Bidens Angriff auf die Republikaner Wie gefährdet ist die US-Demokratie wirklich?

Von Oliver Kohlmaier

2.9.2022

Biden: Donald Trump und Anhänger bedrohen Grundlagen der Republik

Biden: Donald Trump und Anhänger bedrohen Grundlagen der Republik

Die Rede in Philadelphia markiert eine Verschärfung der Wahlkampfreden Bidens vor den Zwischenwahlen im November, in denen die Demokraten ihre knappen Mehrheiten im Kongress und Senat verlieren könnten.

02.09.2022

Mit Attacken auf die Republikaner hielt sich US-Präsident Biden bislang auffallend zurück. Nun geht er auf Angriff über und wirft Trump und seiner Gefolgschaft Extremismus und sogar «Halb-Faschismus» vor. Hat er recht?

Von Oliver Kohlmaier

Das Team von Joe Biden hat diesen Ort vermutlich nicht zufällig ausgewählt: Vor der Unabhängigkeitshalle in Philadelphia und zur besten Sendezeit sprach der US-Präsident über die amerikanische Demokratie — genauer: Über deren drohenden Niedergang

Biden tritt in diesen Tagen ungewohnt angriffslustig auf. Erst kürzlich warf er einem Teil der Republikaner «Halb-Faschismus» vor. Nun legt er nochmal kräftig nach.

Mit eindringlichen Worten ruft er zur Verteidigung der amerikanischen Demokratie auf. Einen Namen nennt er dabei auffällig oft: Donald Trump. Zuvor hatte er dies noch weitgehend vermieden und etwa von «dem früheren Typen» gesprochen. Überhaupt, so scheint es, nimmt Biden kaum mehr ein Blatt vor den Mund.

Trump und dessen «Maga-Republikaner», so der US-Präsident, repräsentierten einen Extremismus, der die Grundfesten der Republik bedrohe. Maga steht für «Make America Great Again» («Macht Amerika wieder grossartig») und war der Slogan von Donald Trump im Wahlkampf 2016.

US-Präsident Joe Biden spricht vor der Independence Hall in Philadelphia und warnt in eindringlichen Worten vor einem Niedergang der Demokratie in seinem Land.
US-Präsident Joe Biden spricht vor der Independence Hall in Philadelphia und warnt in eindringlichen Worten vor einem Niedergang der Demokratie in seinem Land.
Evan Vucci/AP/dpa

Der US-Präsident hat also den Pfad der Zurückhaltung verlassen. Ist seine  Rede angesichts der anstehenden Zwischenwahlen also nur Wahlkampf, oder ist die US-Demokratie wirklich so gefährdet, wie es Joe Biden darstellt? 

«Anti-demokratische und populistische Züge»

Wie viele seiner Kolleg*innen sieht auch der Politikwissenschaftler Manfred Elsig bei den Republikanern eine besorgniserregende Entwicklung:« Nur schon die Tatsache, dass die Präsidentschaftswahlen als ‹gestohlen› betrachtet werden und die Wahl Biden als illegal bezeichnet wird, ist äusserst anti-demokratisch», schreibt der Forscher vom World Trade Institute auf Anfrage von blue News. Der Versuch, den friedlichen Machtübergang dann mit Gewalt zu stoppen, sei demnach ein weiteres,  «alarmierendes Zeichen».

Die Trump-Fraktion habe die Republikanische Partei übernommen und weise «immer mehr anti-demokratische und populistische Züge» auf, erklärt Elsig und fügt hinzu: «Zurzeit hat Trump und seine fanatische Basis die Partei fest im Griff.» So werde etwa der Rassismus angeheizt, gegen Einwanderer gelästert, Minderheiten unterdrückt und die Medien als Feinde des Volkes bezeichnet.

Probleme beim Wahlsystem

Die Probleme der amerikanischen Demokratie liegen gleichwohl viel weiter zurück. So hat etwa das sogenannte Gerrymandering, also das vorteilhafte Zuschneiden der Wahlkreise auf die jeweils eigene Wählerschaft, das Vertrauen in das Wahlsystem erodiert. Gleichwohl nahmen autoritäre Tendenzen spätestens mit Trump und seinen rechtsnationalen Anhängern an Fahrt auf.

Schon lange weise die Politikwissenschaft auf Probleme mit dem Wahlsystem hin, schreibt Elsig. Auch hier tun sich die Republikaner hervor. Sie hätten es demnach geschafft, mithilfe von «Wahlkreisreformen und anderen Tricks die Mehrheiten in Parlamenten in Bundesstaaten für sich zu sichern, obwohl demokratische Wählerinnen und Wähler in der Mehrheit sind».

Heftige Reaktionen des politischen Gegners

Die Republikaner selbst sind da natürlich ganz anderer Meinung. Giftige Reaktionen auf Bidens Rede liessen nicht lange auf sich warten. Der berüchtigte Moderator Tucker Carlson von Fox News warf dem US-Präsidenten sogar Nazi-Methoden vor.

Der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im Repräsentantenhaus Kevin McCarthy drehte den Spiess kurzerhand um und warf Joe Biden seinerseits einen Angriff auf die amerikanische Demokratie vor. So habe der US-Präsident das Justizministerium politisch missbraucht und einen «Überfall» auf das Privathaus seines wichtigsten Konkurrenten durchgeführt. 

Der Trump-Getreue und einflussreiche Senator der Republikaner erklärte etwa, im Fall einer Verurteilung Donald Trumps seien «Strassenkämpfe» zu erwarten. Es braucht nicht viel Vorstellungsvermögen, um dies als indirekten Aufruf zur Gewalt zu verstehen.

Was der damit meint, lässt sich aktuell exemplarisch an der Entwicklung rund um die Hausdurchsuchung in Trumps Anwesen Mar-a-Lago beobachten.

Wie aufgeheizt die Stimmung ist, zeigt sich auch in den sozialen Medien. So berichtet etwa die «Washington Post» von zahlreichen Interaktionen, in denen Trump-Anhänger*innen von einem Bürgerkrieg fantasierten und davon, sich mit Munition einzudecken. Zudem rechne einer Umfrage der University of California rund die Hälfte (50,1 Prozent) mit einem Bürgerkrieg «in den nächsten Jahren».

Demokraten dürfen wieder hoffen

Indessen darf die vehemente Rede durchaus auch als Bidens ganz persönlicher Wahlkampfauftakt gesehen werden.

Zuletzt sind die Hoffnungen der Demokraten gestiegen, das lange Zeit vorhergesagte Wahldebakel noch abwenden zu können. Umfragen zeigen. nun bessere Aussichten als noch vor einigen Monaten.

Unter anderem setzt die Partei darauf, dass Tump-treue Kandidaten bei den Wählern weniger gut ankommen könnten, als vom Ex-Präsidenten und seinem Lager erwartet.

Wie sich zeigt, wird Donald Trump einmal mehr zur entscheidenden Figur sowohl bei den Midterms als auch bei den kommenden Präsidentschaftswahlen, wenngleich er seine Kandidatur noch gar nicht bekanntgegeben hat — und im Falle einer Verurteilung auch gar nicht antreten kann.

Gleichwohl wäre die amerikanische Demokratie dann nicht weniger gefährdet: «Eine Verurteilung würde ihn wahrscheinlich aus dem Rennen für die nächste Präsidentschaft nehmen, aber gleichzeitig zu Unruhen führen», schreibt Elsig und fügt hinzu:

«Wenn Trump jedoch nicht antritt, steht der Gouverneur von Florida bereit, die populistische Politik fortzuführen.»