Hitzewelle in Kanada «Das wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein»

Von Anne Funk und Maximilian Haase

5.7.2021

Nach der enormen Hitzewelle herrschen im Westen Kanadas noch immer hohe Temperaturen und Trockenheit. Zahlreiche Waldbrände sind die Folge, wie hier in den Bergen nördlich von Lytton.
Nach der enormen Hitzewelle herrschen im Westen Kanadas noch immer hohe Temperaturen und Trockenheit. Zahlreiche Waldbrände sind die Folge, wie hier in den Bergen nördlich von Lytton.
Darryl Dyck/The Canadian Press/AP/dpa

Noch immer herrschen im Westen Kanadas hohe Temperaturen und wüten Waldbrände. Doch scheint nach der enormen Hitzewelle mit Hunderten Opfern das Schlimmste überstanden. Wie haben die Menschen vor Ort die aufreibenden letzten Wochen erlebt? Eine Bewohnerin berichtet.

Von Anne Funk und Maximilian Haase

Die schlimmsten Tage sind wohl vorbei. Nach der extremen Hitzewelle im Westen Kanadas, die Hunderte Menschen das Leben gekostet hat, sind die Temperaturen inzwischen etwas gesunken. Doch noch immer ist es ungewöhnlich heiss, noch immer brennen aufgrund der Trockenheit zahlreiche Wälder. In der Provinz British Columbia meldeten die Behörden am Wochenende mehr als 170 Waldbrände. Militärflugzeuge bereiten sich auf mögliche Einsätze vor, die Regierung hat Soldaten in verschiedene Ortschaften entsandt, um die Feuerwehr zu unterstützen.  



Zu spät ist die Hilfe für den kleinen Ort Lytton gekommen, den ein Feuer fast vollständig zerstört hat. Über 1000 Menschen mussten vor den Flammen fliehen. Zuvor war eine Temperatur von 49,6 Grad Celsius gemessen worden. Aufreibend waren die letzten Wochen aber auch dort, wo die Hitzewelle weniger dramatisch verlief. Wie erlebten die Bewohner British Columbias die vergangenen Wochen? «blue News» sprach mit einer Journalistin vor Ort.

Wie ist die derzeitige Situation im Westen Kanadas?

Das ist sehr unterschiedlich. British Columbia (BC), wo ich lebe, ist riesig – mehr als 20-mal so gross wie die Schweiz. Ich lebe auf Vancouver Island, ganz im Westen. Bei uns hat es inzwischen zum Glück abgekühlt, es ist aber immer noch einige Grad wärmer als normalerweise um diese Jahreszeit. Auf dem Festland in BC ist es vielerorts immer noch viel zu heiss – genau wie in anderen Provinzen wie Alberta und Saskatchewan. Allerdings soll es auch dort abkühlen.

Heisst das, es kehrt wieder ein wenig Normalität ein?

Für uns ist der Alltag wieder einigermassen normal. Aber nun ist die Waldbrandgefahr enorm hoch. Bei uns in der Stadt wird sie zum Beispiel von der Feuerwehr als «extrem» eingestuft. Es hat seit Wochen nicht geregnet. Wir sind auf drei Seiten von Wäldern umgeben. Feuer kann sich sehr schnell ausbreiten, und es genügt ein Funke.

Wie haben Sie persönlich die Hitzewelle der letzten Wochen erlebt?

Wir waren betroffen – aber wir hatten auch noch Glück. Wir lagen genau am Rand des Hitzekessels. Zehn, fünfzehn Kilometer weiter war es noch viel heisser. Aber auch bei uns war es nahezu unerträglich: Wir hatten drei Tage hintereinander mehr als 40 Grad Celsius. Nachts hat es sich kaum abgekühlt. So etwas hat es noch nie gegeben in Kanada. Ein Problem ist, dass niemand hier solchen Temperaturen gewohnt ist. Anders als in den USA sind Klimaanlagen kaum verbreitet, schon gar nicht in Privathäusern. Ein Kamin gehört hier zum Standard. Klimaanlagen und Ventilatoren waren sofort ausverkauft, auch online. Unser Haus hat sich angefühlt wie eine Sauna – in unserem Schlafzimmer waren es nachts noch 29 Grad, tagsüber um die 30. Wir haben unsere Katzen regelmässig mit Eispacks und nassen Handtüchern abgerieben und teilweise in der Garage gesessen, weil es dort noch erträglich war.

