«New York Times» vs. Surowikin Journalistisches Attentat auf russischen General

Von Philipp Dahm

28.6.2023

Lukaschenko – Prigoschin ist in Belarus

Lukaschenko – Prigoschin ist in Belarus

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat am Dienstag die Ankunft des russischen Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, in Belarus bestätigt. Prigoschin war im Fall einer Ausreise nach Belarus vom Kreml Straffreiheit zugesichert worden. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zufolge fuhren seine Kämpfer am Samstag bei dem bewaffneten Aufstand gegen Moskaus Militärführung 780 Kilometer durch Westrussland und kamen bis auf 200 Kilometer an Moskau heran.

28.06.2023

Die «New York Times» verbreitet, ein russischer General sei in Prigoschins Pläne eingeweiht gewesen. Für die für Sergei Surowikin gefährliche These gibt es zwar keine Beweise, doch ein Motiv, wie die Zeitung selbst zugibt.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die «New York Times» schreibt unter Berufung auf anonyme Offizielle, dass der russische General Sergei Sulowikin vorab über Jewgeni Prigoschins Marsch auf Moskau informiert war.
  • Beweise liefert die Zeitung nicht, sondern nur Erklärungsversuche, die sich widerlegen lassen.
  • Die «New York Times» räumt selbst ein, dass Washington ein Interesse daran hat, Surowikin zu diskreditieren.
  • Suworikins Absetzung wäre für die Ukraine von Vorteil, weil der General als «kompetenter und hemmungsloser» als seine Kollegen gilt.

Es ist schon ein starkes Stück, das die «New York Times» (NYT) bringt: «Russischer General wusste von Rebellionsplänen des Söldner-Chefs, sagen US-Offizielle» titelt das Medium.

Sergei Surowikin sei vorab vom Marsch auf Moskau informiert gewesen, behauptet die «NYT» und beruft sich auf anonyme Quellen, die das aus US-Geheimdienst-Berichten erfahren haben wollen. Diese Personen müssten nun herausfinden, ob der General auch in die Planung involviert gewesen sei.

General Sergei Surowikin war von Oktober 2022 bis Januar 2023 Oberkommandierender der russischen Truppen in der Ukraine, bevor er vom Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow abgelöst wurde.
General Sergei Surowikin war von Oktober 2022 bis Januar 2023 Oberkommandierender der russischen Truppen in der Ukraine, bevor er vom Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow abgelöst wurde.
Bild: EPA

Beweise für diese Aussage gibt es nicht, doch dafür Schlussfolgerungen: Surowikins Mitwissertum sei «das jüngste Zeichen der Grabenkämpfe, die die russische Militärführung seit dem Start von Putins Krieg in der Ukraine auszeichnet und ein Zeichen eines grösseren Bruchs». 

Als Erklärung für die These führt die «NYT» an, dass sich Surowikin und Prigoschin schon lange kennen würden, weil sie schon zusammen in Syrien gekämpft hätten. Der General sei frustriert, weil er nach dem erfolgreichen russischen Abzug aus Cherson auf dem Abstellgleis stehe.

Verschwörungstheorie: «Und plötzlich ist keiner da?»

Ein früherer US-Botschafter in Russland sagt, es müsse eine Verschwörung geben: «Denken Sie nur daran, wie einfach es war, Rostow zu übernehmen», sagt Michael McFaul. «Es gibt überall in Russland bewaffnetes Sicherheitspersonal, und plötzlich ist keiner da, um irgendwas zu tun?»

Surowikin mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu im Dezember 2022 an unbekanntem Ort.
Surowikin mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu im Dezember 2022 an unbekanntem Ort.
Bild: AP

Der Diplomat macht es sich jedoch ein bisschen einfach: Die Wagner-Truppe hat Rostow inklusive des Hauptquartiers für den südlichen Militärdistrikt im Handstreich genommen, zeigt das Protokoll des oppositionellen russischsprachigen Portals «Meduza» aus Riga auf. Am frühen Morgen sind die Söldner eingerückt, ohne dass es Widerstand gab.

