Proteste im Iran eskalieren «Lieber sterben wir, als weiterhin Erniedrigung zu ertragen»

dpa/AP/twei

25.9.2022

Iranischer Präsident verlangt «entschiedenes» Vorgehen gegen Demonstrierende

Iranischer Präsident verlangt «entschiedenes» Vorgehen gegen Demonstrierende

Nach anhaltenden Protesten im Iran hat der Präsident des Landes die Sicherheitskräfte zu einem entschiedenen Vorgehen gegen die Demonstrierenden aufgefordert.

25.09.2022

Die Menschen im Iran tragen ihre Wut über den Tod einer jungen Frau weiterhin auf die Strasse – und in die sozialen Medien. Die Regierung sieht keine Schuld bei der Polizei und reagiert mit tödlicher Gewalt.

dpa/AP/twei

Heftige Proteste erschüttern zurzeit den Iran: Überall im Land strömen Tausende Menschen auf die Strassen, um gegen das islamische Herrschaftssystem und gegen die systematische Diskriminierung von Frauen ihre Stimme zu erheben. Auch in den sozialen Medien überschwemmt die Protestwelle die verschiedenen Kanäle. Via Twitter formiert sich eine Bewegung, die den Protest unter dem Hashtag «IranProtests2022» unzähliger mutiger Frauen dokumentiert.

Verwackelte Videos und drastische Bildaufnahmen zeugen von der Brutalität der Behörden und der Polizei vor Ort. Gewalt ist für die Einsatzkräfte ein legitimes Mittel, um die Protestierenden ruhig zu stellen. Und doch gelingt es ihnen nicht: Aufnahmen von Frauen, die ihr Kopftuch in die lodernde Flammen grosser Feuer werfen, gehen aktuell um die Welt.

Unaufhörlich setzen sich Menschen im Iran unter den Klängen des Liedes des Widerstandes für einen friedlichen Wandel in ihrem Land und für Frauenrechte ein und kämpfen gegen Diskriminierung. Selbst das traditionsreiche, italienische Partisanenlied «Bella Ciao» gibt es mittlerweile in einer persischen Abwandlung.

Präsident Raisi kündigt hartes Durchgreifen an

Doch die Regierung greift mit harter Hand durch. Allein im Norden nahm die Polizei am Samstag 739 Menschen in Gewahrsam, darunter 60 Frauen. Medienberichten zufolge gab es auch erneut Todesopfer, ihre Zahl blieb aber unklar.

Präsident Ebrahim Raisi kündigte unterdessen einmal mehr ein hartes Durchgreifen gegen die Demonstranten an. Man werde nicht zulassen, dass «vom Ausland bezahlte Söldner» die Sicherheit des Landes gefährdeten, sagte er bereits am Freitag. «Proteste ja, Unruhen nein», sagte Raisi.

Auslöser der derzeitigen Proteste ist der Tod der 22 Jahre alten Iranerin Mahsa Amini. Sie war vor einer Woche von der Sittenpolizei wegen eines Verstosses gegen die strenge islamische Kleiderordnung festgenommen worden.

Tod von Mahsa Amini löst Massenproteste aus

Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah, ist unklar. Bekannt ist, dass sie zunächst ins Koma fiel und am 16. September in einem Spital verstarb. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück.

Innenminister Ahmad Wahidi bekräftigte am Samstag die Sicht der Regierung: «Die medizinischen Untersuchungen und jene der Gerichtsmedizin zeigen, dass es weder Schläge (seitens der Polizei) noch einen Schädelbruch gegeben hat», sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Irna. Die voreiligen Schlüsse in diesem Fall und die folgenden Proteste seien auf der Basis von falschen Interpretationen entstanden.

Das Bild der verstorbenen Iranerin Mahsa Amini ging um die Welt.
Das Bild der verstorbenen Iranerin Mahsa Amini ging um die Welt.
Christoph Reichwein/dpa

Aminis Vater kritisierte dagegen den Bericht der Gerichtsmedizin vehement. Seine Tochter habe keinerlei Herzprobleme gehabt und könne daher auch nicht, wie behauptet, an Herzversagen gestorben sein.

Demonstrationen erfordern weitere Todesopfer

Als Reaktion auf die Proteste hatte die Regierung den Zugang zum Internet massiv eingeschränkt. Insbesondere mobile Funknetze funktionieren kaum. Informationen, etwa über soziale Medien, dringen daher schwer nach aussen. Und Demonstranten wird es schwer gemacht sich zu organisieren.

Dennoch gelingt die Vernetzung der Demonstranten – und fordert neue Opfer. In den sozialen Medien ging das Schicksal von Hadis Najafi viral. Die junge Frau verbrannte wie viele andere Frauen im ganzen Land ihr Kopftuch in einem Feuer – vor den Augen von Einsatzkräften des islamistischen Regimes. Daraufhin wurde die 20-Jährige von sechs Kugeln getroffen und tödlich verwundet.

Und doch scheint es nicht unwahrscheinlich, dass Najafi nicht die letzte Frau sein wird, die für ihren Protest ihr Leben lässt. Am Sonntagmorgen meldete der iranische Staatssender IRIB mittlerweile 41 Todesopfer infolge der landesweiten Proteste. In den sozialen Medien wurden Videos geteilt, die Proteste in der Hauptstadt Teheran und anderen Teilen des Landes zeigten. Die Aufnahmen konnten nicht verifiziert werden.

Brennende Autos, zunehmende Aggressionen

Laut Augenzeugen in Teheran nimmt unterdessen die Gewaltbereitschaft sowohl vonseiten der Sicherheitskräfte als auch unter den Demonstranten stark zu. Sicherheitskräfte würden immer aggressiver und es seien vermehrt Schüsse zu hören, hieß es. Unter den Demonstranten gingen vor allem jüngere aggressiv vor. Sie zerstörten öffentliche Einrichtungen, setzten Autos und Mülleimer in Brand und verprügelten Polizisten.

Slogans gegen die islamische Führung würden zudem radikaler: Neben «Tod dem Diktator» skandierten die Demonstranten auch «Das ist das Jahr des Blutvergiessens!» und: «Lieber sterben wir, als weiterhin Erniedrigung zu ertragen!»

Der iranische Geheimdienst erklärte nach Angaben der Nachrichtenagentur Mehr sogar, man habe in der Stadt Täbris im Nordwesten des Landes mehrere Bombenanschläge vereitelt und Tatverdächtige festgenommen. Sie seien von Monarchie-Anhängern und Mitgliedern der Volksmudschaheddin geplant worden.