Lagebild Ukraine Bachmut eingekesselt? Vielleicht in Putins Träumen

Von Philipp Dahm

13.4.2023

Ukraine: Mit Soldaten im Schützengraben an der Front

Ukraine: Mit Soldaten im Schützengraben an der Front

Nahe der ostukrainischen Stadt Bachmut haben tiefe Schützengräben die landwirtschaftlichen Furchen auf den Feldern ersetzt. Ukrainische und russische Soldaten stehen sich hier an der Front gegenüber. Ausgehoben werden die Gräben per Hand, denn gro

12.04.2023

Russland meldet, Bachmut sei zu 80 Prozent eingenommen. Doch Kiew dementiert: Die blutige Schlacht um die Festung geht weiter. Im Süden sammeln sich angeblich ukrainische Truppen für die kommende Offensive.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Russland will Bachmut zu 80 Prozent erobert haben. Die Ukraine dementiert.
  • Tatsächlich rücken russische Truppen immer weiter vor. Die Eisenbahnstrecke ist die neue Verteidigungslinie, doch Moskau will diese mit dem Flammenwerfer TOS-1 brechen.
  • Die Front bei Awdijwka bleibt stabil.
  • Im Süden sammelt die Ukraine angeblich Truppen für die Gegenoffensive.

Alles wartet auf die ukrainische Gegenoffensive, doch wenn man der «Washington Post» Glauben schenken will, wird es noch Wochen dauern. Die Gründe: Es soll zu wenig Munition geben, es seien noch nicht genug westliche Waffen eingetroffen – und dann sind da noch die Pentagon-Leaks, wegen denen nun umdisponiert werden müsse. 

Die ukrainische Armee sucht nach Schwachstellen beim Gegner: «Wir testen sie», sagt ein Unteroffizier an der Front der US-Zeitung, «und natürlich machen sie dasselbe mit uns.» Das Problem: Je mehr Zeit vergeht, desto besser wird die Defensive des Gegners. «Neu mobilisierte Truppen werden nur zum Graben an die Front gebracht», erklärt ein 24-jähriger Hauptmann, «und sie verstärken ihre Position sehr gut.»

Ins selbe Horn stösst auch ein Oberstleutnant, der ein Panzer-Bataillon in Saporischschja kommandiert: Die Russen «verschanzen sich jeden Tag mehr und mehr», weiss Thunder. «Je länger wir warten, desto mehr sorge ich mich natürlich.» Auch wegen versteckter Sprengfallen: «Es gibt Minen auf beiden Seiten der Front. Wir haben viele gelegt und die Russen auch.»

Sind die Leaks bloss Blendgranaten?

In einem weiteren Artikel schreibt die «Washington Post» unter Berufung auf das jüngste US-Datenleck, dass das Weisse Haus sogar bezweifelt, dass die ukrainische Offensive viel bringen wird. Doch diese Informationen wie auch die Pentagon-Leaks insgesamt könnten Blendgranaten sein, die dem Kreml den Durchblick nehmen sollen.

Pentagon-Chef nach Datenleck: «Werden jeden Stein umdrehen»

Pentagon-Chef nach Datenleck: «Werden jeden Stein umdrehen»

Nach der Veröffentlichung brisanter US-Informationen zum Ukraine-Krieg bemüht sich die US-Regierung um Aufklärung.

12.04.2023

So fehlen demnach scheinbar auch Raketen für ukrainische S-300 Flugabwehr-Systeme, doch wer bei entsprechenden Einheiten nachfragt, bekommt zu Antwort, dass man gut gerüstet sei. Ein Schelm, wer an ein Ablenkungsmanöver denkt. «Reuters» berichtet in dem Kontext, die USA seien pessimistisch, dass der Krieg schnell beendet sein wird: Der Kampf werde laut Pentagon-Leaks bis «weit nach 2023» andauern.

Was derzeit einen Beginn der Offensive definitiv noch verunmöglicht, ist das Wetter: Solange Felder und Schützengräben schlammig sind, kann es keine schnellen Vorstösse geben. Auf die Schlacht um Bachmut hat das aber keine Auswirkungen.

Ein Schützengraben bei Bachmut am 5. April.
Ein Schützengraben bei Bachmut am 5. April.
Bild: Xua

Hier wird aktuell um Strassenzüge und Häuser gekämpft – und die russischen Kräfte rücken immer weiter vor. Doch eingenommen haben sie die Stadt noch nicht – auch wenn Moskau anderes vermeldet. Das Dementi kommt aus den eigenen Reihen: Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin teilt heute mit, es sei zu früh, von einer Umschliessung zu sprechen.

Erbitterter Widerstand in Bachmut

Was im letzten Lagebild Ukraine spekuliert wurde, hat sich als wahr herausgestellt: Die Verteidiger haben sich hinter die Bahnlinie zurückgezogen, die durch die Stadt führt. Moskau verbreitet, Russland kontrolliere mittlerweile 80 Prozent des Stadtgebiets.

$Armee-Sprecher Serhiy Cherevatyi, kontert: «Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die ukrainischen Verteidigungskräfte einen deutlich grösseren Teil von Bachmut kontrollieren.»

