Lagebild Ukraine«Wenn es so weitergeht, verlieren wir den Krieg»
Philipp Dahm
18.12.2024
Drohnenangriff auf Gebäude in Grosny
Am Sonntag wurden über Social-Media-Kanäle Videos veröffentlicht, die zeigen sollen, wie ukrainische Drohnen in Gebäude im russischen Grosny einschlagen. Unter anderem erklärte der Herrscher der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, dass die Stadt vom ukrainischen Militär ins Visier genommen worden sei. Kadyrow fügte hinzu, dass zwei ukrainische Drohnen von der Luftabwehr abgeschossen worden seien, und dass eine auf dem Gelände von Spezialeinheiten detonierte. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte zwar den Ort anhand der Gebäude und der Strassenverläufe bestätigen, die mit Satellitenbildern des Gebiets übereinstimmen. Reuters war allerdings nicht in der Lage, unabhängig zu überprüfen, wann die Videos gefilmt wurden. Tschetschenien ist eine im Nordkaukasus gelegene autonome Republik der Russischen Föderation.
17.12.2024
Die ukrainischen Streitkräfte sind im Hintertreffen. In Kursk steigt der Druck, bei Kupjansk und Tschassiw Jar tasten sich die Russen vor – und in Donezk verliert Kiew mächtig an Boden. Der dritte Kriegswinter wird hart.
Philipp Dahm
18.12.2024, 04:30
18.12.2024, 08:15
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Karten aus fünf Frontabschnitten zeigen, wie sich der Kriegsverlauf innert eines Monats verändert hat: Kupjansk, Tschassiw Jar, Pokrowsk, Kurachoew und Kursk.
Während sich die russische Armee in Kupjansk und Tschassiw Jar nur langsam vorankämpft, konnte Moskau in Donezk überraschend viel Boden gutmachen.
In Kursk werden Kiews Kräfte von allen Seiten attackiert. Darum ist der Winter für sie besonders nachteilig.
«Wenn es so weitergeht, verlieren wir den Krieg», warnt der frühere ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba.
Wer sich ein anschauliches Lagebild vom Krieg in der Ukraine machen will, sollte vergleichen, wie sich die Front innert eines Monats verändert hat. Das zeigt abseits des politischen Handelns, wer die Initiative hat und vorwärtsmacht.
Vier Abschnitte der Front stehen dabei im Fokus: Kupjansk (A) im Norden im Oblast Charkiw, Tschassiv Jar (B) und Pokrowsk (C) sowie Kurachowe (D), die alle im Oblast Donezk liegen.
Hier der jeweilige Vergleich zwischen dem 16. November und dem 16. Dezember. Insbesondere die letzten beiden Beispiele legen offen, dass die ukrainischen Streitkräfte viel Boden eingebüsst haben.
Kupjansk: Der Oskil ist überschritten
Mitte November steht die russische Armee im Norden der Front am Fluss Oskil und läuft theoretisch Gefahr, dass die Einheiten, die den Vorstoss durchführen, in der Flanke angegriffen werden.
Am 16. Dezember ist dieser Brückenkopf am Oskil breiter geworden. Nun droht nicht mehr der russischen Armee ein Angriff in den Flanken, sondern es könnte ein grosses Gebiet abgeschnitten werden, das die Gegenseite hält (C).
Die Kreml-Truppen konnten zwar nicht viel weiter an die Schlüsselstadt Kupjansk (B) heranrücken, aber dafür nördlich davon den Oskil queren (A). Werden sie nicht zurückgedrängt, könnten sich Wladimir Putins Soldaten Kupjansk von Westen her annähern und den Nachschub bedrohen.
Airborne troops of the 77th Airmobile Brigade, along with the "ACHILLES" UAV battalion, repelled a massive Russian armored assault in the direction of Borova, Kharkiv region. Using drones and other firepower, they destroyed several Russian tanks and BMPs. pic.twitter.com/MohOHAGCRR
Es ist bereits mehr als eineinhalb Jahre her, dass Bachmut gefallen ist: Seit der Eroberung der Stadt im Mai 2023 belagert die russische Armee das nur acht Kilometer entfernte Tschassiw Jar, das nach Osten hin von einem Kanal geschützt wird.
Mitte November konnten Moskaus Kräfte diesen überwinden und in den Vorort der Stadt einrücken. Einen Monat später haben sie sich bis zum Ortskern vorgekämpft.
Taschassiw Jar wird fallen. Genauer: das, was davon übrig ist.
Chasiv Yar, another Ukrainian city in ruins by the incessant battering of the Russian horde. pic.twitter.com/y8h7zpNMxZ
Mitte November ist die Frontlinie noch rund neun Kilometer von Pokrowsk entfernt. Die Stadt ist auf der Karte gut zu erkennen, weil dort wichtige Verkehrswege verlaufen. Neben einem grossen Bahnhof und entsprechenden Gleisen verläuft die Autobahn T0504 durch den Ort, der Pokrowsk mit Kostjantyniwka und Bachmut verbindet.
In den folgenden vier Wochen stösst die russische Armee weiter nach Osten vor, um sich Pokrowsk von Süden her anzunähern. Die Front ist am 16. Dezember nur noch vier Kilometer von der Stadt entfernt.
Putins Streitkräfte sind dem Fluss Solona gefolgt und stehen nun in der Siedlung Schewtschenko, die vor dem Krieg 1400 Einwohnende gezählt hat.
