Lagebild Ukraine Gegenoffensive läuft – Kiew beklagt «signifikante» Verluste

Von Philipp Dahm

9.6.2023

Moskau verkündet Abwehr von ukrainischer Offensive in Region Saporischschja

Moskau verkündet Abwehr von ukrainischer Offensive in Region Saporischschja

Die russischen Streitkräfte haben nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Donnerstagmorgen eine Offensive der ukrainischen Armee im Süden der Ukraine abgewehrt.

08.06.2023

Die ukrainischen Streitkräfte haben nicht nur bei Bachmut «signifikante» Verluste eingefahren, sondern im Süden des Landes wertvolles westliches Material verloren.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ukrainische Truppen sind im Oblast Saporischschja vorgerückt, unter Artilleriefeuer gekommen und haben mindestens einen Leopard 2A4 verloren.
  • Bei Cherson ist ausserdem das deutsche Radargerät einer IRIS-T-Flugabwehr getroffen worden.
  • Im Süden von Bachmut stockt weiterhin der Angriff auf Klischschtijwka. Auch hier gab es «signifikante» Verluste.

Die ukrainische Gegenoffensive ist im Gange. Das sagt nicht nur der ETH-Militär-Analyst Niklas Masuhr, sondern es zeigt sich nun auch auf dem Schlachtfeld. 

Dabei hat Kiew empfindliche Verluste zu beklagen. Zum einen wird am 8. Juni erstmals ein Panzer westlicher Bauart zerstört: Russische Drohnen-Bilder zeigen eine ukrainische Kolonne, die mit viel zu wenig Abstand zueinander bei Orichiw im Oblast Saporischschja unterwegs ist.

Der Zug, der von zwei Leopard 2A4 angeführt wird, kommt unter Artilleriefeuer, das mindestens einen der deutschen Panzer zerstört. Auch andere gepanzerte Fahrzeuge werden getroffen: Es handelt sich um amerikanische Schützenpanzer vom Typ M113.

Auch deutsches Radar im Süden zerstört

Laut «Forbes» verfügen nur drei Einheiten über den Leopard 2: die 33. Mechanisierte Brigade, die 1.- und die 4. Panzer-Brigade. Es sei am wahrscheinlichsten, dass die 1. Tank-Brigade den Fehler gemacht habe, ihre Einheiten derart verdichtet durchs Gelände zu schicken.

Das aktuelle Cover des «Economist».
Das aktuelle Cover des «Economist».
Gemeinfrei

Es ist nicht der einzige Schlag, der Moskau gegen westliche Waffensysteme gelungen ist: Am selben Tag gelingt es einer russischen Drohne vom Typ Lancet, die lange über ihrem Ziel kreisen kann, ein deutsches TRML-4D zu zerstören. Das Akronym steht für das Telefunken Radar Mobil Luftraumüberwachung, die Variante 4D wird erst seit 2020 ausgeliefert.

Das Radar gehört zum deutschen Luftabwehrsystem IRIS-T, das in diesem Fall in Cherson stationiert war. Allein das Radar schlägt mit 17 Millionen Euro zu Buche, weiss die «Bild». Ohne das Radar sind die IRIS-T-Raketen blind – und Berlin hat Kiew nur drei dieser Systeme geliefert.

«Signifikante» Verluste auch bei Bachmut

Das Problem war laut «Bild», dass die Einheit zu nahe an der Front, das Radar ausgeschaltet und das Gerät noch für die Wüste angemalt war: Das IRIS-T-System war für den Export nach Ägypten vorgesehen, bevor Kairo zugunsten der Ukraine vom Kauf zurückgetreten ist.

Das Radar TRML-4D der deutschen Firma Hensoldt auf der ILA Berlin Airshow 2022 in den Wüsten-Tarnfarben für den ursprünglich ägyptischen Kunden.
Das Radar TRML-4D der deutschen Firma Hensoldt auf der ILA Berlin Airshow 2022 in den Wüsten-Tarnfarben für den ursprünglich ägyptischen Kunden.
Commons/Boevaya mashina

Als wären das nicht genug Rückschläge für Wolodymyr Selenskyj, stossen seine Truppen auch im Osten auf heftigen Widerstand. So zumindest berichtet es CNN. Zwei anonyme Quellen bestätigen dem US-Sender, dass Kiew bei Bachmut «signifikante» Verluste hinnehmen musste, bei denen auch ein gepanzertes Fahrzeug vom US-Typ MRAP ausgeschaltet worden sei.

Kiew attackiert: ukrainische Stossrichtungen in Saporischschja.
Kiew attackiert: ukrainische Stossrichtungen in Saporischschja.
YouTube/Reporting from Ukraine

Wo greifen die ukrainischen Streitkräfte überall an? Das Lagebild bestätigt, was Niklas Masuhr erklärt: «Es wird Sektoren geben, die stärker bespielt werden als andere, auch abhängig davon, wo am ehesten Erfolge erzielt werden.» «Reporting from Ukraine» zeigt auf, wie das in der Praxis aussieht.

