Iranischer Autor über die Proteste «Der Geist ist aus der Flasche»

Von Bruno Bötschi

17.10.2022

Proteste im Iran: Schülerinnen gehen auf die Strasse

Proteste im Iran: Schülerinnen gehen auf die Strasse

Schülerinnen gehen im Iran für ihre Rechte auf die Strasse. Dabei begeben sie sich in Gefahr: Sie müssen mit Verhaftungen rechnen.

10.10.2022

Behzad Karim Khani ist im Iran geboren. Der Schriftsteller floh im Alter von neun Jahren nach Deutschland. Mit blue News spricht er über die aktuellen Proteste, das Verhalten der Mullahs und die Freiheit des Fremdseins.

Von Bruno Bötschi

Behzad Karim Khani, wie geht es dir?

Wenn du diese Frage in Bezug auf das stellst, was gerade im Iran vor sich geht, muss ich sagen, dass es mir gut geht. Ich bin optimistisch, was den Ausgang dieses Kampfes angeht, der gerade auf den Strassen dort ausgetragen wird. Man kann bereits mit Sicherheit sagen, dass diese Veränderungen unumkehrbar sind.

Am 13. September wurde Mahsa Amini in Teheran verhaftet, weil sie das Kopftuch in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen haben soll. Nach allem, was man weiss, kam sie in der Obhut der Polizei zu Tode, was die Proteste im Iran auslöste. Was ging dir durch den Kopf, als du vom Tod der 22-jährigen Frau erfahren hast?

Natürlich war ich traurig, als ich davon gehört habe. Fakt ist aber: Solche tödlichen Übergriffe sind in der Vergangenheit immer wieder passiert. Dieses Grundrauschen des Terrors ist eine kranke Normalität. Im ersten Moment habe ich deshalb auch nicht erwartet, dass danach Proteste gegen das Regime das Land ergreifen könnten.

Du bist 1977 im Iran geboren und im Alter von neun Jahren mit deinen Eltern zusammen nach Deutschland geflohen.

Zur Person: Behzad Karim Khani
Valerie Benner

Behzad Karim Khani, geboren 1977 in Teheran, kam mit seiner Familie als Neunjähriger nach Deutschland. Seine Geschichte als Jugendlicher im Ruhrgebiet spiegelt sich in den beiden Protagonisten seines kürzlich erschienen Romanes «Hund Wolf Schakal». Anfang der 2000er Jahre zog Khani nach Berlin, wo er einer der Mitgründer des Open-Air-Techno-Clubs Bar 25 war. Seit 2012 ist er der Betreiber der Lugosi-Bar im Stadtteil Kreuzberg, zugleich arbeitet er seit einigen Jahren auch als Publizist.

Ich erlebte als Kind die Islamische Revolution mit, die 1979 zur Absetzung von Schah Mohammad Reza Pahlavi führte. Danach lebten meine Familie und ich sechs Jahre lang im Krieg.

Was machte das mit dir?

Als ich nach Deutschland kam, war ich ein erwachsenes Kind. Ich hatte ein Leben geführt, in dem Gewalt omnipräsent und selbstverständlich war.

Dein kürzlich erschienener und viel gelobter Debütroman «Hund Wolf Schakal» trägt autobiografische Züge. Stellst du dir manchmal vor, was aus dir geworden wäre, wenn du im Iran geblieben wärst?

Das ist eine dieser «Wer wäre ich im Dritten Reich gewesen?»-Fragen. Und genauso unmöglich zu beantworten. Gut möglich, dass ich mich auf die Seite des Regimes geschlagen hätte. Ich war schon sehr früh fasziniert von Soldaten und Waffen. Aber wie gesagt, ich weiss es nicht, wie mein Leben dann verlaufen wäre. Was ich hingegen weiss: Ich wäre kein Mitläufer gewesen.

Warum nicht?

Ich war schon immer ein Mensch, der Dinge nur dann tut, wenn er total überzeugt davon ist. Das ist ein roter Faden, der sich durch mein gesamtes Leben gezogen hat. Aber wovon ich überzeugt wäre, lässt sich nicht sagen. Es sind manchmal kleine Dinge, die alles entscheiden.

Warst du seit deiner Flucht je wieder im Iran?

Nein. Ich habe den Kontakt nie abgebrochen und habe bis heute Familie im Iran – zurückgekehrt bin ich aber nie mehr. Ich konnte auch deshalb nicht zurück, weil ich lange in Deutschland vorbestraft war und keinen deutschen Pass besitze. Meine Eltern hingegen sind vor fünf Jahren in den Iran zurückkehrt.

Was erzählen sie dir über die aktuelle Situation im Iran?

Meine Eltern sagen mir, dass die jetzigen Proteste anders sind und viel breiter als frühere Auseinandersetzungen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde ja schon mehrmals gegen das Regime der Mullahs aufbegehrt. Ich erinnere nur an die Grüne Bewegung 2009 oder die Benzinpreis-Proteste von 2017 und 2019.

Frauen fliehen bei einem Protest in Teheran vor der Polizei.
Frauen fliehen bei einem Protest in Teheran vor der Polizei.
Bild: Uncredited/AP/dpa

Was ist heute anders als früher?

Heute begehren Iraner*innen aus allen Schichten, allen Völkern Irans auf und fordern den Sicherheitsapparat der Islamischen Republik offen heraus. Ich denke, die junge Generation hat nicht nur wenig zu verlieren, sie hat auch nichts mehr mit den Werten der islamischen Revolution zu tun oder mit dem für viele ältere Iraner identitätsstiftenden Iran-Irak-Krieg. Wenn ich sage, dass sie mit den Kardashians mehr anfangen können als mit Ayatollah Ali Khamenei, dem Obersten Führer des Irans, dann auch, weil man den Einfluss von Popkultur und Internet nicht unterschätzen sollte.

