General-RochadePutin setzt seinen Bluthunden einen Erzfeind vor die Nase
Von Philipp Dahm
12.1.2023
Erbitterte Kämpfe um ukrainische Stadt Soledar
In der Ukraine konzentrieren sich die Kampfhandlungen derzeit auf die Stadt Soledar im Osten des Landes. Zwischenzeitlich erklärte die russische Söldnertruppe Wagner die Stadt für erobert, dem Kreml und Kiew zufolge wird hier aber noch erbittert g
11.01.2023
Nach nur drei Monaten tauscht Wladimir Putin den Kommandeur der Truppen in der Ukraine aus. Als Ersatz bestimmt er ausgerechnet einen General, mit dem nicht nur Wagner-Boss Prigoschin ein Problem hat.
Von Philipp Dahm
12.01.2023, 16:15
Philipp Dahm
Die russische Armee ist nicht gerade dafür bekannt, kritisch und offen zu sein. Im Gegenteil. Es gibt im Russischen ein eigenes Wort für eine gewisse Art von Lügen. Wranjo bedeutet, dass jemand lügt, das Gegenüber dies auch weiss, und doch alle so tun, als würde zutreffen, was gesagt wurde. Ein ausführliches Video zum Thema findest du hier.
Es ist diese Kultur, die beispielsweise erklärt, warum im Mai russische Truppen herbe Verluste hinnehmen, als sie immer wieder versuchen, den Siwerskyj Donez unweit von Lyman zu überqueren – und immer wieder von der ukrainischen Artillerie getroffen werden.
Die ersten Soldaten melden zwar, beschossen worden zu sein, doch man habe dem Feind hohe Verluste beigebracht. Der zweite Trupp gibt ebenfalls an, Probleme gehabt zu haben, aber den Gegner hart getroffen zu haben. Die Entscheider wagen also den dritten Vorstoss – und jedes Mal werden die Kräfte aufgerieben, weil keiner die Wahrheit sagt.
Ministerium widerspricht Wagner-Boss
Wer im Hinterkopf hat, dass Verluste und Misserfolge eigentlich verschwiegen werden, wird am 11. Januar stutzig. Da vermeldet der Boss der Gruppe Wagner, seine Söldner hätten Soledar eingenommen – und es seien «ausschliesslich» seine Männer, die das erreicht hätten, betont Jewgeni Prigoschin.
Das Verteidigungsministerium in Moskau widerspricht jedoch überraschend. Es werde in Soledar noch gekämpft, doch Luftlandetruppen der Armee hätten die Stadt umstellt, berichtigt Moskau. Von wegen Wranjo.
«Die russische Luftwaffe fliegt Einsätze gegen feindliche Befestigungen», erklärt Armee-Sprecher Igor Konaschenkow. «Sturmtruppen nehmen an den Gefechten in der Stadt teil.» Die Gruppe Wagner erwähnt er nicht. Der Vorgang ist bemerkenswert: Er zeigt ganz öffentlich den Riss, der sich durch die russischen Streitkräfte zieht.
Söldner-Führer vs. «militärisches Establishment»
Auf der einen Seite stehen Prigoschin und die Gruppe Wagner, aber auch Ramsan Kadyrow und seine tschetschenischen Kämpfer. Die Anführer schätzen sich: Kadyrow preist Prigoschin als «geborenen Kämpfer» an. Seine Männer seien «furchtlose Patrioten Russlands». Der so Gelobte schmeichelt zurück: «Ramsan, du stehst unter Strom.»
Auf der anderen Seite stehen jene, die das Duo das «militärische Establishment» nennt: Verteidigungsminister Sergei Schoigu und sein Vize Waleri Gerassimow. Die beiden Gruppen geraten seit Kriegsbeginn immer wieder aneinander.
Im Oktober erwirken Prigoschin und Kadyrow zum Beispiel die Absetzung von Generaloberst Alexander Lapin als Kommandeur des zentralen Militärbezirks. Er müsse nun am besten «seine Schande mit Blut abwaschen», ätzt Kadyrow. Im Dezember pöbelt Prigoschin gegen die Generäle, weil keine Munition da ist. «Wenn du in deinem warmen Büro sitzt, ist es schwer, von den Problemen an der Font zu erfahren.»
Putins Schachfiguren
Und nun wechselt Wladimir Putin die militärische Führung aus. Sergei Surowikin, der erst im Oktober Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine geworden ist, muss ins zweite Glied zurücktreten. Seinen Job übernimmt nun der Kreml-treue Gerassimow. Surowikin, General Oleg Saljukow und Generaloberst Alexej Kim werden seine Stellvertreter.
«Sie haben jemanden genommen, der kompetent ist und ihn mit jemanden ausgetauscht, der inkompetent, aber schon lange da ist und der gezeigt hat, dass er loyal ist», ordnet Politologin Dara Massicot in der «New York Times» den Wechsel von Surowikin zu Gerassimow ein. «Was auch immer in Moskau passiert, es hat nichts mit dem zu tun, was auf dem Schlachtfeld in der Ukraine geschieht.»
Auch General Alexander Lapin hat wieder einen Posten: Er ist nun Generalstabschef des Heeres. Es wirkt so, als wollte Wladimir Putin mit seinen Personalentscheidungen ein grösseres Gegengewicht zu Prigoschin, Kadyrow und den Ultranationalisten schaffen. Sollten diese zu mächtig werden, ist es vielleicht bald sein Kopf, der für die Misserfolge dieses Kriegs gefordert wird.