Die Stadt hat – im Gegensatz zu Worononesch – keine Anti-Terror-Massnahmen eingeleitet. Im Hauptquartier hat Prigoschin nach der Übernahme der Stadt zunächst mit zwei hochrangigen Beamten verhandelt: dem stellvertretenden Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow und dem stellvertretenden Stabschef des Ministeriums, Wladimir Aleksejew.

Darum kam Wagner so leicht voran

Nach dem Scheitern dieser Verhandlung ziehen Prigoschin und ein Teil seiner Leute weiter. Als der Abzug der Wagner-Söldner bekannt gegeben wird, werden diese wie Helden verabschiedet. Als die lokale Polizei anschliessend wieder die Kontrolle übernimmt, wird sie sogar beschimpft: «Verräter» und «Schande» rufen ihnen die Leute angeblich entgegen.

Was McFaul übersieht: Es ist eine Sache, Jugendliche oder Soldatenmütter in Schach zu halten. Dass sich Polizei oder Heimatschutz jedoch einer Gruppe Wagner entgegenstellen, die schwere Waffen und jede Menge Kampferfahrung hat, ist schlicht unrealistisch. Das erklärt den fehlenden Widerstand – und Moskau hat schon reagiert: Nationale Sicherheitskräfte sollen nun auch schweres Gerät bekommen.

Dem Kreml steht schlicht nichts zur Verfügung, was man den Rebellen entgegenstellen könnte – ausser Helikopter und Flugzeuge, deren Piloten dann auch die einzigen 13 russischen Opfer des Aufstandes ausmachen. General Surowikin nimmt sogar ein Video auf, dass Prigoschin zur Aufgabe auffordert. Doch dazu sagt ein wieder anonymer Offizieller der NYT, die Körpersprache sehe aus wie bei einem «Geisel-Video».

Washington will Surowikins Ansehen schaden

Das ist mehr Interpretation und weniger Wissen. Und während sich die «NYT» auf den russischen General einschiesst, wird eine andere Information des Artikels wie ein Kollateralschaden präsentiert: Der Westen verfügt demnach nur über «anfängliche» Informationen – und will den Aufstand auch eigentlich gar nicht öffentlich kommentieren.

Der Grund: Es soll vermieden werden, Wladimir Putins Mär neuen Stoff zu geben, der Westen habe die Rebellion zu verantworten. Warum die Zeitung dennoch die kaum greifbare These aufwirft, Surowikin könnte ein Mittäter Pirgoschins sein, erklärt die «NYT» im gleichen Artikel.

«Amerikanische Offizielle haben ein Interesse daran, Informationen zu verbreiten, die das Ansehen von General Surowikin untergraben, den sie als kompetenter und hemmungsloser einschätzen als andere Mitglieder der Militärführung», schreibt die «NYT» selbst. «Ohne Zweifel» würde die Ukraine von einer etwaigen Entlassung profitieren.

Warum sich Putin dennoch sorgen muss

Wladimir Putin tut gerade alles, um den Eindruck zu erwecken, der Aufstand sei alleine Sache der Gruppe Wagner gewesen. In mehreren Ansprachen hat der russische Präsident die Armee, die Polizei und andere Sicherheitskräfte gelobt, die Seite an Seite gestanden hätten, um eine Rebellion zu verhindern.

Ausgezeichnet – mit dem Russischen Orden des Heiligen Georg, 3. Klasse: Wladimir Putin schüttelt am 31. Dezember Surowikin in Rostow die Hand.
Ausgezeichnet – mit dem Russischen Orden des Heiligen Georg, 3. Klasse: Wladimir Putin schüttelt am 31. Dezember Surowikin in Rostow die Hand.
Bild: AP

Nicht nur die Bilder aus Rostow sprechen eine andere Sprache, sondern auch Berichte, dass Piloten sich angeblich geweigert hätten, gegen Wagner aufzusteigen, oder dass die lokale Polizei dem Marsch bereitwillig Platz gemacht hätte. Prigoschins Vorwurf, das Verteidigungsministerium sei inkompetent, ist nun Allgemeingut – und kein Geheimnis mehr.

Für Putin müssen das alles Alarmzeichen sein. Ob Surowikin auch ein Grund für ihn ist, sich zu sorgen, wird sich zeigen. Die «NYT» hat jedenfalls alles dafür getan, dass der General in Misskredit gebracht wird.