Experte über mögliche Bodenoffensive«Grosse Verluste auf beiden Seiten, aber keine Entscheidungsschlacht»
Von Alex Rudolf
10.10.2023
Wann Israel eine Bodenoffensive in den Gazastreifen startet, ist unklar. Dass sie kommt, hält Nahost-Experte Reinhard Schulze aber für sehr wahrscheinlich. Im Interview mit blue News erklärt er, was zu erwarten ist.
Von Alex Rudolf
10.10.2023, 16:29
10.10.2023, 16:48
Alex Rudolf
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Wie geht es weiter im Kriegsgeschehen in Nahost? Reinhard Schulze ist Direktor des Forums Islam und Naher Osten und gibt blue News seine Einschätzungen.
Falls es eine Bodenoffensive der israelischen Armee gibt, drohen auch an der Grenze zum Libanon und Syrien Gefechte mit der Hisbollah.
Das israelische Militär ist sehr gut vorbereitet – es werde aber keine eigentliche Entscheidungsschlacht geben, glaubt Schulze.
Nach den Terrorattacken der Hamas auf das israelische Grenzgebiet zum Gazastreifen mobilisierte Israel 300'000 Reservisten – so viele wie noch nie. Doch wie geht es nun weiter? Welches sind die nächsten Schritte, die die israelische Regierung ergreift?
Reinhard Schulze ist Direktor des Forums Islam und Naher Osten (Fino) der Universität Bern und beantwortet blue News die drängendsten Fragen.
Herr Schulze, wird es eine israelische Bodenoffensive geben?
Sowohl auf politischer wie auch auf militärischer Ebene wurden bereits Vorkehrungen getroffen. Es wäre nun sehr verwunderlich, wenn nach dem Aufgebot der vielen Reservisten nichts folgen würde. Auch wurde bereits viel in die Medienarbeit investiert. So wurde auch die Öffentlichkeit auf die Bodenoffensive vorbereitet.
Welchen Einfluss wird die Bodenoffensive auf den Kriegsverlauf haben?
Sie birgt das Risiko, dass die Hisbollah im Libanon oder andere Gruppen in Syrien in den Konflikt eingreifen. Die israelische Regierung versucht aber zu verhindern, dass dies passiert und nutzt dazu die spärlichen Kontakte in den Libanon und nach Syrien.
Welche Anzeichen gibt es, dass die Hisbollah im Norden aktiv werden?
Reinhard Schulze
Uni Bern
Dazu hat man keine wirklichen Informationen. Fest steht aber, dass es eine militärische Logistik vonseiten der Hisbollah braucht, um überhaupt ins Kriegsgeschehen eingreifen zu können. Diese kann nicht von heute auf morgen aufgebaut werden. Rückt die israelische Armee heute Nacht in Gaza ein, wird nicht tags darauf der Norden angegriffen. Aber: Die Bemühungen Israels, den Norden zu beruhigen, werden nichts bringen.
Wie kann Israel verhindern, dass es zu Häuserkämpfen in Gaza kommt?
Dazu müssen die Kommando-Infrastrukturen der Hamas so früh wie möglich zerstört werden. Auch muss die Militär-Logistik so stark wie möglich beschädigt werden. Auf diese Art kann die Hamas eine Kommando-Struktur nur schwerlich aufrechterhalten. Beide Seiten werden grosse Verluste haben, aber die Kämpfe werden nicht zu einer Entscheidungsschlacht führen.
Die israelische Armee wurde von den Angriffen überrascht. Wie gut ist sie generell vorbereitet?
Sehr gut. Sie hatte das Problem, dass innenpolitische Querelen dazu führten, dass unklar war, welche Gebiete es in Israel prioritär zu schützen galt. Manche Sicherheitskräfte wurden abgezogen und auf der Westbank stationiert, was einer Entblössung der Räume in Israel selber gleichkam. Diese Lücke wird nun wieder geschlossen.
Wie viel Rückhalt geniessen die Hamas in der palästinensischen Bevölkerung?
Das ist nicht messbar, da es keine demokratische Ordnung gibt, die das abbilden würde. Auch fehlen Umfragen, die Aufschluss geben könnten. In Gaza hat die Hamas etwa 80'000 bis 90'000 Anhänger. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund zwei Millionen ist dies nicht sonderlich viel. Es gibt also auch viele Bewohner*innen, die nicht in einer politischen Partei sind.
Schwarmangriff auf Schutzschild: So konnte die Hamas Israels «Iron Dome» aushebeln
Allein in den ersten beiden Kriegstagen soll die palästinensische Hamas 3500 Raketen auf Israel abgefeuert haben. Ein solch massiver Angriff zeigt auch die Grenzen des israelischen Raketenabfangsystems auf.