Johnson unter DruckProteste, Lügen und weitere Rücktrittsforderungen
dpa
18.1.2022 - 17:16
Die einen nehmen ihm die Büro-Party übel, die Regierungsmitglieder im Lockdown gefeiert haben. Die anderen sind sauer auf Boris Johnson, weil er gerade Gesetze anziehen will. Es wird langsam eng für den Premier.
DPA
18.01.2022, 17:16
Die Affäre um Partys im britischen Regierungssitz Downing Street während den strengen Lockdowns im vergangenen Jahr wird immer bedrohlicher für Premier Boris Johnson. Gleichzeitig regt sich Widerstand gegen Johnsons neues Polizeigesetz, das Rechte massiv einschränke, wie Kritiker monieren.
Der ehemaliger Chefberater Dominic Cummings hatte dem Premier am gestrigen Montagabend vorgeworfen, im Parlament gelogen zu haben. Ein Regierungssprecher wies die Behauptungen Cummings' umgehend zurück, trotzdem stand der Skandal am Dienstag erneut im Fokus der Medien.
Justizminister Dominic Raab bestätigte im BBC-Fernsehen, wissentliches Lügen im Parlament sei ein Rücktrittsgrund. Die Behauptungen von Cummings seien aber «Unsinn», fuhr Raab fort. Gleichzeitig schien er jedoch auch selbst versehentlich von einer Party in der Downing Street zu sprechen, korrigierte sich aber rasch.
Berater zu Aussage gegen Johnson unter Eid bereit
Vergangene Woche hatte der Premier im Parlament eingestanden, bei einem Event mit Dutzenden Mitarbeitern im Garten von 10 Downing Street im Mai 2020 dabei gewesen zu sein. Er behauptete aber, die Veranstaltung, zu der sein Privatsekretär mit dem Hinweis «bringt euren eigenen Alkohol mit» eingeladen hatte, für ein Arbeitstreffen gehalten zu haben.
Johnson wegen Partys unter Druck
Der Druck auf Boris Johnson wächst. Der britische Premierminister ist wegen einer Reihe von Skandalen immer stärker angeschlagen. Anlass sind Medienberichte über Hinweise zu immer zahlreicheren Partys in seinem Amtssitz in der Downing Street in London.
18.01.2022
Die Mail will er laut einer Sprecherin nicht gesehen haben. Er entschuldigte sich lediglich für den Eindruck, der entstanden sei, gab aber keinen Regelbruch zu. Zuvor hatte Johnson im Parlament beteuert, von Lockdown-Partys im Regierungssitz überhaupt nichts mitbekommen zu haben. Aber Cummings gab dagegen an, ihn ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, dass es sich um einen Bruch der Lockdown-Regeln handle.
Johnson habe das aber beiseite gewischt. Cummings war Ende 2020 im Streit aus der Regierung ausgeschieden und veröffentlicht seitdem reihenweise unangenehme Insider-Details aus seiner Zeit in der Downing Street. Er und andere Augenzeugen seien bereit, unter Eid auszusagen, um den Premier zu belasten, sagte der frühere Wahlkampfstratege und Chefberater weiter.
Oberhaus kontert Johnsons Polizeigesetz
Ein weitere Baustelle der Regierung ist durch das geplante britische Polizeigesetz. Autoritär, reaktionär, repressiv: Die Kritik im Oberhaus an möglichen Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit hätte kaum beissender sein können. Die Mitglieder des House of Lords fügten der Regierung von Premierminister Boris Johnson in der Nacht zum Dienstag eine Abstimmungsniederlage nach der anderen zu.
Doch das Polizeigesetz ist nur Teil eines grösseren Angriffs auf Demokratie und Gewaltenteilung, warnen Kritiker. Mit grosser Mehrheit lehnten die Lords mehrere Paragrafen im Entwurf des geplanten neuen Gesetzes ab. Darin waren beispielsweise erhebliche Einschränkungen von Protesten vorgesehen, wenn diese nach Ansicht der Polizei eine Lärmbelästigung darstellen oder Verkehrswege blockieren. Sie halten die Regelungen für viel zu weit gefasst.