Zur Person
 Claudia Frickel / Bild: Catrien Stremme

Claudia Frickel wuchs in Deutschland auf und wanderte im Juni 2019 nach Kanada aus. Sie wohnt im Südwesten von Vancouver Island / British Columbia in der Kleinstadt Sooke. Von dort aus arbeitet sie als freiberufliche Journalistin.

Wie reagierten die Menschen bei Ihnen im Ort?

Kanadierinnen und Kanadier reagieren generell meist besonnen. Alle haben versucht, sich irgendwie abzukühlen. Leute haben Alufolie an die Fenster geklebt, um die Hitze abzuhalten. Zum Glück gibt es hier bei uns ausserdem das Meer und viele kühle Seen. Aber für viele war die Situation wirklich entsetzlich: Mehr als 700 plötzliche Todesfälle wurden registriert, Hunde und Katzen starben an Hitzeschlägen. Und die Kleinstadt Lytton in BC, die drei Tage am Stück Hitzerekorde aufgestellt hatte, ist kurze Zeit später komplett abgebrannt. Es passieren auch viele Dinge, an die man im ersten Moment gar nicht denkt: Wir bekommen eine Gemüsekiste von einem lokalen Bauernhof. Teresa, die Bäuerin, hat mir erzählt, dass die Erdbeeren und andere Früchte regelrecht verkocht sind, während sie am Strauch hingen. Für sie und andere Bauernhöfe ist diese Hitze ebenfalls verheerend.

Konnte die örtliche Regierung helfen, die Lage zu verbessern?

Lager- und Strandfeuer sind absolut verboten in BC, ebenso Feuerwerke – am Donnerstag war Canada Day, da werden oft Raketen angezündet. Dieses Jahr wäre das aber wohl sowieso weniger der Fall gewesen: In den letzten Wochen wurden immer mehr unmarkierte Gräber an Schulen gefunden, es sind jetzt schon über 2000. In die kirchlichen Schulen wurden First-Nations-Kinder bis 1996 gezwungen, sie sollten dort «umerzogen» werden. Viele sind verhungert, wurden missbraucht oder getötet. Wegen dieser Enthüllungen wurde der Canada Day vielerorts abgesagt.

Stellten Sie seit Ihrer Auswanderung nach Kanada schon zuvor Veränderungen hinsichtlich des Klimas fest?

Ja. Im letzten Herbst konnten wir fast eine Woche lang kaum nach draussen gehen und nicht die Fenster öffnen, weil es in Kalifornien, Oregon und Washington State heftig brannte. Die Rauch- und Partikelwolken zogen bis zu uns – es war wie im Horrorfilm. Es sah so aus, als hätten wir tagelang Dauernebel, aber gleichzeitig schien die Sonne als heller Ball hinter der Russwand. Die Luft war so schlecht, dass es gefährlich war, sie ungefiltert einzuatmen. Wir haben uns deshalb einen Luftreiniger gekauft – und jetzt einen Ventilator bestellt. Die Gefahr von Waldbränden ist zwar bei uns in BC ebenfalls immer da. Allerdings werden sie schlimmer: 2017 und 2018 waren bislang die verheerendsten Jahre in der Provinz. Aber wenn es so heiss ist, steigt die Gefahr massiv an. Es brennt jetzt schon an vielen Orten teilweise unkontrolliert – normalerweise startet die Feuersaison erst später.

Stichwort Klimawandel: Einige Menschen sagen ja, derlei Hitzewellen seien ganz normal. 

Darüber kann ich nur den Kopf schütteln. Es ist für uns hier gerade sehr offensichtlich, dass die Lage nicht normal ist. Ich war schon in einigen Ländern, in denen es sehr heiss wird. Aber so etwas wie hier habe ich noch nicht erlebt – und das hat es hier auch noch nie gegeben. Es fühlt sich an, als würden wir die Erderwärmung gerade live erleben. Das wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, und das ist schon sehr beängstigend. Leider tut die Provinzregierung dagegen viel zu wenig: Es werden zum Beispiel immer noch und in grossem Stil über 1000 Jahre alte Regenwälder abgeholzt, obwohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen, dass das die Situation noch viel schlimmer machen wird. Nicht nur werden einzigartige Ökosysteme zerstört, sondern diese Wälder speichern auch CO2 und sorgen für Kühlung.