Was ist sonst noch anders?

Eine andere Sache ist, dass es bei ihren Forderungen im Kern zunächst einmal um etwas ganz Wesentliches geht. Nämlich um ihre Würde. Um einfache Menschenrechte. Und dieses Mal gibt es ein einfaches, aber unendlich stark besetztes Symbol. Das Kopftuch. Jede Frau hat eins und das abzunehmen, ist ein unendlich einfacher, wie auch schwerwiegender Akt.

Kannst du das noch etwas genauer erklären?

Eine Grossmutter zum Beispiel, die ihren sechsjährigen Enkel ohne Kopftuch zum Kindergarten bringt, fordert damit das Regime in seiner Existenz heraus. Sie braucht keine Polizeiwache anzugreifen. Keine Molotowcocktails zu werfen. Dieser kurze Gang am Morgen reicht schon. Wie wichtig einfache Symbole sind, haben die Gelbwesten in Frankreich vorgemacht oder auch die MeToo-Bewegung. Ein Hashtag, fünf Buchstaben und der Mut, sich zu erkennen zu geben.

Auf «Spiegel Online» hast du kürzlich ein Essay über die aktuelle Situation im Iran publiziert. Dabei hast du erwähnt, dass die iranische Gesellschaft gut ausgebildet sei und mehr als 70 Prozent der Hochschulabgänger Frauen seien.

Im Iran gibt es heute viele Frauen, die in den höchsten akademischen Kreisen erfolgreich sind und Spitzenpositionen besetzen. Das ist dort auch möglich. Was sie sich denken, wenn ein greiser Mullah im Fernsehen erzählt, Erdbeben entstünden dadurch, dass Frauen im Westen keine Büstenhalter tragen, oder ähnlichen Schwachsinn, kann man sich denken.

Und die Frauen sind es, die bei den aktuellen Protesten, jetzt in den vordersten Reihen stehen.

Durch die Teilnahme von Frauen entsteht eine ganz andere Dynamik. Ein Polizist hat zum Beispiel deutlich weniger Skrupel, einen demonstrierenden Mann, der mit Steinen schmeisst, zu verprügeln, als die oben genannte Grossmutter.

Was denkst du, wie wird es weitergehen?

Ich weiss, für westliche Ohren muss das komisch tönen, aber ich höre über ausnahmslos alle iranischen Kanäle, dass der Geist aus der Flasche ist. Ich höre viel Optimismus, wenn auch eine Angst da ist, zu wie viel Blutvergiessen das Regime fähig ist.

Ayatollah Ali Khameneisagte kürzlich vor den Absolventen der Teheraner Polizeiakademie: «Der Kampf geht nicht um pro oder kontra Hidschab. Es geht auch nicht um den Tod eines jungen Mädchens. Viele, die den Hidschab nicht ganz korrekt tragen, gehören trotzdem zu den ernsthaften Anhängerinnen der Islamischen Republik. Bei der Diskussion geht es um die Unabhängigkeit und das Ansehen und die Stärke und Autorität des islamischen Irans.» Könnte diese Aussage ein erster Schritt zum Ende der Kopftuchpflicht und zu einer neuen Freiheit sein?

Khamenei geht es mit dieser Aussage vor allem um den Machterhalt. Er ist ein Machiavelli-Typ, weiss also sehr genau, wie und wann er sich in Position zu bringen hat und wann er wem was zu sagen hat. Die Sache ist nur die, er hat seit Jahrzehnten keinerlei Glaubwürdigkeit. Und die Iraner*innen wollen jetzt mehr als nur ein paar Reformen sehen. Es geht auch längst nicht mehr um das Kopftuch.

Behzad Karim Khanis viel gelobter Debütroman über das Schicksal zweier Brüder verbindet die Härte der Strasse mit der Melancholie iranischer Prosa.
Behzad Karim Khanis viel gelobter Debütroman über das Schicksal zweier Brüder verbindet die Härte der Strasse mit der Melancholie iranischer Prosa.
Bild: Hanser Verlag

Würdest du gern wieder einmal in den Iran reisen?

Ja. Der Iran ist ein wunderschönes Land, wo wahnsinnig tolle Menschen leben. Ich bin mir aber bewusst, dass ich dort genauso fremd bin wie in Deutschland. Vielleicht wäre ich im Iran sogar noch fremder als hier.

Du bist eine bekannte Persönlichkeit in Berlin. Du warst einer der Mitgründer des Open-Air-Techno-Clubs Bar 25 und betreibst seit 2012 die Lugosi-Bar im Stadtteil Kreuzberg, zugleich arbeitest du als Publizist. Ich denke, du hast also viele Freund*innen in der Stadt. Und trotzdem fühlst du dich fremd?

Du musst dir das so vorstellen: So wie wir Männer keine Ahnung haben, was es bedeutet ein Kind zu bekommen, so kann ich mir nicht vorstellen, was Heimat bedeutet. Aber gleichzeitig empfinde ich das nicht als Defizit.

Das musst du erklären.

Ich kenne zwar keine Heimat, aber trotzdem fehlt mir nichts. Was auch damit zu tun hat, dass ich die Freiheit, die das Fremdsein mit sich bringt, als ein unglaublich wertvolles Gut ansehe.

«Hund Wolf Schakal», Behzad Karim Khani, Hanser Berlin, 288 Seiten, ca. 30 Fr.


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