Tödlicher russischer Hinterhalt: Mehrere zerstörte ukrainische Fahrzeuge, darunter ein T-64-Panzer und ein amerikanischer Humvee, im Hinterland von Bachmut.
Tödlicher russischer Hinterhalt: Mehrere zerstörte ukrainische Fahrzeuge, darunter ein T-64-Panzer und ein amerikanischer Humvee, im Hinterland von Bachmut.
Screenshot: YouTube/Denys Davydov

Heikel ist die Lage für die Verteidiger an den Flanken: Die ukrainischen Soldaten haben zwar Verstärkung bekommen, um die Autobahn im Süden und den Vorort Kohromove im Norden freizuhalten, durch den ebenfalls eine Nachschublinie führt. Doch die ukrainischen Konvois sind dennoch anfällig für Hinterhalte, wie Bilder von einer zerstörten Kolonne zeigen. Und: Russland hat den brutalen Flammenwerfer TOS-1 an die Front verlegt.

Ukraine hält die Front bei Awdijwka

In Awdijwka 50 Kilometer weiter südlich ist die Lage für die Verteidiger entspannter. Im Norden der Stadt hat die russische Armee nach der Eroberung von Krasnohoriwka kaum Fortschritte erzielt.

Im Süden von Awdijwka hat der Kreml zwar neue Attacken angeordnet, doch die Felder dort sind vermint, sodass dort kaum Geländegewinne zu erwarten sind. Ein weiterer Vorteil für die Verteidiger: Hier sind Truppen der selbsternannten Donbas-Republiken am Werk, die schlecht ausgerüstet und ausgebildet sind.

Der russische Versuch, Awdijwka zu umschliessen, hat derzeit kaum Aussicht auf Erfolg.
Der russische Versuch, Awdijwka zu umschliessen, hat derzeit kaum Aussicht auf Erfolg.
Karte: Militaryland

Ganz im Süden der Front in Saporischschja sammeln sich angeblich ukrainische Truppen, während die russischen Kräfte ihre Verteidigung ausbauen: Einer der Schützengräben hat eine Länge von 70 Kilometer erreicht und soll sogar aus dem All zu sehen sein.

Ukrainer sammeln angeblich Truppen in Saporischschja

Gleichzeitig nimmt die ukrainische Artillerie wie auch die Luftwaffe weiter Truppenkonzentrationen und Munitions- und Waffenlager ins Visier. Dabei setzt Kiew offenbar auch die Hrim-2 Grom ein: Die ballistische Kurzstreckenrakete aus heimischer Produktion kann mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometer auch weit entfernte Ziele treffen.

Angebliche ukrainische Truppenkonzentrationen in Saporischschja.
Angebliche ukrainische Truppenkonzentrationen in Saporischschja.

Wie unterschiedlich es um die Motivation der Kriegsparteien steht, zeigen zwei Meldungen: «Business Insider» berichtet, dass Ukrainerinnen und Ukrainer freiwillig militärisches Training absolvieren, weil sie mit einer baldigen Einberufung rechnen. Russland verschiebt dagegen Truppen gegen ihren Willen: «Wir sind an die [Gruppe Wagner] verkauft worden», klagt ein Rekrut dem Portal «Astra».

Hunderte Rekruten aus der Region Luhansk sind demnach gefragt worden, ob sie sich den Söldnern anschliessen wollen. Als sie sich weigern, werden sie erst zusammengestaucht, dann eingesperrt und schliesslich zum Wagner-Eintritt gezwungen. «Wir haben keine Chance», wird ein Soldat zitiert. «Diejenigen, die nein gesagt haben, wurden bereits weggebracht. Ich weiss nicht, was jetzt mit ihnen passiert.»

Waffen-Update

Der Krieg in der Ukraine ist sowohl für Russland wie auch die Ukraine und den Westen eine Gelegenheit, Hand an die Technik des jeweils anderen zu legen. Als Beweis dient ein Bild vom September 2022 aus Louisiana: Da steht ein relativ moderner T-90A mit Reaktivpanzer, der einst im Dienst der 27. Garde-Mot-Schützenbrigade stand – und nun offenbar von US-Experten auseinandergenommen worden ist.

Gute Nachrichten für die Ukraine hat Mateusz Morawiecki parat: Der polnische Premier verrät Ukrinform, dass Washington Kiew mit noch mehr Durchschlagskraft ausstatten will. «Die Amerikaner werden die Ukraine mit weiteren Waffen versorgen. Im Besonderen haben wir über den Schützenpanzer Bradley und die Panzer Abrams gesprochen.»

Ein Thema bleibt weiterhin die Lieferung westlicher Kampfflugzeuge: Der ukrainische Premier Denys Schmyhal wiederholte bei einem Besuch in Washington die Bitte um F-15- und F-16-Jets. «Wir werden den Krieg gewinnen», zitiert ihn CNN, «aber um das schneller mit weniger Verlusten zu erreichen, braucht die Ukraine weiterhin intensive militärische Unterstützung.»

Der dänische Verteidigungsminister macht Kiew jedoch Hoffnung. Troels Lund Poulsen sagte bei einem Besuch in der Ukraine, westliche Jets könnten «in naher Zukunft» kommen. «Dänemark wird es nicht allein tun», so der Wortlaut laut Euromaidan Press. «Wir müssen es gemeinsam mit mehreren Ländern machen. Wir werden auch mit den Amerikanern darüber sprechen.»