Nach Explosion in Beirut Macron stellt Libanon ein Ultimatum für Reformen

dpa/tbj

1.9.2020

Libanon erhält eine «letzte Chance», um sein politisches System zu erneuern – so sieht es jedenfalls Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Die Folgen der katastrophalen Explosion in Beirut vor einem Monat erhöhen den Druck zu handeln.

Vier Wochen nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut erhöht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Reformdruck auf die politische Führung des Krisenlandes. Bei einem Besuch in der libanesischen Hauptstadt warnte Macron, langfristige internationale Hilfe werde nur ausgezahlt, wenn bis zum kommenden Oktober Reformmassnahmen eingeleitet würden. Dann werde es einen «Folgemechanismus» geben, kündigte er an.

In einem Interview der Nachrichtenseite «Politico» sagte Macron, die nächsten drei Monate seien «fundamental» für einen wirklichen Wandel. Sollte dieser ausbleiben, werde er den Kurs ändern und Strafmassnahmen ergreifen. So könnten auch Sanktionen gegen die Führungsklasse verhängt werden. «Es ist die letzte Chance für dieses System.»

Macron nahm nördlich von Beirut an einer Feier zum 100. Jahrestag der Gründung des Libanons teil. Dort pflanzte er einen Zedernbaum, das Nationalsymbol des Landes. Danach besuchte er erneut den Hafen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Dort prangerte er unter anderem die weit verbreite Korruption an. Notwendig seien Reformen etwa im Energiesektor, im Bankenwesen und in der Justiz. «Alles ist bereit, aber ein politischer Wille ist nötig», sagte er.

Explosionskatastrophe und drohender Bankrott

Der Libanon erlebt seit Monaten eine der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen seiner Geschichte. Die Coronapandemie und die Explosion haben die Lage weiter verschärft. Grosse Teile der Bevölkerung sind in die Armut abgerutscht, dem Land droht ein Staatsbankrott. Der Libanon gehört weltweit zu den am stärksten verschuldeten Ländern.

Macron hat knapp einen Monat nach der verheerenden Explosion erneut Beirut besucht – und dabei der libanesischen Führung ein Ultimatum gestellt.
Macron hat knapp einen Monat nach der verheerenden Explosion erneut Beirut besucht – und dabei der libanesischen Führung ein Ultimatum gestellt.
Bild: Keystone/EPA/Stephane Lemouton

Auch politisch steckt das Land in einer tiefen Krise. Nach der Explosion trat die Regierung zurück. Am Montag nominierten die führenden politischen Blöcke den bisherigen Botschafter des Libanons in Deutschland, Mustafa Adib, als neuen Premier. «Das ist der erste Eckpfeiler einer neuen Etappe», erklärte Macron im Hafen.



Doch vielen Libanesen reicht das nicht aus. Seit Monaten kommt es immer wieder zu Massenprotesten. Die Demonstranten werfen der politischen Elite unter anderem Korruption und Selbstbereicherung vor. Sie fordern eine grundlegende Reform des politischen Systems. Diesem Ruf schlossen sich auch Deutschland und andere Staaten an.

Tausende von Verletzten

Der französische Staatschef sagte «Politico», er wolle von Anführern der politischen Parteien glaubwürdige Reformzusagen, inklusive eines Zeitplans. Dazu gehörten auch Neuwahlen innerhalb von zwölf Monaten.

Bei der Explosion Anfang August waren mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 6000 wurden verletzt. Grosse Teile des Hafens liegen in Trümmern. Auch umliegende Wohngebiete wurden stark zerstört. Macron war bereits kurz nach der Detonation nach Beirut gereist.

Starre Machtaufteilung

Libanons politisches System ist geprägt von einem jahrzehntealten Proporzsystem, das die Macht zwischen den Konfessionen aufteilt. Der Präsident ist immer ein Christ, der Premier ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit. Eine besondere Rolle spielt die schiitische Hisbollah, die starken Einfluss besitzt. Gegen die Interessen der pro-iranischen Organisation kann kaum regiert werden.

Das politische System hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder reformunfähig gezeigt. Kritiker werfen der politischen Elite vor, sie sei nur am Erhalt ihrer eigenen Macht und ihres Reichtums interessiert. Für die Wirtschafts- und Finanzkrise machen sie unter anderem eine Art Schneeballsystem mit Krediten verantwortlich.

Als frühere Kolonialmacht hat Frankreich noch immer enge Beziehungen zum Libanon. Der französische General Henri Gouraud hatte am 1. September 1920 den Grosslibanon ausgerufen. Der neu gegründete Staat stand unter französischem Mandat und wurde erst 1943 unabhängig.

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