Die Welt schaut weg Fünf Jahre Jemen-Krieg: Ein Land liegt in Trümmern

Von Johannes Schmitt-Tegge, dpa

28.3.2020

Millionen Hungernde, Wasserknappheit, Cholera: Im Jemen tobt die schlimmste humanitäre Krise weltweit, ein Ende ist nicht in Sicht. Auch Saudiarabien ist in dem Krieg gefangen, der kaum noch zu gewinnen ist.

Als die saudische Luftwaffe Saudiarabiens im März 2015 erste Ziele im Jemen bombardierte, hiess es aus Riad vollmundig, der Krieg im Nachbarland würde nur einige Wochen dauern. Das erklärte Ziel: Die Huthi-Milizen, die das Chaos der arabischen Aufstände ausgenutzt und den Norden des Jemen samt der Hauptstadt Sanaa überrannt hatten, sollten vertrieben werden.

Zügig und effektiv wollte das saudisch geführte Militärbündnis am Boden Fakten schaffen und den Erzfeind Iran zurückdrängen, der die Huthis mit Waffen und militärischer Ausbildung unterstützt. Fünf Jahre sind seither vergangen – und der Jemen liegt in Trümmern.



Mehr als 80 Prozent der rund 30 Millionen Einwohner des Landes sind auf Hilfe angewiesen. Staatliche Einrichtungen zerfallen wegen der Machtkämpfe immer weiter, die öffentliche Versorgung ist kollabiert. Die Wirtschaft des ohnehin bitterarmen Landes ist am Boden.

Über 230'000 Tote, vier Millionen Vertriebene

Bis Ende 2019 kamen nach UNO-Schätzungen 233'000 Menschen durch die direkten und indirekten Ursachen des Krieges ums Leben, also bei Gefechten oder wegen zu wenig Essen sowie mangelnder Gesundheitsversorgung. Das Wasser ist knapp, Tausende sind an Cholera erkrankt.

Schleichend scheint sich die Weltgemeinschaft an den Kriegsalltag in dem Küstenstaat am Golf von Aden gewöhnt zu haben – trotz Warnungen der Vereinten Nationen, dass dort weiterhin die schwerste humanitäre Krise weltweit herrscht. Gefechte im Norden Syriens, die Waffenruhe in Libyen, das Leid der Flüchtlinge vor den Toren Europas und zuletzt die Coronavirus-Krise haben vom Bürgerkrieg im Jemen abgelenkt. Dabei könnte das Virus das Land besonders hart treffen: Nur die Hälfte aller Spitäler sind voll einsatzbereit.

Dem Jemen droht erneut ein «tödlicher Showdown», wie die Experten der International Crisis Group schreiben. Im Norden bahnt sich ein Kampf um die Provinz Marib an, wo sich Huthis und Kräfte der jemenitischen Regierung gegenüberstehen. In der Provinz leben 800'000 Menschen, die schon zuvor wegen Gefechten die Flucht ergriffen hatten. Die Experten warnen vor einem «enormen humanitären Desaster». Landesweit geht die UNO heute von vier Millionen Vertriebenen aus.

Totalitäre Mittel und Kindersoldaten

Und es gibt keinerlei Anzeichen, dass der Konflikt auf absehbare Zeit ein Ende findet. Die Huthis – die sich als «Unterstützer Gottes» bezeichnen – halten den Norden mit eisernem Griff umklammert. Ihre religiöse Ideologie würden sie auf totalitäre Weise durchsetzen, schreibt das Sanaa Center for Strategic Studies in seinem Jahresbericht: Sie indoktrinieren Staatsdiener, schreiben das Schulprogramm um, verfolgen religiöse Minderheiten und unabhängige Journalisten. Sie erheben Steuern, um ihren Krieg zu finanzieren, schüchtern Unternehmer ein und rekrutieren Kindersoldaten.

Die Koalition zum Kampf gegen die Huthis ist unterdessen zerfasert. Der ins Exil geflohene Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi sei kaum noch in der Lage, eigentlich verbündete Gruppen im Land zusammenzuhalten, urteilte das UNO-Expertengremium für den Jemen im Januar. Einige von ihnen folgten seinen Anweisungen, andere denen Saudiarabiens, wieder andere denen der Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Emirate waren mit den Saudis und weiteren arabischen Staaten in den Jemenkrieg eingestiegen, kündigten inzwischen aber den Abzug ihrer Truppen an.



Für Saudiarabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich der Konflikt zum kostspieligen Desaster entwickelt, international hat sein Image schwer gelitten. Eine drohende neue Front – eine Spaltung von jemenitischer Regierung im Norden und den Separatisten des Landes im Süden — konnte er dank Vermittlung seines jüngeren Bruders noch abwenden. Zentrale Punkte einer Einigung in Riad im November, darunter die komplette Rückkehr der Regierung in die Stadt Aden im Süden, sind aber bis heute nicht ganz umgesetzt. Das Bündnis zum Kampf gegen die Huthis steht weiter auf wackligen Beinen.

Zugleich kann der Kronprinz sich kaum aus dem Krieg zurückziehen: Die Huthis attackieren mit Drohnen und Raketen regelmässig Ziele auf saudischem Boden. Im vergangenen September wurden zwei Öleinrichtungen getroffen, die fünf Prozent der weltweiten Rohölproduktion ausmachen – Saudiarabien und die USA vermuten den Iran hinter der Attacke.

Spätestens mit diesem Angriff, den die Huthis für sich beanspruchten, hatte der Jemenkrieg auch ein globales Ausmass erreicht. Er begann mit dem Vormarsch der Huthis im Spätsommer 2014, eskalierte vollständig aber erst durch die Luftoffensive Saudiarabiens und der Emirate.

Saudiarabien sehnt sich nach einem Schlussstrich

Die UNO und der Sonderbeauftragte Martin Griffiths müssen derweil zusehen, wie die Golfmächte und die Kräfte im Land die Zukunft des Jemen unter sich aushandeln. Die im Dezember 2018 unter UNO-Vermittlung gefassten Beschlüsse von Stockholm – darunter ein Abzug aus der Hafenstadt Hudaida und ein Gefangenenaustausch – sind bis heute nicht vollständig umgesetzt.

Anfang März drängte der schier unermüdliche Griffiths dazu, «militärische Handlungen sofort und bedingungslos einzufrieren». Er sprach ausgerechnet in Marib im Norden, wo die Huthi-Kämpfer mittlerweile nach Osten vordringen.

Als seien die Grauen des Krieges vergessen, scheint Saudiarabien sich schon dem friedlichen Wiederaufbau des Landes widmen zu wollen. Pünktlich zum fünften Jahrestag des Beginns seiner Luftoffensive kündigte das Königreich eine Initiative zur «Reinigung, Verschönerung und Umweltsanierung» der jemenitischen Hafenstadt Aden an. Die Arbeiter sollen Graffiti beseitigen, Strassenlaternen reparieren und die Stadt begrünen. Die Kampagne heisst «Beautiful Aden».

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