Moskau trägt mal wieder dick auf

Bei Mala Tokmatschka bei Orichiw sollen ukrainische Kräfte die russischen Verteidigungslinien erreicht haben. Moskau meldet, Kiew habe bei dem Angriff 150 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt – und dass 10 generische Fahrzeuge und 30 Panzer zerstört worden seien. Drei seien Leopard 2 gewesen, bauscht das Verteidigungsministerium die Abwehr auf.

Bei Bachmut versuchen ukrainische Truppen weiterhin, Druck auf das Dorf Klischschtiwka im Süden der Stadt zu machen. Weil die Verteidiger ihre Kräfte aber verstärkt haben, müssen Kiews Soldaten weiter nach Süden ausweichen. Dort machen sie zwar einige Kilometer gut, kommen dem eigentlichen Ziel aber nicht näher, berichtet der ukrainische YouTuber Denis Dawidow.

Denis Dawidow war vor dem Krieg Linien-Pilot und berichtet – inzwischen aus Deutschland – täglich über den Krieg in seinem Land. Hier zeigt er, wie ukrainische Kräfte versuchen, von Süden her den Druck auf Klischschtiwka zu erhöhen, das von russischen Truppen verstärkt worden ist.
Denis Dawidow war vor dem Krieg Linien-Pilot und berichtet – inzwischen aus Deutschland – täglich über den Krieg in seinem Land. Hier zeigt er, wie ukrainische Kräfte versuchen, von Süden her den Druck auf Klischschtiwka zu erhöhen, das von russischen Truppen verstärkt worden ist.
YouTube/Denys Davydov

«Es gibt schwere Kämpfe in der Region Donezk», meldet auch der ukrainische Präsident am 8. Juni. «Aber es gibt Ergebnisse, und ich bin jenen, die diese Resultate erreicht haben, dankbar.» In Bachmut werde gute Arbeit geleistet – «Schritt für Schritt», sagt Wolodymyr Selenskyj.

Auch die Russen beklagen Verluste

Wie ist der Rückschlag für Kiew zu bewerten? Die Verluste sind natürlich relativ: Zum einen hat Russland zuletzt deutlich mehr Zerstörung seines Kriegsmaterials hinnehmen müssen.

Russische Verluste von gepanzerten Fahrzeugen, Fahrzeugen, Panzern, Artillerie, Drohnen und Marschflugkörpern laut urkainischem Militär.
Russische Verluste von gepanzerten Fahrzeugen, Fahrzeugen, Panzern, Artillerie, Drohnen und Marschflugkörpern laut urkainischem Militär.

Durch diese Verluste auf der einen Seite und den westlichen Waffen-Lieferungen auf der anderen ist das Verhältnis zwischen den beiden Armeen heute ausgeglichener als noch zu Beginn des Krieges.

Unter den russischen Verlusten befinden sich auch Systeme, die bisher als besonders resistent galten – wie etwa das Flugabwehrsystem S-400. Hinzu kommt: Das Verhältnis beim Material wird sich weiter zugunsten Kiews verändern – etwa durch den baldigen Export Dutzender Leopard-1-Panzer.

Waffen-Update

Zudem ist Ersatz auf dem Weg: Noch vor der Zerstörung des deutschen Radars hat die Firma Hensoldt die Lieferung von vier weiteren Anlagen angekündigt. Italien kündigt an, mehr Flugabwehr vom Typ Samp/T in die Ukraine zu schicken.

Die USA wollen den Nachschub an entsprechenden Raketen sicherstellen: Weitere zwei Milliarden Dollar will Washington in Kiews Flugabwehr investieren. Apropos Munition: Deutschland versorgt die Ukraine mit DM53А1 für die Leopard-Panzer. Das sind Wuchtgeschosse mit einer Wolfram-Legierung, die auch schwere Panzerungen durchschlagen kann.

Aus Deutschland kommen weitere gute Nachrichten für Selenskyj: Rheinmetall restauriert im Auftrag der Bundesregierung 20 weitere Schützenpanzer vom Typ Marder. Ausserdem haben 8 Bandvagn 206 das Kriegsgebiet erreicht: Das schwimmfähige Kettenfahrzeug wird angesichts des Kachowka-Dammbruchs gute Dienste leisten.

Und was ist mit Russland? Auch Moskau bekommt neues Material: Ramsan Kadyrows Kämpfer nutzen nun offenbar chinesische Fahrzeuge vom Typ Tiger. Ausserdem bemüht sich der Kreml angeblich, russische Waffen und dazugehöriges Material aus Myanmar und Indien zurückzukaufen.