Neue Langstrecken-Waffen Die Ukraine könnte nun auch Ziele in Russland angreifen

Von Philipp Dahm

17.5.2023

Waffen für die Ukraine: Alle reden von «Roten Linien» – und alle überschreiten sie

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Artillerie? No-Go! Luftabwehr? Eskalation! Panzer? Grenzüberschreitung! Beim Krieg in der Ukraine werden mit Blick auf Waffenlieferungen immer wieder «Rote Linien» gezogen. Was hat es damit auf sich?

08.02.2023

Gerade noch waren Langstrecken-Waffen für den Westen eine «rote Linie» – nun liefert Paris den Marschflugkörper Scalp und London neben der Storm Shadow Kamikaze-Drohnen mit 200 Kilometer Reichweite.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nachdem London die Storm Shadow mit über 250 Kilometer Reichweite an die Ukraine geliefert hat, zieht Paris nach.
  • Die französische Version der Storm Shadow heisst SCALP und soll über 400 Kilometer weit fliegen können.
  • Weil diese Marschflugkörper relativ teuer sind, will Grossbritannien die Ukraine mit Kamikaze-Drohnen unterstützen, die angeblich günstig sind und über 200 Kilometer zurücklegen können.
  • Die Langstrecken-Waffen sind für Kiew wichtig, weil Russland Mensch und Material einfach hinter die 80-Kilometer-Linie verlegen musste, die bisher maximale Schlagdistanz waren.

Noch vor wenigen Wochen stellte die Lieferung von Raketen mit hoher Reichweite eine «rote Linie» für den Westen dar: Wie wird Wladimir Putin darauf reagieren? Was, wenn Kiew damit Ziele in Russland angreift?

Bis vor Kurzem reichte die Schlagdistanz nicht über 80 Kilometer hinaus: So weit kann die amerikanische Himars-Artillerie mit der Munition schiessen, die der Ukraine zur Verfügung steht. Das weiss auch der Kreml – und positioniert wichtige Lager, Depots und Kasernen einfach in einem angemessenem Abstand.

Für eine erfolgreiche ukrainische Offensive sind Waffen mit grösserer Reichweite deshalb essenziell. Bevor diese beginnt, müssen ebenjene Konzentrationen von gegnerischem Material zerstört werden, bevor die Bodentruppen mit dem Vorstoss beginnen. Grossbritannien hat in dieser Situation ein Einsehen – und schickt heimlich seine Storm Shadow ins Kriegsgebiet.

Ein Tornado GR4 der Royal Air Force hebt im Januar 2019 auf Zypern ab. Zentral an seinem Rumpf trägt der Jet zwei Storm-Shadow-Raketen mit.
Ein Tornado GR4 der Royal Air Force hebt im Januar 2019 auf Zypern ab. Zentral an seinem Rumpf trägt der Jet zwei Storm-Shadow-Raketen mit.
Bild: WikiCommons/Davidsmith2014

Neue Ziel im Visier

Und Frankreich zieht nun nach: Wie Präsident Emmanuel Macron in einem Interview mit dem TV-Sender TF1 verkündet, werde das nächste militärische Hilfspaket Marschflugkörper mit hoher Reichweite beinhalten. Es dürfte sich dabei um die Scalp handeln, von denen die französische Luftwaffe 1998 500 Stück bestellt hat.

Die Scalp ist die französische Variante der gemeinsam entwickelten Storm Shadow. Die britische Version hat eine Reichweite von 250 Kilometer, die Schwester-Rakete soll sogar 400 Kilometer weiter fliegen können. Hinzu kommen nun auch britische Kamikaze-Drohnen, die eine Reichweite von 200 Kilometer haben sollen.

Die Storm Shadow befindet sich bereits in der Ukraine: Sie soll erstmals bei einer Attacke auf russisch besetztes Gebiet in Luhansk zum Einsatz gekommen sein, wo rund 100 Kilometer hinter der Front ein Gebäude angegriffen worden ist.

Erste Ziele in Luhansk angegriffen

Wer nun einwirft, dass die neue Waffe eher im Süden eingesetzt werden müsste, wo die kommende Gegenoffensive vermutet wird, vergisst, dass Kiew das Überraschungsmoment nutzen muss.

Lagebild Ukraine Hier könnte die ukrainische Offensive zuschlagen

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Wichtiges russisches Material kann von der Ost-Ukraine einfach weiter nach Osten verlegt werden – und ist dann ausser Schlagweite. Die Truppen im Süden der Ukraine haben aber kaum Tiefe, um sich zurückzuziehen. Um diese kann sich die ukrainische Armee auch später noch kümmern.

Ein Einsatz gegen einzelne Flugabwehr-Stellungen oder Artilleriegeschütze lohnt sich übrigens nicht: Die Kosten für Scalp und Storm Shadow werden mal mit 850'000 Euro und mal mit 2,5 Millionen Dollar angegeben.

Billige Täusch-Flugkörper und günstige Kamikaze-Drohnen 

In der Ukraine kommen die Marschflugkörper offenbar im Zusammenspiel mit amerikanischen Radarköder-Drohnen zum Einsatz. Der wenige Zehntausend Dollar teure Täusch-Flugkörper ADM-160 MALD hat ebenfalls ein Düsentriebwerk, kann mit GPS oder intern navigieren und ist rund 1000 km/h schnell.

Doch während sich Scalp und Storm Shadow dabei durch Tarn-Elemente möglichst unsichtbar machen und tief über dem Boden fliegen, stört MALD das generische Radar und gaukelt ihm mehrere Ziele vor, um den Weg für Flugkörper mit Sprengstoff freizumachen. Von diesem können Scalp und Storm Shadow 450 Kilogramm mitführen und auch in Bunker einbrechen.

Neben diesem Pfund will London Kiew mit einer weiteren Waffe unterstützen, die über 200 Kilometer Reichweite haben soll, aber nur einen Bruchteil der Marschflugkörper kostet. Wie der «Telegraph» berichtet, hat Grossbritannien die Lieferung von Kamikaze-Drohnen aus heimischer Produktion zugesagt.

Es handelt sich demnach um eine One-Way-Waffe, deren «wichtigster Zweck das Tragen von Munition» sei: «Die wurden schnell entwickelt und angepasst – bei signifikant tieferen Kosten als bei anderen», sagt eine Quelle. Zur Traglast wird ergänzt: «Sie haben einen vergleichbaren Effekt wie eine Artilleriegranate.» Die Drohnen sollen angeblich jedoch erst «in den kommenden Monaten» geliefert werden.

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