(Polizei-)Gewalt Giovanni López – Mexikos George Floyd

Von Philipp Dahm

10.6.2020

Brennende Polizeiwagen in Guadalajara.
Brennende Polizeiwagen in Guadalajara.
Bild: Kesstone

Mexiko leidet nicht nur unter der Pandemie, das Land wird von der Gewalt der Kartelle geradezu zerrieben. Hinzu kommt, dass die Polizei alles andere als Freund und Helfer ist. Doch jetzt macht das Volk mobil.

Mexiko bleibt derzeit nichts erspart. Das Land leidet unter einer Dürre, die die für den Export so wichtigen Zitrusfrucht-Erträge in dieser Saison wohl nahezu halbieren wird. Im Golf von Mexiko kann erst jetzt die Ölproduktion wieder hochgefahren werden – der Tropensturm Cristobal hatte diese ausgebremst.

Und dann wütet in Mexiko nach wie vor die Corona-Pandemie: Am Dienstag vermeldeten die Behörden 32'091 neue Fälle und 1'272 Tote in den zurückliegenden 24 Stunden. Dabei sei «das Maximum noch nicht einmal erreicht», wie der stellvertretende Gesundheitsminister Hugo Lopez-Gatell zitiert wird. Und weiter mutmasst er: «Für einige Wochen mehr werden wir verkünden müssen, dass es mehr Fälle gibt als am Vortag.»

Dass Mexiko die Grenzen jetzt trotzdem wieder für In- und Ausländer öffnet, wird von Experten sehr kritisch gesehen.

Explosive Stimmung

«Die Politiker wollen vielleicht dringend ihre Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, aber der Preis könnte eine hohe Zahl von Toten sein», gibt der Epidemiologe Bharat Pankhania von der University of Exeter im US-Sender «NBC» zu bedenken.

Die Lockerungen zurückzunehmen sei allerdings auch keine Option mehr. «Das wäre extrem besorgniserregend, weil man dann eine äusserst verärgerte und wütende Bevölkerung produziert, und man weiss nicht, wie diese reagiert.»

Ausschreitungen in Mexiko City am 8. Juni.
Ausschreitungen in Mexiko City am 8. Juni.
Bild: Keystone

Tatsächlich wäre ein solcher Vorgang in Mexiko gerade unvorstellbar. Es brodelt im Land, seitdem letzte Woche Giovanni López in einem Spital in Ixtlahuacán nahe Guadalajara gestorben ist. Nun ist die x-te Leiche in Mexiko eigentlich alles andere als ungewöhnlich, aber dieser Fall hat für einen öffentlichen Aufschrei besonderen Ausmasses gesorgt.

Ixtlahuacán und Guadalajara in Mexiko.
Ixtlahuacán und Guadalajara in Mexiko.
Bild: Google Earth

Was ist geschehen? Der 30-jährige Maurer war am 4. Mai von der Polizei verhaftet worden, weil er keine Maske getragen hatte. Doch in der Haft wird der junge Mann übel zusammengeschlagen und eine Kugel steckt in seinem Fuss, als er ins Spital eingeliefert wird. Dort stirbt López bald darauf an einem Schädeltrauma, wie die spätere Obduktion ergeben wird.

Gewaltopfer Giovanni López.
Gewaltopfer Giovanni López.
Bild: Change.org

Das Video seiner Verhaftung ist viral gegangen:

Polizeigewalt: Von den USA gelernt

Der Vorfall löste in der zweitgrössten Stadt des Landes massive Unruhen aus: Videos auf Social Media zeigen, wie brutal Demonstranten und Polizisten in Guadalajara aufeinander losgehen. Die Gewalt kommt nicht von ungefähr: Die Ordnungsmacht in Mexiko ist keine Ordnungsmacht, wie es der Gefängnispriester Robert Coogan im «Guardian» formuliert.

Protest gegen Polizeigewalt am 5. Juni in Mexiko City.
Protest gegen Polizeigewalt am 5. Juni in Mexiko City.
Bild: Keystone

«Die korrupten Polizisten nutzen die Pandemie-Situation aus. Sie gibt der Polizei einen weiteren Grund, Leute festzunehmen und sie dann zu bestehlen.» Menschenrechtsgruppen kritisieren schon seit Langem, dass Mexikos Polizei in diverse Fälle von Missbrauch, Folter und auch Mord verwickelt sei.

