Lagebild UkraineVerheerendes friendly fire leitet Putins Niederlage in Opytne ein
Philipp Dahm
12.9.2023
Wladimir Putin hat ein Problem: Um die ukrainische Gegenoffensive im Süden zu stoppen, muss er Truppen bei Donezk abziehen. In die Lücke stösst Kiew vor – und dann trifft die Russen auch noch die eigene Artillerie.
P. Dahm
12.09.2023, 17:40
12.09.2023, 18:16
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
US-General Mark Milley glaubt, die Gegenoffensive habe nur noch 30 bis 45 Tage Zeit, bevor das Wetter das Schlachtfeld verändert.
Russland hat nur im Norden der Front die Initiative.
Bei Donezk konnte die ukrainische Armee Opytne erobern, nachdem Eigenbeschuss die russische Truppe dezimiert hat.
In die seit 2014 starre Front bei Donezk ist nun Bewegung gekommen.
Bei Robotyne toben weiter schwere Kämpfe: Russen beklagen sich über ukrainische Artillerie- und Luftangriffe.
Ukrainische Spezialkräfte in Schnellbooten stiften weiter Chaos am Dnjepr und auf der Krim.
«Wir wollen alle Erfolg und ein Happy End haben», sagt Wolodymyr Selenskyj im CNN-Interview. «Zunächst: Das ist kein Film, der eineinhalb Stunden geht. Es geht um die Gegenoffensive. Sie ist nicht der Film mit Happy End. Wir werden kein Happy End haben. Wir haben viele Leute verloren. Kein Happy End. Das müssen wir anerkennen.»
Ukrainian President Zelensky:
Counterattack is not a movie with a happy ending, we won't have a happy ending, we lost a lot of people.
Wie lange dieser Krieg ohne Happy End noch dauern wird, weiss niemand. Wer hört, dass die Ukraine und Schweden 1000 Schützenpanzer vom Typ CV90 bauen wollen, muss von einem langen Konflikt ausgehen. Doch Kiews oberster Spion hält dagegen. «Ich bin nicht der Meinung, dass das ein langfristiger Kampf sein wird», sagt Kyrylo Budanow.
Der 37-jährige Chef des Militärnachrichtendienstes, der gerade zum Generalleutnant befördert worden ist, glaubt an Kiews Sieg in nicht allzu weiter Ferne: «Wer von einem halben Jahr, sieben Monaten, bis zu einem Jahr spricht und denkt, dass das lange und langfristig ist, der hat definitiv recht.» Länger hielten die Russen nicht durch.
A Russian T-90M destroyed by a $500 FPV drone. Footage from the 3rd separate assault brigade. pic.twitter.com/y7q4WzX4GY
Wahr werden kann das aber nicht ohne einen Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive. Mark Milley ist der Meinung, das Zeitfenster dafür schliesse sich allmählich. «Es gibt immer noch angemessen viel Zeit mit Wetter, in dem man kämpfen kann – wahrscheinlich um die 30 bis 45 Tage», sagt der US-General der BBC. «Die Ukraine ist noch nicht fertig.»
Russland nur im Norden mit Initiative
Unser virtueller Besuch an der Front beginnt heute im Norden an der Kupjansk-Swatowe-Kreminna-Linie. Es ist das einzige Gebiet, in dem die russische Armee Fortschritte macht: Moskaus Männer sind im Wald nordöstlich der Schlüssel-Stadt Kupjansk vorgerückt, aber noch vor dem Dorf Synkivka aufgehalten worden.
Auch beim Dorf Seretove, weiss die Washingtoner Denkfabrik Institute for the Study of War. Ebenso 15 Kilometer westlich von Swatowe beim Dorf Novoselivske sowie im Wald südlich und westlich von Kreminna hat die russische Armee angegriffen, ohne aber grosse Geländegewinne erzielen zu können. Dabei kam auch Brandmunition zum Einsatz.
Kreminna forest. Russian forces using incendiary munition on Ukrainian positions. pic.twitter.com/jWIlPpK3oE
Weiter nördlich liegt Bachmut: Im Süden der Stadt bei Klischtschijiwka hat, wie im letzten Lagebild berichtet, die ukrainische Armee Minenfelder im Norden. Dadurch ist es ihr gelungen, den dahinter liegenden Nachschub-Weg nach Bachmut zu unterbrechen.
Die Russen haben sich aus Klischtschijiwka und Andriivka zurückgezogen: Die Orte sind ohnehin dem Erdboden gleichgemacht. Ihre neue Verteidigungslinie liegt hinter Andriivka an der Bahntrasse im Osten und hinter Klischtschijiwka an den Seen, die in der unten stehenden kleinen Karte zu sehen sind.
Der nächste Halt an der Front ist Donezk: Im Westen der besetzten Grossstadt hat sich Russland einen Bärendienst erwiesen. Erst sind in diesem Frontabschnitt Truppen abgezogen worden, um in Saporischschja auszuhelfen. Dadurch war diese Region unterbesetzt.
