Geheimpapiere enthülltLanger Bart oder Pilgerreise: Warum Uiguren in Straflagern landen
18.2.2020
Ein falscher Klick, kritische Angehörige im Ausland, Kopftuch oder Bart: Es braucht nicht viel, um als Uigure in China in einem Umerziehungslager zu landen, wie vertrauliche Regierungsdokumente zeigen.
Geheime Dokumente aus dem chinesischen Machtapparat enthüllen, wie willkürlich Angehörige der uigurischen Volksgruppe in China in Umerziehungslager inhaftiert werden.
Kopftuch oder Bärte tragen, einen Pass beantragen, Verwandte im Ausland, eine Pilgerfahrt oder religiöse Bücher werden in den Listen genannt, über die eine Gruppe deutscher und internationaler Medien am Dienstag berichteten. Unter ihnen sind der NDR, der WDR, die Deutsche Welle und «Süddeutsche Zeitung».
Hunderttausende in Lager gesteckt
Familien der muslimischen Minderheit in der nordwestchinesischen Region Xinjiang werden demnach als «vertrauenswürdig» oder nicht, ihre Haltung «als gut» oder «gewöhnlich» oder die Atmosphäre in der Familie als religiös eingestuft, um einen Verdacht zu begründen. Auch wie viele Angehörige schon im Lager sitzen, werde berücksichtigt.
Die Listen mit persönlichen Angaben zu überwachten Personen stammen aus dem Kreis Karakax (Regierungsbezirk Hotan). Sie umfassen rund 140 Seiten und führen unter anderem detaillierte Informationen zu mehr als 300 Personen auf, die in Lagern interniert sind oder waren. Nicht alle Einträge liessen sich zeitlich festlegen, doch stamme der aktuellste Eintrag vom März 2019, berichtet der NDR.
Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind Hunderttausende bis eine Million Uiguren in solche Umerziehungslager gesteckt worden. Chinas Regierung spricht von Berufsbildungseinrichtungen, die von den Insassen freiwillig besucht würden. Schon die im November ähnlich enthüllten «China Cables» zeigten aber, dass der Aufenthalt in den streng bewachten Einrichtungen zwangsweise angeordnet wird.
Kollektive Strafen in grossem Ausmass
Wie die «China Cables» leitete die in den Niederlanden lebende Exil-Uigurin Asiye Abdulaheb die internen Papiere nach Angaben der britischen BCC an die Journalisten weiter. Experten haben die Authentizität überprüft. Der Forscher Rian Thum von der Universität Nottingham sagte laut NDR, die Listen belegten «einen enormen Akt der kollektiven Bestrafung», der letztlich rassistisch motiviert sei.
In China leben schätzungsweise zehn Millionen Uiguren, die meisten in Xinjiang. Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 in Peking hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.
Kleinste Merkmale reichen
Die Listen führen zahlreiche Gründe auf, warum Menschen in die Lager gebracht worden sind. Am häufigsten wird laut NDR ein Verstoss gegen Chinas Gesetze zur Geburtenkontrolle genannt. Weitere Gründe lauten demnach auch: «Diese Person trägt einen langen Bart», «Person, die bei der [islamischen Pilgerreise] Haddsch war».
Auch hiess es denn Angaben zufolge: «Internetseite angeklickt, die Links zu unerwünschten ausländischen Internetseiten enthält» oder «bleibt grundlos vom Flaggenhissen fern». Während des islamischen Fastenmonats Ramadan das Restaurant geschlossen zu halten, werde auch erwähnt. «Verschleierung der Ehefrau» und «Angehöriger einer Person, nach der im Ausland gefahndet wird» seien weitere Gründe.
Vereinzelt werden Personen nach diesen Angaben auch verdächtigt, Mitglieder oder Sympathisanten von islamistischen Terrorgruppen zu sein. Die Liste zeigt laut NDR auch, dass Uiguren bestimmter Geburten-Jahrgänge kategorisch als besonders gefährlich eingestuft worden sind – vor allem junge Männer.
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Seit 2016 stecken chinesische Behörden in der vorwiegend muslimischen Region Xinjiang Hundertausende zur «Umerziehung» in Internierungslager. Von offizieller Seite gibt es kaum Aussagen zu den Vorkommnissen dort. Auch Omir Bekali wurde Opfer dieser Massnahmen.
Bild: AP Photo/Ng Han Guan
Omar Bekali wurde in China geboren und zog im Jahr 2006 nach Kasachstan, wo er drei Jahre später die Staatsbürgerschaft erhielt. Im vergangenen März besuchte er seine Eltern in Xinjiang. Einen Tag nach seiner Ankunft wurde er verhaftet.
Bild: AP Photo/Ng Han Guan
Seine Hand- und Fussgelenke wurden an einem Stuhl gefesselt, er wurde verhört, nach seiner Arbeit befragt. «Ich habe keine Verbrechen begangen!», rief er. Es half ihm nicht.
Bild: AP Photo/Ng Han Guan
Eigentlich wollte Bekali nicht mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gehen - mit Rücksicht auf seine Schwester und seine Mutter, die in China leben. Aber am 10. März nahm die Polizei seine Schwester fest. Eine Woche später war seine Mutter dran.
Bild: AP Photo/Ng Han Guan
Anfang April sagte sein Vater ihm, er solle gut auf sich aufpassen. Es klang wie ein Abschied. Da entschloss sich Bekali, seine Geschichte doch zu erzählen. «Die Dinge haben sich so entwickelt», sagt er. «Ich habe nichts mehr zu verlieren.»
Bild: AP Photo/Ng Han Guan
Ideologische Veränderungen seien nötig, um gegen Seperatismus und islamischen Extremismus vorgehen, heisst es von offizieller Seite. Dabei wird auf die radikalen Uiguren verwiesen, die in den vergangenen Jahren Hunderte Menschen in China getötet haben.
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