Heftige Corona-Welle in Russland Das folgenschwere Misstrauen in Putins Impfstoff

SDA/gbi

9.10.2021 - 11:08

Der russische Präsident Wladimir Putin – hier bei einem Besuch in Sibirien – kann die Bevölkerung noch nicht richtig von der Impfung überzeugen. 
Der russische Präsident Wladimir Putin – hier bei einem Besuch in Sibirien – kann die Bevölkerung noch nicht richtig von der Impfung überzeugen. 
Bild: AP/Keystone/Alexei Druzhinin

Der Kreml ist besorgt über die hohen Corona-Todeszahlen in Russland und ruft die Menschen dazu auf, sich impfen zu lassen. Nur trauen viele Russinnen und Russen dem heimischen Impfstoff nicht. 

Über 900 Todesfälle am Tag, Zehntausende Neuinfektionen und eine vergleichsweise tiefe Impfquote: Mit der aktuellen Corona-Situation in Russland kann Präsident Wladimir Putin nicht zufrieden sein. «Die Zahlen sind sehr schlecht, und tatsächlich löst das Besorgnis aus», sagt Putins Sprecher Dmitri Peskow.

Hauptursache für die bisher höchsten Todeszahlen sei die tiefe Impfquote. «Das Virus wird immer bösartiger», sagt Peskow. Bei den Corona-Toten nimmt Russland international eine tragische Spitzenstellung ein.

Sputnik V als Pionierleistung

Zwar verkündete Putin im August vergangenen Jahres, dass Russland mit Sputnik V als erstes Land der Welt einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt habe. Der 69-Jährige lobt ihn immer wieder als besten weltweit – und liess sich selbst damit impfen. Ausserdem haben russische Forscher indes noch vier weitere Vakzine entwickelt.

Dennoch haben bisher keine 50 Millionen Menschen oder gerade einmal etwa 30 Prozent der russischen Bevölkerung mindestens eine Dosis erhalten.

«Nur das Impfen schützt vor dem Tod», mahnt Peskow. Aber viele Russen glaubten den Beteuerungen der Regierung nicht, dass die Impfungen sicher seien. Westliche Impfstoffe wiederum sind in Russland nicht zugelassen. Und auch ein möglicher Vertrauensschub durch die seit Langem erhoffte EU-Zulassung von Sputnik V bleibt bisher aus.



Zwar beklagt sich der Machtapparat in Moskau immer wieder darüber, es gebe in der EU politische Gründe dafür, dass Sputnik V – mit Ausnahme von Sonderwegen etwa in Ungarn – nicht zugelassen werde. Markus Ederer, EU-Botschafter in Moskau, weist das aber zurück.

Klar ist, dass Russland noch immer die von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und von der Weltgesundheitsorganisation WHO geforderten Unterlagen nicht geliefert hat. Russland selbst sagte sogar eine für Oktober geplante Reise von EMA-Experten wieder ab, «weil man noch nicht so weit sei», wie die Nachrichtenagentur DPA aus westlichen Diplomatenkreisen in Moskau erfuhr.

Es sei nicht das erste Mal, dass Russland Fristen für die von der EMA geforderten Inspektionen nicht einhalte, sagt auch Botschafter Ederer in einem Interview der russischen Tageszeitung «RBK» vom Freitag. «Das bremst das Verfahren.» Ederer sieht die Lage ähnlich bei der Frage nach einer bisher fehlenden Anerkennung von Sputnik V durch die WHO.

Fragezeichen beim Testverfahren

Umstritten war bereits im vergangenen Jahr, dass Russland Sputnik V zum Einsatz freigab, obwohl noch nicht alle Testphasen abgeschlossen waren. Erst Ende September teilte Gesundheitsminister Michail Muraschko mit, die dritte und letzte Phase bei den Tests von Sputnik V sei nun abgeschlossen.

Bisher hiess es bei der EMA in Amsterdam stets, für eine Zulassung auf dem EU-Markt fehlten weiterhin «ausreichende» Nachweise. Die Behörde wartet demnach auf Unterlagen, um die bisher verfügbaren Datensätze besser beurteilen zu können. Auch in der Schweiz ist Sputnik V weder zugelassen, noch wird der Impfstoff anerkannt.



Ein Sprecher der WHO teilt mit, dass die Organisation Sputnik V erst zulassen könne, wenn alle Daten verfügbar seien und Klarheit herrsche über die Sicherheit des Präparats. Die WHO prüfe wie bei anderen Impfstoffen Produktionsanlagen. Der Prozess laufe weiter. Ziel der Verfahren sei es, den Zugang zu sicheren und wirksamen Impfstoffen zu beschleunigen, um Leben zu retten und die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen.

Der für den internationalen Sputnik-Vertrieb zuständige russische Staatliche Direktinvestitionsfonds teilt auf Anfrage mit, dass die EMA-Experten noch in diesem Herbst in Russland erwartet würden. Das Gesundheitsministerium rechnet mit einem Termin im Dezember. Westliche Diplomaten gehen allerdings davon aus, dass sich eine EU-Zulassung noch bis zum Frühjahr 2022 hinziehen könnte.

Offen ist ausserdem, ob – wie von Brüssel angeboten – die EU und Russland ihre Impfzertifikate gegenseitig anerkennen. Das solle unabhängig davon geschehen, ob die Vakzine in den Ländern selbst zugelassen sind. 

Russland habe die nötigen Dokumente dafür an die EU geschickt, teilt Kremlsprecher Dmitri Peskow mit. Es gebe Anlass zum «Optimismus». Ein möglichst rasches Ergebnis sei auch wichtig für jene, die zwischen der EU und Russland reisten.

SDA/gbi