Wagner-Söldner packt aus «Leichen, mehr Sträflinge, mehr Leichen, mehr Sträflinge»

phi

2.2.2023

Wagner-Deserteur: «Es tut mir leid, dass ich in der Ukraine gekämpft habe»

Wagner-Deserteur: «Es tut mir leid, dass ich in der Ukraine gekämpft habe»

Er wolle über seine Erfahrungen im Krieg sprechen, damit «die Täter bestraft werden» für ihre Verbrechen in der Ukraine, sagte der nach Norwegen geflohene Ex-Kommandant der russischen Söldnertruppe im Reuters-Interview.

02.02.2023

Ein früheres Wagner-Mitglied erklärt, wie Exekutionen die eigenen Söldner einschüchtern, und ein russischer Oberleutnant enthüllt, wie Putins Armee Kriegsgefangenen misshandelt.

P. Dahm

Seine Flucht Mitte Januar hat Schlagzeilen gemacht: Nur im Bademantel hatte sich Andrei Medwedew über die Grenze nach Norwegen gerettet, während ihm russische Grenzwächter auf den Fersen waren. Der Deserteur der Gruppe Wagner hat Asyl beantragt, darf vorerst im Land bleiben und macht nun Front gegen die Söldnerarmee, der er einst diente.

Medwedew ist Waise. Er wurde wegen Raub in Russland zu vier Jahren Haft verurteilt, bevor ihn die Gruppe Wagner im Juli aus dem Gefängnis heraus rekrutierte – und ins kalte Wasser warf. «Wir bekamen keine taktischen Instruktionen», sagt Medwedew im CNN-Interview.  «Uns wurde bloss befohlen, die Stellung des Feindes zu erobern.»

Wie sie dieses Ziel erreichen, mussten sie selbst herausfinden. Er habe «sehr oft» erlebt, dass Wagner-Mitglieder für die Missachtung von Befehlen exekutiert worden seien, so Medwedew: «Es ging um die Frage, wie man neue Rekruten, die an der Front eintreffen und sehen, was dort passiert und nicht kämpfen wollen, überzeugt, trotzdem vorzurücken und zu kämpfen.»

Wer sich weigerte, sei darum vor den Augen aller anderen erschossen worden. Dass Zivilisten getötet worden seien, habe der 26-Jährige selbst nicht erlebt. «Wir Kämpfer hatten einen strengen Verhaltenskodex. Wenn diese Regeln gebrochen werden, gibt es eine Bestrafung.» Kameraden habe er dagegen sehr viele verloren.

Achtung, es folgt Beschreibung von Folter

«Ich konnte sie nicht zählen. Es gab einen konstanten Kreislauf. Leichen, mehr Sträflinge, mehr Leichen, mehr Sträflinge.» Dafür macht Medwedew den Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin verantwortlich, dessen Gebaren er mit seinen Aussagen öffentlich machen wolle.

Dass es in Russlands regulärer Armee nicht viel besser zugeht, beschreibt ein früherer russischer Oberleutnant der BBC. In Bilmak nordöstlich von Melitopol hat Konstantin Yefremov angeblich erlebt, wie mit Gefangenen umgegangen wird.

«Einer von ihnen gab zu, ein Scharfschütze zu sein», erklärt der Ex-Militär. «Als der russische Oberst das hörte, ist er durchgedreht. Er hat ihn geschlagen, ihm die Hosen runtergezogen und gefragt, ob er verheiratet wäre.» Als der Gefangene bejahte, soll der Oberst gesagt haben: «Jemand soll mir einen Mob bringen. Wir machen aus dir ein Mädchen und schicken das Video deiner Frau.»

Ich werde bis drei zählen und dir in den Kopf schiessen»

Ein Teil der Dehumanisierung ist demnach das Narrativ der faschistischen Ukraine: Einen anderen Gefangenen forderte der Oberst auf, ihm die Nationalisten seiner Einheit zu nennen. «Der Ukrainer verstand die Frage nicht. Er antwortete, dass er zur Marineinfanterie der ukrainischen Streitkräfte gehöre. Dafür schlugen sie ihm einige Zähne aus.»

Der Oberst habe dem Mann mit verbundenen Augen eine Pistole an die Schläfe gehalten. «Ich werde bis drei zählen und dir in den Kopf schiessen.» Yefremov: «Er zählte und hat dann nur auf beiden Seiten neben seinen Kopf geschossen. Der Oberst begann, ihn anzuschreien. Ich sagte: ‹Kamerad Oberst! Er kann sie nicht hören. Sie haben ihn taub gemacht.›»

Russische Soldaten Mitte Juni 2022 im Oblast Saporischschja.
Russische Soldaten Mitte Juni 2022 im Oblast Saporischschja.
AP

Yefremov wird schliesslich wieder nach Tschetschenien zurückverlegt, wo seine Minenräum-Einheit stationiert ist und tritt im Juni aus der Armee aus. Die Reaktion: «Offiziere, die nicht einen Tag in der Ukraine waren, nannten mich einen Feigling und Verräter. Sie würden mir nicht erlauben, auszutreten. Ich wurde entlassen.»

Als im September die Teil-Mobiliserung verkündet wird, plant Yefremov seine Flucht und verlässt Russland. Seine Geschichte belegt er der BBC mit Dokumenten und Fotos. Bei der Ukraine entschuldigt er sich für den Krieg. «Gott sei Dank habe ich niemanden verletzt. Ich habe niemanden getötet. Gott sei Dank wurde ich nicht getötet.»