«Bürgerkriegsähnliche» Proteste im Iran Die Mullahs töten mittlerweile auch Kinder wie Kian (10) 

Von Philipp Dahm

18.11.2022

25'000 Unterschriften für Sanktionen gegen den Iran

25'000 Unterschriften für Sanktionen gegen den Iran

25'000 Schweizerinnen und Schweizer haben den Bundesrat zu Sanktionen gegen die iranische Regierung aufgefordert. Die Organisation Free Iran reichte am Dienstag in Bern zwei Petitionen ein als Zeichen der Solidarität mit der iranischen Bevölkerung.

15.11.2022

Ein Zehnjähriger wird erschossen, eine 17-Jährige vom Dach gestossen – und ein 20-Jähriger per Kopfschuss exekutiert: Das iranische Regime tötet gezielt Kinder und Jugendliche.

Von Philipp Dahm

Sein Name ist dieser Tage im Iran in aller Munde: Kian Pirfalak. Am 16. November ist der Zehnjährige auf der Strasse in Izeh unterwegs, als ihn eine Kugel in die Brust trifft und tötet. Bilder im Internet zeigen den leblosen Körper des kleinen Jungen auf dunklem Asphalt.

In einem herzzerreissenden Video ist der Knabe zu sehen, wie er «Im Namen des Gottes der Regenbogen» erklärt, er wolle Erfinder werden. Dabei lässt Kian ein selbst gebasteltes Boot in einer Schüssel voller Wasser fahren.

Das Kind ist heute Morgen in seiner Heimatstadt beigesetzt worden. Die Wut der Trauergemeinde in Izeh ist greifbar: Tausende haben sich versammelt und sehnen sich das Ableben ihres Staatsoberhauptes herbei – «Tod Chamenei», rufen die Menschen.

Ein ähnliches Bild heute Morgen in Tabriz: «Tod dem Diktator» und «Tod dem Kindermörder-Regime» rufen Iraner*innen, als sie Aylar Haghi das letzte Geleit geben. Wie Kiajn Pirfalak stirbt sie am 16. November: Angeblich stossen Paramilitärs die 17-jährige Medizinstudentin in ihrer Heimatstadt von einem Dach.

Wie gezielt das Regime tötet, zeigt auch der Fall von Hamidreza Rouhi. Der 20-Jährige wird am 17. November in Teheran per Kopfschuss aus dem Leben gerissen. Sein letzter Instagram-Eintrag: «Wenn sie das Internet für immer sperren, soll das mein letzter Post sein: Viva Frauen. Viva Leben. Viva Freiheit.»

Die Internet-Nutzung bleibt im Land eingeschränkt, denn die Proteste gegen die Regierung reissen auch zwei Monate nach dem Tod von Mahsa Amini am 16. September nicht ab. In Dutzenden Städten wird am 17. November demonstriert. Es gibt dabei mehrere Tote: Allein in Izeh sterben neben Kian Pirfalak ein 14-Jähriger und acht weitere Menschen.

«Bürgerkriegsähnliche» Szenen

Die Mullahs versuchen, das Blutbad in Izeh durch einen «Terrorakt» unbekannter Angreifer zu vertuschen, doch Familien der Opfer und Zeugen weisen das deutlich zurück: Sie benennen Basidsch-Milizen und Revolutionsgarden als Täter.

In Teheran, wo Polizisten inzwischen mit scharfer Munition auf Demonstranten schiessen, wird der Widerstand mittlerweile als furchtlos beschrieben, meldet die Nachrichtenagentur dpa. Und auch in den Provinzen spielten sich nach Schilderungen von Einwohnern inzwischen «bürgerkriegsähnliche» Szenen ab.

In der zentralen Metropole Isfahan sollen Unbekannte sogar drei Mitglieder der Basidsch-Milizen getötet haben, wie Staatsmedien berichten. Wie viele Opfer die landesweiten Unruhen schon gefordert haben, ist unklar. Die Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mit Sitz in den USA schreibt von mindestens 360 Toten – darunter 56 Minderjährige und 46 Sicherheitskräfte.

15 Jahr Haft für ein Mahsa-Amini-Schild

Die NGO Iran Human Rights in Norwegen geht von mindestens 342 Toten aus, von denen 43 Kinder sein sollen. Mindestens 16'000 Männer und Frauen sollen im Zuge der Unruhen inhaftiert worden sein. Mindestens fünf Personen sind zum Tod verurteilt worden. Gegen eine 26-Jährige, die am 19. September in Teheran ein Schild mit Mahsa Aminis Namen hochgehalten hat, wird eine Haftstrafe von 15 Jahren ausgesprochen.

Unter den Mullahs wächst derweil offenbar die Angst, dass sich Sicherheitskräfte oder ihre Familien an den Protesten beteiligen könnten. «Iran International» berichtet von einem entsprechenden Brief eines hochrangigen Kommandeurs. Hossein Safaralizadehs Schreiben zufolge gebe es im Machtapparat Mitglieder, die mit den Demonstranten sympathisierten. Entsprechende Vorfälle müssten umgehend gemeldet werden, fordert der Kommandant.

Neben den Sicherheitskräften geraten auch religiöse Einrichtungen mittlerweile unter Beschuss. In der Stadt Chomein wird das Geburtshaus von Ayatollah Khomeini angezündet, der wiederum 1979 die Islamische Revolution entfacht hat. In Qom wird gar die Theologische Hochschule der Stadt mit Molotow-Cocktails beworfen.