Russia LOST more tanks at Pokrovsk than any country in Europe has in its army. Think about that for a second. pic.twitter.com/64V9CnmvfK
Den deutlichsten Fortschritt hat der Kreml gleich südlich von Pokrowsk gemacht: Mitte November beginnt die russische Armee mit dem Angriff auf Kurachowe (A) am linken Ufer des gestauten Wowtscha-Flusses. Welyka Nowosilka (B) ist damals noch knapp zehn Kilometer von der Front entfernt.
Vier Wochen später halten die ukrainischen Streitkräfte nur noch den westlichen Teil von Kurachowe (A) – und sind in grosser Bedrängnis. Der Gegner hat auf der rechten Stausee-Seite das Dorf Star Terny erobert und bedroht die Verbindungstrasse N15, die nach Kurachowe führt, nicht nur von Süden. Auch im Südwesten der Stadt stechen russische Einheiten vor.
Während Kurachowe vom Nachschub abgeschnitten zu werden droht, läuten auch bei Kiews Kräften in Welyka Nowosilka (B) die Alarmglocken. Die Front steht unmittelbar vor dem Ort, und was passiert, wenn man sich zu spät zurückzieht, ist im Südwesten beim Dorf Makarivka (C) zu sehen, wo ukrainische Einheiten von der Gegenseite eingekesselt worden sind.
🤬 Kurakhove, today.
🤬 Another city becomes a ghost town. About 20,000 people lived there until our "former brothers" came to liberate us.
🤬 Why the hell can someone do this without any consequences?
Nun noch ein Blick in den nördlichsten aktiven Frontabschnitt: den Oblast Kursk, der laut Wladimir Putin bis zu Donald Trumps Amtsantritt am 20. Januar von gegnerischen Truppen befreit werden soll. So viel halten russisches Territorium Kiews Kräfte am 16. November.
Einen Monat darauf konnte die russische Armee gegnerische Geländegewinne beim Dorf Kremyanoe (C) ausgleichen, die ukrainischen Streitkräfte bei Veselivka wieder hinter die Grenze zurückdrücken (A) und südlich des Dorfes Plechowo (B) sogar selbst die Grenze überschreiten und einen Zipfel des Oblasts Sumy einnehmen.
Unten stehende Karte des US-Veteranen Chuck Pfarrer verdeutlicht gut, wie stark der Druck auf die Ukrainer ist, die sich vor allem dort halten können, wo Strassen ihren Nachschub sichern. Die Russen greifen überwiegend aus den Richtungen an, in denen sie zuletzt Gelände zurückgewinnen konnten. Ein Schönheitsfehler: Plechowo ist auf Pfarrers Karte falsch eingezeichnet.
KURSK OFFENSIVE /2230 UTC 15 DEC/ Ukrainian Marines wipe out Russian convoy. Russian/North Korean offensive operations in W driven back with Dual Purpose Improved Conventional Mentions (DPICMs: cluster bombs). pic.twitter.com/tjCpXMgZgF
Der Kreml kann den Druck in Kursk nur durch ausländische Verstärkung so hoch halten: Immer mehr Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken zeigen asiatische Männer in russischen Uniformen. Den unten stehenden Clip hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gepostet: Die Russen verstümmeln ihm zufolge gefallene Nordkoreaner, um deren Herkunft zu verschleiern.
Even after years of war, when we thought the Russians could not get any more cynical, we see something even worse.
Russia not only sends the North Korean troops to storm Ukrainian positions, but also tries to conceal losses of these people.
— Volodymyr Zelenskyy / Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) December 16, 2024
Dass Kiews Kräfte dem Druck noch lange standhalten können, darf bezweifelt werden. Der einziehende Winter erhöht den Nachschubbedarf der dortigen Einheiten. Gleichzeitig sorgt Schnee dafür, dass Fahrzeuge Spuren hinterlassen: So sind sowohl Lastwagen als auch Schützenpanzer für Drohnenpiloten leichter zu entdecken. Das hat Folgen.
Three damaged and abandoned M2A2 Bradley ODS-SA IFVs of the Ukrainian Armed Forces in the area of the village of Novoivanovka in the Sudzhansky district of the Kursk region, Russia.
Also in the frame are several burnt-out BTR-82A(T) vehicles.
Fazit: Vor dem dritten Kriegswinter plagen Kiew gewaltige Probleme. Die Ukraine muss ihre Energieinfrastruktur beschützen und hat gleichzeitig zu wenig Personal und Ausrüstung, um das Ruder an der Front herumzureissen. «Wenn es so weitergeht, verlieren wir den Krieg», warnt deshalb auch Ex-Aussenminister Dmytro Kuleba.
When asked if Ukraine should give up part of its territory to Russia, Trump responded he would address it after his first meeting, but emphasized that "there are no buildings, and people won’t return there." https://t.co/BFZ7cbe9Cupic.twitter.com/6hoiOLIq0k
Ob Trump etwas an diesem Lauf ändern wird? In gut einem Monat wird es sich zeigen.
Mord an General in Moskau: Ukrainischer Geheimdienst reklamiert Tat
Kiew, 17.12.2024: Nach dem Tod eines russischen Generals stellt der ukrainische Geheimdienst den Mord als seine Tat dar – das berichten mehrere Medien in Kiew unter Berufung auf Geheimdienstquellen.
Der General und sein Adjutant waren am Dienstagmorgen in Moskau getötet worden, als ein an einem Elektroroller versteckter Sprengsatz gezündet wurde. Der General war Chef der ABC-Abwehrtruppen Russlands und damit zuständig für den Schutz vor Gefahren durch atomare, biologische und chemische Kampfmittel.
In den vergangenen Tagen sind auf russischer Seite mehrere Personen getötet worden, die für die Kriegführung wichtig sind und die in der Ukraine als Kriegsverbrecher angesehen werden.