Die Polizeigewalt hänge mit der Zusammenarbeit mit den USA und dem Drogenkrieg zusammen, glaubt Tom Long von der University of Warwick: «Es gibt in beiden Ländern eine Historie von Polizeigewalt», sagt der Experte mit Blick auf die US-Ausbildung mexikanischer Polizisten.

Parallel zur Militarisierung erhielten die Beamten weniger Geld und würden weniger oft verantwortlich gemacht. Die Rechte der Armen zu wahren, stehe dagegen auf keiner Agenda.

Mächtige Kartelle, tödliche Städte

Zuletzt haben Bilder für Aufsehen gesorgt, die zeigen, wie Polizisten eine am Boden liegende 16-Jährige treten – sie demonstrierte gegen: Polizeigewalt.

Inzwischen haben sich die Proteste auf das ganze Land ausgebreitet: Ein Polizeibeamter wurde von Demonstranten sogar angezündet. Nicht berichten wird über den aktuellen Aufstand die staatliche Nachrichtenagentur Notimex: Die Journalisten sind in den Streik getreten, sie fürchten schlicht um die Unabhängigkeit und die Werte ihrer Agentur.

Und dann sind da noch die Drogenkartelle, die das Land ausbluten lassen. Erst am 1. Juni mähten ihre Killer wieder vier Polizisten nieder, diesmal in Celaya. 

Frauen werden in Mexiko besonders häufig Opfer von Gewalt – diese Dame protestierte am 8. Juni, dem Tag gegen Gewalt gegen Frauen.
Frauen werden in Mexiko besonders häufig Opfer von Gewalt – diese Dame protestierte am 8. Juni, dem Tag gegen Gewalt gegen Frauen.
Bild$: Keystone

Es ist vor allem auch das Werk der Narcos, dass neun der 20 gefährlichsten Städte der Welt in Mexiko liegen, wie eine Untersuchung der Organisation «Sicherheit, Recht und Frieden» nachweist. Sie zählt, wie viele Morde es auf 100'000 Einwohner gibt.

Ganz oben steht Tijuana mit 138 Morden, gefolgt von Acapulco mit 110,5. Caracas in Venezuela liegt mit dem Wert 99,98 an dritter Stelle, gefolgt von den mexikanischen Städten Victoria und Juarez mit 86,01 und 85,56. Zum Vergleich: Cape Town, Südafrika, belegt mit 66,36 Rang elf, und St. Louis in den USA mit 60,59 Rang 15, Detroit findet sich mit 38,78 Platz auf 46 wieder.

Tequila mit Blut behaftet

Wie weit sich das allseits gefürchtete Mafiageschwür bereits in den Staat hineingefressen hat, lässt eine neue Untersuchung der nationalen Schnapsbrenner erahnen. Am Dienstag machte die Finanzbehörde bekannt, dass sie die Konten von 2'000 Personen eingefroren habe, die bis zu 1,1 Milliarden Dollar für das extrem gewalttätige Jalisco New Generation Cartel gewaschen haben sollen.

Gewaltmonopol? Nicht in Mexiko: Ein Checkpoint In Tepalcatepec im Mai 2020. Bürgerwehren übernehmen die Aufgaben der Polizei.
Gewaltmonopol? Nicht in Mexiko: Ein Checkpoint In Tepalcatepec im Mai 2020. Bürgerwehren übernehmen die Aufgaben der Polizei.
Bild: Keystone

Sie stehen im Zusammenhang mit insgesamt 167 Firmen, die für das Legalisieren von Geld genutzt wurden. Der Name der Operation: «Blaue Agave» – die Pflanze, aus der Tequila gewonnen wird. Die Branche ist in Verruf geraten: Tequila-Brenner wie «Onze Black» werden angeblich komplett von den Kartellen kontrolliert.

Mexiko wird also derzeit aufgerieben zwischen Naturkatastrophen und Pandemie, zwischen Polizeigewalt und brutalen Gangs. Und zu allem Überfluss streikt auch noch die vierte Macht. Dass selbst das Nationalgetränkt mit Blut behaftet ist – Mexiko bleibt eben nichts erspart.

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