Drohende Zwangsräumungen Millionen Amerikaner haben wieder Angst

AP/toko

2.8.2021 - 21:21

Protest gegen den Rauswurf aus Wohnungen und Häusern in Boston. (AP Photo/Elise Amendola)
Protest gegen den Rauswurf aus Wohnungen und Häusern in Boston. (AP Photo/Elise Amendola)
Elise Amendola/AP/dpa/Keystone

Vor der Pandemie wurden in den USA jede Minute sieben Menschen aus ihren Wohnungen geworfen, oft weil sie mit der Miete im Rückstand waren. Ein Moratorium schützte sie in den vergangenen Monaten vor einer solchen Zwangsräumung. Doch damit ist es nun vorbei.

Ashley Phonsyry muss diese Woche gleich zweimal vor Gericht – und am Ende könnte sie nicht nur ohne Job, sondern auch ohne Wohnung dastehen. Die 22-Jährige ist eine von Millionen Menschen in den USA, die mit ihren Mieten im Rückstand sind und denen jetzt die Zwangsräumung droht. Während der Pandemie schützte sie ein Moratorium noch davor, auf die Strasse gesetzt zu werden, aber viele Vermieter wollen jetzt, wo es ausgelaufen ist, nicht mehr länger auf ihr Geld warten.

«Es frustriert mich und es macht mir Angst», sagt Phonsyry darüber, dass sie bald ihre Zweizimmerwohnung in Fayetteville in Arkansas verlieren könnte. «Ich bemühe mich so sehr, es in Ordnung zu bringen, aber es scheint nie genug zu sein.» Die 22-Jährige hat schwere Zeiten hinter sich. Nicht nur die Corona-Pandemie setzte ihr zu, sondern auch Verletzungen, die ihr ehemaliger Partner ihr zugefügt hat. Deswegen gab sie auch ihren Job auf, leidet an Angstzuständen und Depression, wie sie berichtet. Mit ihrer Miete geriet sie Tausende Dollar in Rückstand. Am Donnerstag wird der Antrag aufs Zwangsräumung ihres Vermieters vor Gericht verhandelt, einen Tag nachdem sie schon wegen des gewaltsamen Übergriffs im Gerichtssaal ist.

Höhere Ansteckungsgefahr durch Obdachlosigkeit 

So wie Phonsyry geht es vielen in den USA, die ohnehin kaum etwas haben. Mehr als 15 Millionen Menschen in den USA leben in Haushalten, die ihren Vermietern insgesamt 20 Milliarden Dollar (16,8 Milliarden Euro) schulden, wie aus einer Berechnung des Aspen-Instituts hervorgeht. Mit Stichtag 5. Juli sagten laut einer Umfrage des Volkszählungsinstituts rund 3,6 Millionen Menschen in den USA, dass ihnen in den nächsten zwei Monaten die Zwangsräumung drohe. Überproportional viele dürften das im Süden der USA sein, wo der Mieterschutz oft schlechter ist, und unter Schwarzen oder Latinos.

Gerade unter den Minderheiten sind auch noch weniger Menschen geimpft, zum einen weil für sie oft die Hürden grösser sind, zum anderen weil die Skepsis gegenüber dem Impfstoff teilweise grösser ist. Auf jeden Fall bedeute das Ende des Moratoriums auf Zwangsräumungen deshalb, dass nicht nur viele Menschen in den USA obdachlos werden könnten, sondern auch dass sich viele mit dem Coronavirus anstecken könnten, sagte Alicia Mazzara vom Forschungsinstitut CBPP. Denn in Notschlafstellen und auf der Strasse ist das Abstandhalten schwieriger.

«Man muss Mitleid mit diesen Leuten haben»

Vor der Pandemie wurden in den USA jedes Jahr 3,7 Millionen Menschen aus ihren Wohnungen geworfen, oder jede Minute sieben Personen, wie aus Daten der Princeton University zu Zwangsräumungen hervorgeht. Und nach dem Auslaufen des Moratoriums in der Nacht zum Sonntag wird damit gerechnet, dass die Zahlen wieder ähnlich hoch werden.

In St. Louis hat Sheriff Vernon Betts schon 126 Bescheide für Zwangsräumungen auf dem Schreibtisch – und er rechnet mit Hunderten weiteren. Ab kommender Woche sollen er und seine Leute jeden Tag 30 Mieter und Mieterinnen aus ihren Wohnungen werfen. Zwei Leute sind dafür in der Regel abgestellt, er werde aber dreimal so viele brauchen, sagt Betts.

Biden beruft sich auf Obersten Gerichtshof

In Milwaukee ist der Polizeibeamte William Brown für die Zwangsräumungen zuständig. «Man muss Mitleid mit diesen Leuten haben», sagt er, «wenn man sieht, dass kleine Kinder diesen ganzen Prozess durchmachen müssen.» Ihm aber seien die Hände gebunden, er müsse das Gesetz vollstrecken.

US-Präsident Joe Biden beruft sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der zufolge es dafür eine klare Autorisierung durch den Kongress brauche.
US-Präsident Joe Biden beruft sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der zufolge es dafür eine klare Autorisierung durch den Kongress brauche.
Susan Walsh/AP/dpa

Die Hände gebunden sind nach eigenem Bekunden auch der Regierung von US-Präsident Joe Biden. Dieser hatte am Donnerstag angekündigt, dass das Moratorium nicht über Ende Juli hinaus verlängert werde. Er berief sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, der zufolge es dafür eine klare Autorisierung durch den Kongress brauche. Doch die kam vor Ablauf der Frist nicht zustande. Mehrere führende demokratische Abgeordnete forderte Biden deshalb auf, dass Moratorium doch noch zu verlängern.

Zu allem Überfluss kamen auch die im Dezember und März vom Kongress beschlossenen Mietzuschüsse bisher kaum an. Von der ersten Tranche in Höhe von 25 Milliarden Dollar wurde bisher nur ein Bruchteil ausgezahlt.

Die grosse Mehrheit der Mieter, denen eine Zwangsräumung droht, haben zudem keine Anwälte, um dem drohenden Rauswurf etwas entgegensetzen zu können. Oft hätten sie dafür einfach kein Geld, sagt Lee Camp, Anwalt der Organisation ArchCity Defenders in St. Louis. Am Ende seien es wieder die Ärmsten, die draufzahlten. «Die Waage der Gerechtigkeit ist einfach in einem solch unglaublichen Ungleichgewicht.»

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