Mann an Baukran erhängt Iran sorgt mit neuer Hinrichtung von Demonstranten für Entsetzen

Von Ansgar Haase, dpa

12.12.2022 - 19:13

Eine Frau hat einen Galgen auf ihr Gesicht gemalt, um während der Demonstration in Barcelona an die Ermordung von Mohsen Shekari zu erinnern. 
Eine Frau hat einen Galgen auf ihr Gesicht gemalt, um während der Demonstration in Barcelona an die Ermordung von Mohsen Shekari zu erinnern. 
Archivbild vom 10.12.2022: Ximena Borrazas/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Mit der Hinrichtung eines zweiten Demonstranten spitzt sich die Lage im Iran weiter zu. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, heisst es von Systemgegnern. In Brüssel werden unterdessen weitere Sanktionen verhängt – auch, aber nicht nur wegen Menschenrechtsverletzungen.

Die erneute Hinrichtung eines Demonstranten im Iran hat in Europa für Entsetzen und Empörung gesorgt. Die Aussenminister der EU-Staaten verurteilten am Montag geschlossen die Exekution des wegen «Kriegsführung gegen Gott» angeklagten Madschid-Resa R. und forderten die sofortige Annullierung aller noch nicht vollstreckten Todesurteile. Zudem wurden weitere Sanktionen verhängt – einerseits wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen rund um die seit bald drei Monate andauernden Proteste im Iran, andererseits wegen der iranischen Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine.

Die Sanktionen wegen der Menschenrechtsverletzungen treffen nach dem Beschluss der Aussenminister 20 Personen sowie die staatliche Rundfunkgesellschaft IRIB. Letzterer wird von der EU vorgeworfen, aktiv an der Organisation und Ausstrahlung von durch Einschüchterung und schwere Gewalt erzwungenen «Geständnissen» von Regimekritikern beteiligt zu sein. Diese «Geständnisse» werden demnach häufig im Anschluss an öffentliche Proteste oder vor einer Hinrichtung ausgestrahlt, um ein Aufbegehren der Öffentlichkeit gering zu halten.

EU reagiert mit Sanktionspaket

Unter den betroffenen Personen sind laut EU-Amtsblatt unter anderem Befehlshaber des Korps der Iranischen Revolutionsgarden. «Wir haben mit dem Sanktionspaket insbesondere diejenigen in den Blick genommen, die für diese Hinrichtungen, die für diese Gewalt gegen unschuldige Menschen verantwortlich sind», sagte Bundesaussenministerin Annalena Baerbock am Montag in Brüssel. Die Exekutionen bezeichnete sie als unglaubliche Verbrechen und als unverhohlenen Einschüchterungsversuch gegen Menschen, die ihre Meinung auf die Strasse tragen. Sie seien ohne einen fairen Prozess erfolgt.

Kurz vor dem Beginn des Aussenministertreffens war bekannt geworden, dass iranische Behörden im Zuge der systemkritischen Proteste einen zweiten Demonstranten hinrichten liessen. Madschid-Resa R. wurde nach Angaben der Justiz am Montag in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt. Der Mann soll während der Proteste im November zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einem Messer getötet haben.

«Wer Wind sät, wird Sturm ernten»

Zuvor war am vergangenen Donnerstag bereits der Rap-Musiker Mohsen S. hingerichtet worden. Seine Exekution war die erste gewesen, die im Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten seit Mitte September bekanntgeworden war. Mohsen S. soll ein Basidsch-Mitglied mit einer Waffe angegriffen, Schrecken verbreitet und eine Strasse blockiert haben.

Die Nachricht der Hinrichtung löste im Iran Empörung und Wut aus. «Wer Wind sät, wird Sturm ernten» oder «Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen» waren Reaktionen der Systemgegner in sozialen Medien. Die regierungsnahe Tageszeitung «Resalat» schrieb hingegen: «Begnadigung ist gut, aber im Islam ist Gerechtigkeit wichtiger».

44 Kinder und Jugendliche von Sicherheitskräften ermordet

Auslöser der derzeitigen Proteste im Land war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie starb am 16. September im Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen Verstosses gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Seit ihrem Tod demonstrieren landesweit Zehntausende gegen den repressiven Kurs der Regierung sowie das islamische Herrschaftssystem.

Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden bisher mindestens 18’000 Teilnehmer von Demonstrationen festgenommen, mehr als 475 Demonstranten sollen bei den Protesten getötet worden sein. Demonstranten werden von der Staatsführung immer wieder als Terroristen oder Krawallmacher bezeichnet. Die Organisation Amnesty International veröffentlichte am Montag einen Bericht, demzufolge mindestens 44 Kinder und Jugendliche durch «rechtswidrige Gewalt» der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien. Die Angaben können nicht unabhängig verifiziert werden.

Bereits Mitte Oktober und Mitte November hatte die EU erste Sanktionspakete wegen der Geschehnisse im Iran beschlossen. Sie richteten sich unter anderem gegen die iranische Sittenpolizei und den inneren Machtzirkel der Revolutionsgarden. Insbesondere wurden auch Mitglieder der Basidsch-Milizen sanktioniert, die von der EU für den Tod mehrerer Demonstranten verantwortlich gemacht werden.

Gegensanktionen des Iran

Moderate Kreise im Land warnen derzeit vor einer weiteren Eskalation und fordern unter anderem Neuwahlen, um die politische Krise friedlich zu beenden. Für sie sind Präsident Ebrahim Raisi, seine Regierung sowie die Hardliner im Parlament und in der Justiz nicht mehr tragbar. Beobachtern zufolge rückt eine derartige Option nach der Hinrichtung des zweiten Demonstranten und der voraussichtlichen Vollstreckung weiterer Todesurteile allerdings in weite Ferne.

Unabhängig von den Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen hatte die EU im Oktober bereits Sanktionen gegen den Iran wegen der Unterstützung des russischen Kriegs gegen die Ukraine verhängt. Sie wurden am Montag durch zusätzliche Strafmassnahmen gegen vier ranghohe Militärs und zwei Unternehmen ausgeweitet. Alle Betroffenen sind nach Auffassung der EU an der Entwicklung und Lieferung von Kampfdrohnen beteiligt, die von Russland gegen die Ukraine eingesetzt werden.

Der Iran reagierte am Montag mit Gegensanktionen – darunter auch gegen mehrere Deutsche. Auf einer auf der Website des Aussenministeriums am Montagnachmittag veröffentlichten Liste standen unter anderem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Sie alle wurden mit einem Einreiseverbot in den Iran belegt und dürfen künftig auch an keinen offiziellen Treffen mit Vertretern der Islamischen Republik mehr teilnehmen. Die EU-Sanktionen sehen Einreiseverbote und sowie Einfrieren von Vermögenswerten in der EU vor.

Von Ansgar Haase, dpa