Coronakrise Mallorca ohne Touristen – kann die Natur jetzt aufatmen?

Von Alexandra Wilms, dpa

13.5.2020

Ungewohntes Mallorca: Ein freiwilliger Helfer desinfiziert ein Geländer in Andratx. 
Ungewohntes Mallorca: Ein freiwilliger Helfer desinfiziert ein Geländer in Andratx. 
Bild: Keystone

Wegen der Corona-Krise fehlen auf Mallorca die üblichen Touristenströme. Führt das bereits zu positiven Auswirkungen auf das Meer, beim Abfall und der Luftqualität? Forscher gehen dieser Frage nach.

Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: In den Wochen der strengen Ausgangssperre auf Mallorca zirkulieren in den sozialen Netzwerken Videos von Tieren, die sich vermeintlich den urbanen Lebensraum zurückerobern. Eine Entenfamilie überquert in aller Ruhe einen Zebrastreifen in der Inselhauptstadt Palma, und in unmittelbarer Ufernähe dreht eine Gruppe Delfine eine Runde.

Doch reichen zwei Monate minimaler menschlicher Aktivität, um tatsächlich nachhaltige Änderungen in der Natur zu bewirken? «Nein», sagt Txema Brotons kurz und knapp. Der wissenschaftliche Leiter der auf Mallorca ansässigen Meeressäugerstiftung Tursiops rückt die mit Smartphones gemachten Aufnahmen ins rechte Licht: «Viele der Filmchen sind Fakes, die gar nicht während der Ausgangssperre oder nicht auf den Inseln entstanden sind.»

Zudem gebe es lediglich eine veränderte Wahrnehmung und gar nicht unbedingt mehr Delfine als vorher. «Der einzige Unterschied ist, dass die Leute jetzt die Zeit haben, aufs Meer zu schauen und die Tiere auch zu sehen.»



Brotons kam kürzlich wieder in den Genuss eines wissenschaftlichen Segeltörns. Sonst galt für die Einwohner von Mallorca und den anderen Baleareninseln seit dem 15. März, dass sie ihre Häuser während sieben Wochen nur in Ausnahmefällen wie etwa zum Einkaufen und für Arztbesuche verlassen durften. Und auch seit einer ersten Lockerung Anfang Mai dürfen nur zu bestimmten Uhrzeiten nach draussen.

«So leer haben wir das Meer noch nie gesehen»

Die Stiftung Tursiops untersucht schon seit über 20 Jahren die Auswirkungen von durch Schiffsmotoren erzeugtem Unterwasserlärm auf Meeresbewohner wie Delfine und Wale. Der Biologe Brotons schwärmt von seiner einwöchigen Expedition, die am 5. Mai zu Ende ging: «So leer haben wir das Mittelmeer zwischen Mallorca und Ibiza wirklich noch nie gesehen.»

Ob und wie sich die derzeit auf und unter dem Meeresspiegel herrschende Stille auf die Meeressäuger auswirkt, kann er aber noch nicht sagen. Die gerade gesammelten Daten müssten zunächst ausgewertet werden. «Wir haben allerdings nur ein Boot und zwei Unterwassermikrofone, es handelt sich also nur um eine Momentaufnahme.»

Dennoch seien die Daten Gold wert: «Unser Referenzmonat für Unterwasserruhe war bisher der Februar, in dem es aber durch Stürme, Gewitter und Regen trotzdem viel natürlichen Lärm gibt.» Jetzt gebe es Vergleichsdaten aus dem Mai, bei ruhigem Meer und nahezu ohne Schiffsverkehr. «Das hätten wir uns nie träumen lassen.»

Im März sank die Zahl der Touristen auf Mallorca um 65 Prozent. Statt 450'000 Touristen wie im März 2019 verzeichneten die Behörden nur 153'250 Besucher – sie waren in den ersten beiden Wochen des Monats angereist und wurden nach Beginn der Ausgehsperre eilig in ihre Heimatländer zurückgebracht.

Für April ist der Unterschied noch eklatanter: Laut dem balearischen Statistikamt Ibestat waren im Vorjahresmonat gut eine Million Menschen in Palma angekommen, im April 2020 dürfte diese Zahl nahe null liegen.

So wenig Abfall wie noch nie

Das macht sich vor allem auch beim Abfall bemerkbar. In den ersten beiden Aprilwochen ging die Menge des auf Mallorca generierten Restabfalls um 39 Prozent zurück. Das sind rund 8'600 Tonnen. Auch der Biomüll nahm um rund ein Drittel ab. «Normalerweise würden wir um diese Jahreszeit bereits eine deutliche Abfallzunahme registrieren, wie zu Saisonbeginn üblich», sagt Aurora Ribot, die beim Inselrat für Nachhaltigkeit und Umwelt zuständig ist. «Jetzt hingegen erleben wir einen nie da gewesenen Rückgang des Abfallvolumens.»



Ist das auch schon an den Stränden sichtbar? Mancherorts schon, andernorts nicht. Der Stadtstrand von Palma etwa ist zwar menschenleer, aber nicht viel sauberer als sonst: Schraubverschlüsse von Getränkeflaschen, Styropor-Reste und Plastikfetzen werden nach wie vor von den Wellen in den Sand geschwemmt.

In Font de sa Cala im Inselosten hingegen sieht der Strand so natürlich aus wie sonst nie: Sandwälle türmen sich neben Überresten von Neptungras, in der Wasserlinie liegt ein riesiger Baumstamm, an dem bereits kleine Krustentiere sichtbar sind. «Da bisher niemand den Strand für die Saison hergerichtet hat, sieht man jetzt gerade, wie das unberührte Habitat Strand eigentlich aussieht», sagt der Mikrobiologe Pau Morey. «Das Wasser ist zudem unfassbar klar.»

Auch die Luft erholt sich schnell: In den ersten zwei Wochen der Ausgehsperre und des damit verbundenen Verkehrsrückgangs ging die Luftverschmutzung im Vergleich zu den beiden Vorwochen um 60 Prozent zurück. Der Umweltvereinigung Ecologistas en acción zufolge sank der Stickstoffdioxid-Gehalt in Palma im April gar um 67 Prozent.

Dass die Abwesenheit von Touristen sich bemerkbar macht, stellt auch Biologe Brotons fest. «Durch das Ausbleiben der Touristen gelangen viel weniger organische Substanzen ins Meer, sei es durch Abwässer oder direkt durch Essensreste und ungeklärte Fäkalien von den Jachten. Das Wasser ist momentan spektakulär transparent.»

Insgesamt habe der Druck auf den Lebensraum Meer stark nachgelassen: Auch die Berufsfischer seien viel seltener hinausgefahren, da der Fisch von den Inseln vergleichsweise teuer ist und in normalen Zeiten hauptsächlich in den Küchen gehobener Restaurants und Hotels gefragt ist, die nun seit Wochen geschlossen waren.

Setzt ein Umdenken ein?

Doch der Nutzen, den die Covid-19-Zwangspause der Natur offenbart, wird wahrscheinlich nur vorübergehend sein. Langfristig hängt es dann von den Menschen ab: «Wenn die Leute endlich wieder rausdürfen, dann nehmen sie die Natur und ihren Reichtum vielleicht bewusster wahr. Wenn wir es dadurch schaffen würden, die Umwelt weniger zu verschmutzen, dann hätte diese schlimme Zeit wenigstens eine gute Sache bewirkt», sagt der Forscher.

Gleich darauf räumt er jedoch ein: «Ehrlich gesagt habe ich da aber so meine Zweifel.»

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