Trumps Amerika Fatale Woche für die US-Demokratie – und eine Warnung an die Welt

Von Philipp Dahm

25.9.2020

Auch wenn man von Donald Trump schon einiges gewohnt ist, war die vergangene Woche selbst für seine Verhältnisse radikal: Der US-Präsident stellt das Vertrauen in Amerikas Demokratie infrage.

Um die vergangene Woche als ein Fanal für die amerikanische Demokratie einzuordnen, ist keine Frage des parteilichen Lagers. Es ist egal, ob man Fan von Donald Trump ist oder nicht – aber es ist eindeutig, dass die letzten sieben Tage das Vertrauen der Wähler in die Politik in Washington nachhaltig gestört haben dürften. Dass Donald Trump am Donnerstag offen liess, dass er ordnungsgemäss abtritt, falls er verliert, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Um im Bild zu bleiben: Die Reise der US-Titanic begann vergangenen Freitag mit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg (RGB). Einer Richterin, die als liberale Lichtgestalt galt, aber dennoch einen respektvollen Umgang mit ihren Gegnern pflegte. Ihr gutes Verhältnis zum erzkonservativen Richter Antonin Scalia ist legendär. «Wir sind ein ungleiches Paar», sagte der 2016 gestorbene Scalia über Ginsburg. «Sie liebt die Oper, und sie ist eine sehr nette Person. Wie kann man sie nicht mögen, mal abgesehen von ihrer Meinung zum Gesetz?»

Das Paar hat eine Oper inspiriert über zwei, die sich am Gericht zwar dezidiert auseinandersetzten, aber sich anschliessend immer in die Augen schauen konnten. «RGB und Scalia», brachte es die «Star Tribune» aus Minnesota auf den Punkt, «die grossen Gegner waren Vorbilder für eine gespaltene Nation.»

Dass die Republikaner nach Scalias Tod im Februar vor vier Jahren den Ersatz von Barack Obama blockierten, weil die Wahl abgewartet werden müsse, ist eine Sache. Und ob es nun legitim ist, dass Trump und Co nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg Ableben am 18. September versuchen, noch vor der Wahl am 3. November ihre Kandidatin durchzudrücken, ist eine andere Frage.

Aber von welcher Partei-Seite man die aktuelle Diskussion auch betrachtet: Unbestritten ist, dass das Vertrauen in Washington kräftig darunter leidet. Politiker sagen, man solle sie beim Wort nehmen – und sich vier Jahre später keinen Deut um alte Versprechen scheren. Denn letztlich zeigt sich: Richtig ist nicht, was gerecht ist, sondern einzig, was die Macht sichert.

Wer denkt, dass es beim Kampf ums Weisse Haus schon lange nicht mehr um die Sache geht, konnte sich am vergangenen Wochenende betätigt fühlen. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Fayetteville, North Carolina, beginnt Trump seine Rede zwar mit einer Kondolenz an RGB und bekundet sogar, ihr Verhältnis zu Scalia sei vorbildlich. Doch gleich darauf pocht er darauf, das Recht zu haben, ihren Nachfolger zu nominieren.

«Das kann auch nur mir passieren»

Die Menge ruft «Fill that seat», also «Besetz den Posten». «Ich hoffe, ihr hört das [an den Bildschirmen]», sagte Trump. «Diese Sprechchöre sind neu. Besetz den Posten. Das sind die Sprechchöre. Das kann auch nur mir passieren.» Seinem Kontrahenten Joe Biden unterstellte frank und frei, er würde sich mit Drogen aufputschen.

Wohin die zuletzt immer krasser scheinende Polarisierung der US-Politik geführt hat, zeigte sich am Samstag einerseits, als Trump-Anhänger in Virginia Wähler bei der Früh-Abgabe ihrer Stimmen störten. Und andererseits, als durchsickerte, dass Trumps Staatssekretär im Gesundheitsminister Alex Azar sich künftig das letzte Wort bei allen neuen Vorschriften vorbehält, bevor die Behörden sie herausgeben.