Innenministerin Priti Patel warf der Opposition am Dienstag hingegen vor, mit ihrem Widerstand «Vandalen und Gangster» zu verteidigen. Mit der «Police, Crime, Sentencing and Courts Bill» will die Johnson-Regierung Klima- und Antirassismusproteste in die Schranken weisen, die in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht hatten.
Lords schmettern «drakonische Gesetze» ab
Der Gesetzentwurf durchlief in der Nacht zum Dienstag das letzte Stadium im Oberhaus - und soll anschliessend wieder ins Unterhaus zurückkehren. Erwartet wird, dass die Regierung die Änderungen der Lords bei den Commons wieder weitgehend rückgängig macht. Im sogenannten Pingpong wird ein Gesetzestext solange zwischen den beiden Kammern hin und her gespielt, bis es eine Einigung gibt.
Ein Sprecher des Premierministers sagte heute jedoch, man werde über das Ergebnis der Abstimmungen «reflektieren». Kritiker fürchten, die vage gehaltenen Vorschriften und Befugnisse für die Polizei könnten Anlass geben, jegliche Demo als unrechtmässig aufzulösen. «Das sind drakonische Gesetze, die einen umfassenden Angriff auf unsere Demokratie darstellen», sagte Jenny Jones von den Grünen bei der Debatte am Montagabend.
Der Bischof von Leeds, Nick Baines, der ebenfalls im House of Lords sitzt, verwies auf Mahatma Ghandi und Nelson Mandela, zu deren Ehren auf dem Platz vor dem britischen Parlament Statuen errichtet wurden: Ihr Protest, so Baines, hätte unter diesen Umständen nicht stattfinden können.
Keine Lust auf unabhängige Kontrolle
Für heftige Kritik sorgte auch, dass die Regierung Teile der geplanten Gesetzgebung erst in letzter Minute einfügt hatte, ohne dass im Unterhaus darüber abgestimmt werden konnte. Doch das geplante Polizeigesetz ist bei Weitem nicht das einzige Instrument, mit dem die Regierung Johnson nach Ansicht ihrer Kritiker versucht, die Grundfesten der ungeschriebenen britischen Verfassung zu untergraben.
Unter anderem soll die Normenkontrolle in dem Land nach dem Willen der Tories stark eingeschränkt werden. Die Macht der Justiz, Entscheidungen der Regierung auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen, will Justizminister Dominic Raab mit einer Justizreform brechen. Seine «Judicial Review and Courts Bill» sieht Berichten zufolge vor, dass die Regierung unliebsame Gerichtsurteile einfach ignorieren kann.
Die Kontrolle durch die Justiz ist der Regierung Johnsons spätestens ein Dorn im Auge, seit der Supreme Court im Jahr 2019 die von Johnson auferlegte Parlamentspause für rechtswidrig erklärte. Ein weiteres Raab-Projekt sieht vor, der Europäischen Menschenrechtskonvention abzuschwören und sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg zu entziehen.
Was sich beim Wahl- und Bleiberecht ändern soll
Mit der «Nationality and Borders Bill» will Innenministerin Priti Patel es für illegal eingereiste Asylbewerber nahezu unmöglich machen, ein Bleiberecht in Grossbritannien zu erlangen. Für viel Kritik sorgte auch ein Gesetzentwurf zur Reform des Wahlrechts, der von der Regierung am Montag dank ihrer satten Mehrheit durchs Unterhaus gepeitscht wurde.
Die «Elections Bill» sieht eine Pflicht zur Vorlage eines Identitätsnachweises für die Teilnahme an der Parlamentswahl vor, um Wahlbetrug zu verhindern. Die Opposition wittert dahinter jedoch den Versuch, die Wahlbeteiligung zugunsten der Tories zu beeinflussen. In Grossbritannien gibt es keine Ausweispflicht und keinen Personalausweis. Weniger wohlhabende Wähler, die sich keine Auslandsreisen leisten können, haben daher seltener einen Reisepass.
Vor dem Parlament versammelten sich am Montagabend Demonstranten, die unter dem Motto «Kill the Bill» (Tötet den Gesetzentwurf) gegen die Einschränkungen des Versammlungsrechts lautstark demonstrierten. Ob das auch in Zukunft möglich sein wird, dürfte nun ausgerechnet von der ungewählten Kammer des britischen Parlaments abhängen.
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