Zeugin im Prozess«Nachts liege ich wach und entschuldige mich bei George Floyd»
Von Philipp Dahm
31.3.2021
Im Prozess um den Tod von George Floyd sind in Minnesota Zeugen der Anklage gehört worden. Es waren bewegende Aussagen von Menschen, die unter ihren Erinnerungen sichtlich leiden.
Von Philipp Dahm
31.03.2021, 16:29
Philipp Dahm
Wie hat das Video, das sie von der Tötung George Floyds gemacht hat, ihr Leben verändert, fragt der Anwalt die Zeugin. Darnella Fraziers Antwort ist nur zu hören. Sie war zum Zeitpunkt der Tat am 25. Mai 2020 noch minderjährig und wird deshalb nicht gezeigt. So wie insgesamt vier der sechs Zeugen, die die Anklage am Dienstag beim Prozess in Minnesota präsentiert.
«Wenn ich George Floyd sehe», antwortet die mittlerweile 18-Jährige, «sehe ich meinen Vater. Ich sehe meine Brüder, meine Cousins und Onkel, denn sie sind alle schwarz. Ich habe einen schwarzen Vater, schwarze Brüder, ich habe schwarze Freunde. Ich habe es gesehen und gedacht: Es hätte einer von ihnen sein können.»
Dann bricht ihre Stimme: «Nachts liege ich wach und entschuldige mich. Ich entschuldige mich bei George Floyd, dass ich nicht mehr getan habe, nicht dazwischengegangen bin und nicht sein Leben gerettet habe.» Ihre jüngere Cousine habe sie in ein Geschäft geschickt, weil sie nicht gewollt habe, dass diese «einen verstörten, verängstigen Mann sieht, der um sein Leben bettelt».
Als sie das Video noch einmal sieht, in dem der angeklagte Ex-Polizist Derek Chauvin mehr als neun Minuten lang auf dem Hals des Opfers kniet, kommen Frazier erneut die Tränen. Dass Passanten die Cops um Gnade angefleht haben, habe Chauvin und die anderen kaltgelassen. «Es war ihm egal. Es schien, als ob es ihn nicht interessierte, was wir sagten.»
«Weil ich Zeuge eines Mordes geworden bin»
Es sollen nicht die einzigen emotionalen Momente an diesem Prozesstag gewesen sein. Neben der Teenagerin muss auch Donald Williams um Fassung ringen, der 33 Jahre alt ist. Der Kampfsportler war bereits am ersten Prozesstag im Zeugenstand und spricht nun über den Notruf, den er abgesetzt hat – weil er sicher war, einem «Mord» beigewohnt zu haben.
Die emotionalen Zeugenaussagen sind Gift für die Verteidigung, wenn es um den Eindruck auf die Geschworenen geht, die bunt zusammengesetzt sind: eine schwarze Frau, drei schwarze Männer, zwei weisse Männer, sechs weisse Frauen und zwei Frauen mit multiethnischem Hintergrund richten über den Angeklagten.
Chauvins Anwalt versucht natürlich gegenzusteuern. Donald Williams etwa will Eric Nelson ankreiden, dass er die Polizisten beschimpft hat – erst als «Penner», dann aber auch mit härteren Kraftausdrücken. Doch andererseits blieb der Zeuge an der Szene und wählte den Notruf erst, nachdem die Ambulanz mit Floyd abgefahren war, um das Verhalten von Chauvin und seinen Kollegen ordentlich anzuzeigen.
Zu viele Erinnerungen
Auch der Auftritt von Genevieve Hansen kann Anwalt Nelson nicht gefallen haben: Eine weisse Feuerwehrfrau, die in ihrer Freizeit die Tat miterlebt, die der Polizei dann professionelle Hilfe als Sanitäterin anbietet, stumpf abgewiesen wird und nun weinend im Zeugenstand sitzt, ist für die Verteidigung gar nicht gut – selbst wenn sich die Dame noch ein wenig mit dem Richter anlegt.
Und dann sind da noch die Kinder, die gehört werden. Ein Neunjähriger beschreibt, wie die Ambulanz eingetroffen ist. «Sie haben ihn höflich gebeten, von ihm runterzugehen», sagt der Knabe. Doch der Polizist habe nicht reagiert. «Sie mussten ihn wegziehen.» «Und was hat dieser Tag mit dir gemacht», fragt der Staatsanwalt. «Ich war traurig und irgendwie wütend», antwortet das Kind.
Ein Mädchen beschreibt ihre Ohnmacht, als sie die Tat sah. «Ich hatte das Gefühl, ich lasse ihn im Stich», erzählt Alyssa Funari. «Ich war in der ganzen Situation wie benommen. Ich habe einfach verdrängt, wie ich mich fühle, weil ich nicht genau wusste, was ich fühlen soll. Es war zu viel, um es zu verarbeiten.» Bis heute meide sie den Ort, sagt die Zeugin. Zu viele Erinnerungen.