Syrien Hilfe für Kurden: Assad verlegt Truppen an türkische Grenze

dpa/toko

14.10.2019

Das türkisches Militär gewinnt in Nordsyrien an Gelände und vermeldet die Einnahme zweier wichtiger Städte. Die Kurdenmilizen geraten immer weiter unter Druck. Sie gehen notgedrungen einen «schmerzhaften Kompromiss» ein.

In ihrem erbitterten Kampf gegen türkische Truppen erhalten die Kurdenmilizen in Nordsyrien Unterstützung der Regierung von Präsident Baschar al-Assad.

Die syrischen Soldaten seien zwischen den nordostsyrischen Städten Al-Hassaka und Ras al-Ain eingerückt, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag. Über die Zahl der Truppen machte die Regierung in Damaskus zunächst keine Angaben.

Das Gebiet wird von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrolliert, die zuvor eine Vereinbarung mit der Regierung in Damaskus und deren Verbündetem Russland getroffen hatten. Die syrischen Truppen kommen damit den türkischen Soldaten und denen mit ihnen verbündeten Rebellen gefährlich nahe.

Einsatz wird weltweit kritisiert

Der türkische Einsatz gegen die Kurdenmilizen, der seit Mittwoch läuft, stösst international auf scharfe Kritik. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in einem Telefonat dazu aufgerufen, die Offensive zu stoppen. Am Montag legte die Bundesregierung nach und zweifelte deren völkerrechtliche Legitimation an. Die EU konnte sich aber nicht auf ein gemeinsames Waffenembargo oder Sanktionsdrohungen gegen die Türkei einigen.

Nach Angaben der syrischen staatliche Nachrichtenagentur Sana erreichten die Regierungstruppen ebenfalls die Stadt Tall Tamar nordwestlich von Al-Hassaka. Sie befinden sich damit in einem Gebiet, in dem die Türkei eine sogenannte Sicherheitszone errichten will. Fernsehberichten zufolge warfen Menschen ihnen Blumen zu und sangen «Tod für Erdogan». Auf den von Sana verbreiten Bildern schwenkten Menschen bei Autokorsos in der Stadt die syrische Fahne.

Die syrische Armee wolle im Norden der «türkischen Aggression auf syrischem Boden entgegentreten», berichtete Sana. Die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) bezeichneten die Vereinbarung mit der Regierung in Damaskus einen schmerzhaften Kompromiss. «Wir stehen den türkischen Messern jetzt mit nackter Brust entgegen», schrieb SDF-Kommandant Maslum Abdi in einem Beitrag für das US-Magazin «Foreign Policy». Die Zusammenarbeit mit der Regierung Assads und dessen Verbündetem Russland habe notgedrungen stattgefunden.

Erdogan sagte auf die Frage, ob er mit Russland über die Verlegung syrischer Truppen in den Norden des Landes gesprochen habe, am Montag: «Es gibt viele Gerüchte.» Russland vertrete einen «positiven Ansatz», deswegen erwarte er keine Probleme im nordsyrischen Kobane. Russland unterstützt Assad, die Türkei Rebellengruppen. Erdogan betonte: «Wir werden unseren Kampf fortsetzen, bis wir den endgültigen Sieg erlangen.»

Die YPG hat im Laufe des mehr als achtjährigen Bürgerkriegs ein grosses Gebiet an den Grenzen zur Türkei und dem Irak unter ihre Kontrolle gebracht. Mit ihrem politischen Arm, der PYD, haben sie eine Selbstverwaltung mit Kantonen eingerichtet, die von Damaskus bislang geduldet wurde. Der Türkei ist die Selbstverwaltung seit langem ein Dorn im Auge, unter anderem weil sie fürchtet, dass dies die Autonomiebestrebungen der Kurden im eigenen Land befeuern könnte.

Die YPG pflegt enge Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in den USA und Europa auf der Terrorliste steht. Für die Türkei sind YPG, PYD und PKK gleichermassen Terrororganisationen. Den lange geplanten Militäreinsatz gegen die Kurdenmilizen hatte sie am Mittwoch begonnen und als Begründung Selbstverteidigung angeführt.

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag: «Ja, die Türkei hat berechtigte Sicherheitsinteressen in der Region, aber diese Operation, die sie jetzt dort durchführt, droht doch ganz offensichtlich grössere Teile der lokalen Bevölkerung zu vertreiben.» Eine Sprecherin sagte, die Bundesregierung könne nach derzeitigem Stand nicht erkennen, dass die aktuelle Situation in Syrien die militärische Intervention legitimieren würde.

Die SDF war ein wichtiger Partner der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Vergangene Woche hatten die USA rund 50 Soldaten aus dem Gebiet der türkischen Offensive abgezogen und damit den Weg für den Einsatz freigemacht. Erdogan begrüsste am Montag die Ankündigung der USA, weitere Soldaten abzuziehen.

Trump beschuldigt Kurden

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte davor, den Bündnispartner Türkei wegen der Militäroffensive vollständig zu isolieren. «Die Türkei ist wichtig für die Nato», sagte Stoltenberg in London. Als ein Beispiel nannte er den Kampf gegen den IS. Er rief die Türkei erneut zur Zurückhaltung auf. Er spielte dabei darauf an, dass der Anti-IS-Kampf auch durch die türkische Militäroffensive an sich gefährdet wird, da die von den Türken angegriffenen Kurden-Milizen Lager mit gefangenen IS-Terroristen bewachen.

US-Präsident Donald Trump unterstellte den Kurdenmilizen unterdessen, sie wollten mit der Freilassung von IS-Kämpfern die USA in den Konflikt hineinziehen. Die «Kurden könnten einige freilassen, um uns zu verwickeln», twitterte Trump am Montag. Gleichzeitig drohte er erneut mit «grosse Sanktionen» gegen die Türkei.

Das Auswärtige Amt teilte mit, es habe keine gesicherten Erkenntnisse über die Zahl der möglicherweise aus kurdischen Lagern entkommenen IS-Anhänger. Im Lager Ain Issa habe es eine einstellige Zahl deutscher Staatsbürger gegeben, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Die Syrische Beobachtungsstelle in London hatte mitgeteilt, rund 780 IS-Unterstützer seien nach Beschuss durch die mit der türkischen Armee verbundenen Milizen aus Ain Issa ausgebrochen. Erdogan bezeichnete dies als «Desinformation».

Die Offensive hatte am 9. Oktober mit Angriffen der Türkei auf die syrischen Grenzstädte Tall Abjad und Ras al-Ain begonnen. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sagte am Montag, die beiden Städte seien inzwischen vollständig unter türkischer Kontrolle. Am Sonntag hatte es dort noch schwere Gefechte zwischen der Kurdenmilizen und pro-türkischen Rebellen gegeben.

Seit Beginn der Offensive wurden nach türkischen Angaben 500 Kämpfer der Kurdenmilizen getötet. Die Syrische Beobachtungsstelle in Grossbritannien hatte am Sonntag dagegen gemeldet, seit Beginn der Kämpfe seien mehr als 100 Kämpfer in den Reihen der SDF ums Leben gekommen. Ausserdem seien mindestens 52 Zivilisten getötet worden.


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