Regierungskrise in Wien Kanzler Kurz tritt nach Korruptionsvorwürfen zurück

dpa/afp/tgab

9.10.2021 - 21:25

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Samstagabend seinen Rücktritt bekannt gegeben. Er zieht damit die Konsequenzen aus den Korruptionsermittlungen gegen ihn und sein Umfeld.

Sebastian Kurz (ÖVP) hat seinen Rücktritt als österreichischer Bundeskanzler verkündet. Er gab den Schritt am Samstagabend bekannt, nachdem Staatsanwälte den konservativen Politiker als Verdächtigen in einem Korruptionsfall um angeblich gekaufte Medienberichterstattung genannt hatten.

Ohne den Rückzug hätte ein Bruch der Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen, dem Koalitionspartner, gedroht, die Kurz für handlungsunfähig erklärt hatten. «Mein Land ist mir wichtiger als meine Person», sagte er. Kurz kündigte keinen völligen Rückzug aus der Politik an. Er bleibe ÖVP Chef und wechsle als Fraktionschef ins Parlament, sagte er. Aussenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) solle sein Amt als Kanzler übernehmen.

Er wolle «Platz machen um Chaos zu verhindern und Stabilität zu gewährleisten», sagte Kurz am Samstagabend in Wien.
Er wolle «Platz machen um Chaos zu verhindern und Stabilität zu gewährleisten», sagte Kurz am Samstagabend in Wien.
Bild: KEYSTONE/Christian. Bruna

Oppositionsparteien verhandelten bereits miteinander

Stattdessen machte Kurz den Grünen schwere Vorwürfe. Der Koalitionspartner habe beschlossen, «sich klar gegen mich zu positionieren», und damit eine «Pattsituation» herbeigeführt. Diese Haltung sei «unverantwortlich», denn Österreich riskiere damit, «in Monate des Chaos oder auch des Stillstands zu schlittern». «Was es jetzt braucht, sind stabile Verhältnisse, ich möchte daher, um die Pattsituation aufzulösen, Platz machen», sagte Kurz.

Für Vizekanzler Werner Kogler ist der Rücktritt von Sebastian Kurz vom Amt des Bundeskanzlers und Regierungschefs ein richtiger Schritt für Österreich, am Sonntag will er mit Schallenberg sprechen.

Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler: «Ich halte das angesichts der aktuellen Situation für den richtigen Schritt für eine zukünftige Regierungsarbeit in der Verantwortung für Österreich und das Ansehen Österreichs im Ausland».
Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler: «Ich halte das angesichts der aktuellen Situation für den richtigen Schritt für eine zukünftige Regierungsarbeit in der Verantwortung für Österreich und das Ansehen Österreichs im Ausland».
Bild: KEYSTONE/Georg Hochmuth

Die Grünen hatten in den letzten Tagen bereits mit Oppositionsparteien Gespräche über eine Mehrparteienregierung ohne ÖVP geführt – für den Fall, dass der Kanzler nicht zurücktritt. Vor Kurz' Rücktrittsankündigung liefen am Samstag unter den Fraktionen Gespräche über eine alternative Führung des Landes. Dabei schlossen die Grünen nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA auch eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen FPÖ nicht mehr aus. Die Chefin der sozialdemokratischen SPÖ, Rendi-Wagner, schloss ein Viererbündnis aus Grünen, FPÖ und den liberalen Neos und der FPÖ nicht aus.

Wenig Begeisterung herrschte dementsprechend bei der Opposition bezüglich des Wechsels von Kurz auf Schallenberg. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger meinte in einem Presse-Statement Samstagabend, in den nächsten Monaten werde das Chaos nahtlos weitergehen. Auch SPÖ und FPÖ sehen das «System Kurz» fortgesetzt.

Kurz versichert Vorwürfe seien «falsch»

Der Druck auf Kurz war seit Tagen gewachsen, nachdem bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue ermittelt.

Am Mittwoch hatten Ermittler unter anderem das Bundeskanzleramt und die Parteizentrale der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) durchsucht. Laut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft stehen enge Mitstreiter von Kurz im Verdacht, sich wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Dafür soll Geld aus dem Finanzministerium zweckentfremdet worden sein. Die Ermittler sehen in Kurz einen Beteiligten an den Verbrechen der Untreue und Bestechlichkeit. 

Über die Vorwürfe sagte Kurz am Samstag: «Sie sind falsch, und ich werde das auch aufklären können. Davon bin ich auch zutiefst überzeugt.».
Über die Vorwürfe sagte Kurz am Samstag: «Sie sind falsch, und ich werde das auch aufklären können. Davon bin ich auch zutiefst überzeugt.».
Bild: KEYSTONE/Georg Hochmuth

Koalitionspartner: Kurz sei «nicht mehr amtsfähig»

Die Grünen als Koalitionspartner der ÖVP hatten Kurz für nicht mehr amtsfähig erklärt und seine Rückzug gefordert – als Bedingung für die Fortsetzung der Zusammenarbeit. Falls Kurz nicht zurückgetreten wäre, hätten Oppositionsparteien am Dienstag ein Misstrauensvotum eingebracht. Einige Stimmen der Grünen hätten für eine Mehrheit ausgereicht.

Die konservativ-grüne Regierung unter Kurz war Anfang 2020 vereidigt worden. Zuvor hatte Kurz von 2017 bis 2019 mit der rechten FPÖ regiert.

Der 52-jährige Schallenberg ist seit Jahren in Spitzenfunktionen für die Aussenpolitik Österreichs mitverantwortlich. Der mehrsprachige, international erfahrene Diplomat vertritt in Fragen der Migration einen genauso harten Kurs wie Kurz.

dpa/afp/tgab