06.2024, 22:58
dpa
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Die Bewohner der Insel Gardi Sugdub nahe der Karibikküste müssen wegen des steigenden Meeresspiegels auf das Festland umziehen.
Es ist die erste von 63 Gemeinden entlang der Karibik- und Pazifikküste des mittelamerikanischen Landes, die in den kommenden Jahrzehnten gezwungen sein werden, sich wegen des steigenden Meeresspiegels woanders anzusiedeln.
Ein Experte bezeichnet die Evakuierung «eine direkte Folge des Klimawandels».
Auf einer winzigen Insel vor der Karibikküste Panamas packen etwa 300 Familien ihre Sachen. Es kommen dramatische Veränderungen auf sie zu: Nachdem Generationen von Kunas, einem panamaischen indigenen Volk, hier auf Gardi Sugdub aufgewachsen sind und ihr Leben dem Meer und Tourismus gewidmet haben, sollten sie in dieser Woche eine neue Bleibe auf dem Festland beziehen.
Sie gehen freiwillig, mehr oder weniger. Die Kunas dieser Insel sind die ersten von 63 Gemeinden entlang der Karibik- und Pazifikküste des mittelamerikanischen Landes, die nach Erwartungen von Behörden und Wissenschaftlern in den kommenden Jahrzehnten gezwungen sein werden, sich auf Grund steigender Meeresspiegel woanders anzusiedeln.
Für viele Kunas von Gardi Sugdub sind sie schon in ein paar Tagen endgültig vorbei – die gewohnten Szenen, die sich fast tagtäglich in ihrer kleinen Inselwelt abspielten – wie neulich an einem Morgen. Einwohner, die mit Ruder- oder kleinen Motorbooten vor ihren Stränden unterwegs waren, um Fische zu fangen. Kinder, manche in Uniformen, andere in farbenfrohen örtlichen Trachten, plapperten fröhlich auf ihrem Weg durch ein Labyrinth von engen ungepflasterten Strassen zu ihrer Schule.
«Wir sind etwas traurig, denn wir werden unsere Häuser , die wir unser ganzes Leben gekannt haben, zurücklassen, die Beziehungen zum Meer, wo wir fischen, wo wir baden, und wohin die Touristen kommen. Aber das Meer versenkt die Insel, nach und nach», sagt die 24-jährige Nadín Morales, die mit ihrer Mutter, ihrem Onkel und ihrem Freund auf das Festland ziehen sollte.
Gardi Sugdub ist eine von etwa 50 bewohnten Inseln im Archipel des sich selbst regierenden Territoriums Guna Yala und nur 366 Meter lang und 137 Meter breit. Aus der Luft betrachtet ist sie ein stacheliges Oval, umgeben von Dutzenden kurzen Docks, wo Einwohner ihre Boote anbinden. Jedes Jahr – insbesondere im November und Dezember, wenn starker Wind das Meer aufpeitscht – werden die Strassen überschwemmt und tritt Wasser in die Häuser ein. Der Klimawandel lässt nicht nur die Meeresspiegel ansteigen, sondern erwärmt auch die Ozeane, was zu stärkeren Stürmen führt.
Regierung zahlt für neue Siedlung
Die Kunas haben versucht, den Rand der Insel mit Steinen, Stützpfeilern und Korallen zu befestigen, aber das hält das Wasser nicht auf. Die Auswirkungen des Klimawandels würden zunehmend stärker, sagt Morales, «jetzt erreicht die Flut eine Höhe, die sie vorher nicht hatte, und die Hitze ist unerträglich».
Die autonome Kuna-Regierung war bereits vor 20 Jahren zum Schluss gekommen, dass man über eine Räumung der Insel nachdenken müsse, aber Hintergrund war damals, dass Gardi Sugdub zu überfüllt wurde. Die Auswirkungen des Klimawandels hätten den Denkprozess beschleunigt, sagt Evelio López, ein 61-jähriger Lehrer auf der Insel.
Er zieht mit Verwandten in die neue Siedlung um, die die Regierung zum Kostenpunkt von umgerechnet etwa elf Millionen Euro auf dem Festland bauen liess. Die Häuser aus Beton stehen an einem Netzwerk von gepflasterten Strassen, ein Teil des üppigen tropischen Dschungels wurde für das Projekt geopfert. Nur zwei Kilometer von der Siedlung entfernt ist der Hafen, von dem sich Gardi Sugdub mit einer achtminütigen Bootsfahrt erreichen lässt.
Die Insel zu verlassen sei eine «grosse Herausforderung, denn mehr als 200 Jahre unserer Kultur entstammen dem Meer, und so bedeutet es eine Menge von Dingen, von dieser Insel wegzugehen», sagt López. «Das Meer zu verlassen, die wirtschaftlichen Aktivitäten, die wir dort auf der Insel haben, und nun werden wir auf festem Boden sein, im Wald.»
Steven Paton ist Leiter eines physischen Panama-Beobachtungsprogrammes der US-amerikanischen Smithonian Institution, einer Kette von Museen sowie Bildungs- und Forschungszentren. Er nennt die Evakuierung «eine direkte Folge des Klimawandels». Die Inseln im Archipel befänden sich durchschnittlich nur einen halben Meter über dem Meeresspiegel, «und da dieser ansteigt, werden die Kunas früher oder später gezwungen sein, alle diese Inseln aufzugeben, fast mit Sicherheit bis Ende des Jahrhunderts oder früher. Alle Küsten auf der Welt sind mit unterschiedlichem Tempo davon betroffen.»
Tatsächlich sind zum Beispiel Einwohner einer kleinen Küstengemeinde in Mexiko im vergangenen Jahr weiter ins Inland gezogen, nachdem Stürme ihnen stetig die Häuser wegnahmen. Von der italienischen Lagunenstadt Venedig bis hin zu den Küstengemeinden von Neuseeland sind Regierungen und Behörden zum Handeln gezwungen. Was Panama betrifft, hat eine Studie der Klimawandel-Abteilung des dortigen Umweltministeriums ergeben, dass das Land schätzungsweise bis 2050 2,01 Prozent seines Küstengebietes durch steigende Meeresspiegel verlieren wird.
Von der Insel in den Wald
Und es dürfte wiederum schätzungsweise umgerechnet etwa 1,1 Milliarden Euro kosten, die ungefähr 38'000 Einwohner umzusiedeln, die kurz- und mittelfristig mit dem Ansteigen der Meeresspiegel konfrontiert sind, wie Ligia Castro von der Ministeriumsabteilung sagt.
Braucilio de la Ossa ist in dem Hafen auf dem Festland beschäftigt, der gegenüber von Gardi Sugdub liegt. Er wird mit seiner Frau, Tochter, Schwägerin und Schwiegermutter umziehen, während einige Verwandte seiner Frau auf der Insel bleiben werden. Die grösste Herausforderung für die Umsiedler werde im Wandel des Lebensstils liegen, wenn auch die Entfernung zwischen dem neuen Wohnort und Gardi Sugdub relativ klein sei, sagt er. Von der Insel in den Wald – die Lebensweise werde sich verändern.