Nach einem ukrainischen Angriff im Süden des Dorfes Opytne haben sich die dortigen Verteidiger zurückziehen wollen, ohne den Abzug zu koordinieren. Die Bewegung wurde als gegnerischer Angriff fehlinterpretiert und die eigenen Männer unter Artilleriefeuer genommen, weiss Reporting from Ukraine.
Americans volunteer soldiers attacking Russian forces in Opytne.
There are incoming reports stating that the entire settlement has been taken by the Ukrainian Army.
The Donetsk International Airport is only 3 km further to the south.
Mindestens 61 russische Soldaten sollen verletzt oder getötet worden sein. Opytne ist dadurch verloren gegangen, doch damit nicht genug: Auch westlich des Dorfes bei Pervomaiske und Nevelske ist die ukrainische Armee in die Lücke gestossen, die Moskau selbst erschaffen hat.
Die nächsten Brennpunkte sind Wuhledar, wo es jedoch keine Veränderungen gab, und Urozhaine. In dem Gebiet am Fluss Mokri Jaly versichern Kiews Kräfte weiterhin, die Front zu begradigen, um sich in den Flanken nicht angreifbar zu machen. Die Ziele: Pryjutne westlich von Urozhaine sowie Novodonetske und Novomaiorske im Osten. Vorteil Russland: Die letztgenannten Dörfer liegen hinter einem Fluss Shaitanka.
Die spannendsten Schlachten werden derzeit aber bei Robotyne geschlagen, das 80 Kilometer nordwestlich von Urozhaine liegt. Dort sind ukrainische Soldaten in die russische Hauptverteidigungslinie vorgedrungen.
⚔️ A visualization of the advance of the Armed Forces of Ukraine in the direction of Robotyne-Tokmak from August 17 to today. pic.twitter.com/YcnFANZqDx
Robotyne: Russen klagen über Luft- und Artillerieangriffe
Hier toben schwerste Gefechte, die mit allen Mitteln ausgefochten werden. Für Furore hat ein Video gesorgt, das angeblich zeigt, wie es ein Leopard 2 mit zwei T-72-Panzern aufnimmt – und nicht wie behauptet mit zwei T-80BV. Der Clip ist spektakulär, kann aber nicht verifiziert werden.
Die in dem Gebiet eingesetzten russischen WDW-Fallschirmjäger beschweren sich auch über generische Attacke von oben: «Jeden Tag greifen feindliche Luftfahrzeuge [unsere] Positionen an, und der Feind setzt auch Streumunition gegen [uns] ein», schreibt ein Kämpfer.
A pair of Ukrainian Mi-24 Hind gunships make an attack run over Zaporizhia Oblast pic.twitter.com/FCKMxzQgGb
«Unsere Soldaten sind Tag für Tag rund um die Uhr in schwierigen Kampfsituationen», schimpft der Mann weiter. Ein Video einer ukrainischen Artilleriemannschaft scheint ihn zu bestätigen: Ihre amerikanische M-109 Paladin verschiesst Streugranaten. Diese sei gegen die Infanterie im Felde am effektivsten, sagt die Besatzung. Sie werde aber nur eingesetzt, wo es keine Zivilisten gebe – und der Verbrauch werde dokumentiert.
United24Media correspondent reports on the use of cluster munitions with Paladin howitzers.
Wie im Westen am linken, östlichen Ufer des Dnjepr hält die Ukraine zwei Brückenköpfe bei Kosatschi Laheri und der zerstörten Antonowski-Brücke. Die Kämpfe sind hier relativ still und leise, aber sie gehen weiter. Hier das Video einer FPV-Drohne (first person view), die ein russisches Überwachungsgerät zerstört:
The 11th Brigade named after Mykhailo Hrushevsky of the National Guard of Ukraine destroyed a Murom-M surveillance system just north of Oleshky.
Die Brückenköpfe werden von Spezialkräften gehalten, deren Arbeit sich aber nicht auf den Dnjepr beschränkt: Die Kommandos befreien auch Bohrplattformen oder setzen mit ihren Schnellbooten immer wieder zur Krim über. Dort richten sie nicht nur Schäden an, sondern binden auch gegnerische Truppen.
Am Schluss noch ein kurzes Waffen-Update: Dänemark hat der Ukraine die ersten zehn restaurierten Leopard 1A5 geliefert. Rheinmetall hat von der deutschen Bundesregierung den Auftrag bekommen, 40 weitere Schützenpanzer vom Typ Marder aufzubereiten und Schweden erwägt offenbar nun doch, Kiew Kampfflugzeuge vom Typ Gripen zu überlassen.
A German supplied Pionierpanzer Dachs engineering vehicle digs out a Ukrainian T-64BV tank that got stuck. pic.twitter.com/A4Y0duoFXy