Ja, die Pandemie ist auch noch da: Die USA haben vergangene Woche die Marke von 200'000 Coronatoten überschritten. Das sind mehr Opfer als in den letzten fünf Kriegen zusammen, die Amerika geführt hat – also Korea, Vietnam, Zweiter Golfkrieg, Afghanistan und Irak. Dennoch sagte Trump am Montagmorgen, es gebe «Licht am Ende des Tunnels» – und zwar «mit oder ohne Impfstoff. Sie hassen es, wenn ich das ausspreche, aber so ist es nun mal.»

«Ich mag Putin, und er mag mich»

Und das, obwohl er in der Vorwoche noch orakelt hatte, die USA würden noch vor der Wahl höchstwahrscheinlich einen Impfstoff präsentieren. Trotz seiner alles andere als kohärenten Reaktion auf die Pandemie stellte Trump sich selbst ein gutes Zeugnis aus. «Wir haben einen phänomenalen Job gemacht. Nicht bloss einen guten Job, einen phänomenalen Job. Ausser bei den Public Relations, aber das liegt an den Fake News. Bei Public Relations gebe ich mir eine 3. Bei der [Covid-Reaktion] selbst nehmen wir eine 6+.»

Die Hinterbliebenen von RBG erzürnte Trump am Montag noch damit, dass er ihre letzten Worte anzweifelte, nach denen sie wünschte, mit einer Nachfolge bis nach der Wahl zu warten. Der Präsident spekulierte öffentlich, die Aussage stamme eigentlich von Demokraten wie Adam Schiff oder Nancy Pelosi.

Wiederholte Warnungen seiner Sicherheitsberater, Russland beeinflusse erneut die Wahl und gefährde die US-Demokratie, kanzelte er ab: «Ich mag Putin, und er mag mich.» Den Festakt zum 75-jährigen UNO-Bestehern schwänzte Trump am Montag hingegen – und setzte damit ein Zeichen für den isolationistischen aussenpolitischen Kurs der vergangenen vier Jahre.

Institutionen untergraben

Stattdessen schickte er eine Videobotschaft, in der er China für den Ausbruch der «Plage» verantwortlich machte und wiederholte, die WHO werde von Peking kontrolliert.

Nicht nur die Pandemie hält die USA in Atem, sondern auch die «Black Lives Matter»-Bewegung. Dass Trump nicht viel auf Gleichberechtigung setzt, zeigte sich am Dienstag: Der 74-Jährige bekräftigte am Dienstag eine Weisung, nach der öffentliche Auftragnehmer keine Sensibilisierungstrainings gegen Diskriminierung mehr machen dürfen. Er lobte erneut die eigene Coronapolitik und betonte, es hätte auch 2,5 Millionen Tote geben können.

Dennoch hat am Dienstagabend die Massnahmen gegen die Pandemie bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pittsburgh, Pennsylvania, untergraben. «Sind eure Kirchen noch geschlossen?», fragte er die Menge. «Sie sind noch geschlossen. Sie machen das aus einem Grund. Und dann verkünden sie ganz nebenbei am 4. November: ‹Wir haben entschieden, wieder zu öffnen.› Okay? Sie versuchen, unser Wahlergebnis so schlecht wie möglich zu machen.»

Krummes Ding mit überholten Gesetzen

Am Mittwoch lässt «The Atlantic» eine Bombe platzen: Republikaner denken laut darüber nach, wie sie die Wahl manipulieren können. Sie haben dazu ein Gesetz ausgegraben, dass es in sich hat: Bundesstaaten, in denen der Wahlausgang offen ist – sogenannte Swing States – und die Republikaner an der Macht sind, sollen die Auszählung der Wahlzettel um 34 Tage verzögern. Am 8. Dezember dürfte dann der Gouverneur oder die Gouverneurin selbst Wahlmänner nach Washington entsenden, die dann selbstverständlich für Trump stimmen sollen – egal, wer die Wahl im jeweiligen Staat gewonnen hat.

Auch weil so ein Schachzug mit Sicherheit ein Nachspiel vor Gericht geben dürfte, arbeitet Trumps Administration weiter mit Hochdruck daran, den freien Richterposten am Supreme Court schnellstmöglich zu besetzen. Als der Präsident dann gestern an den Sarg der verstorbenen Richterin trat, der unter dem Portal des Obersten Gerichts aufgebahrt war, gab es heftige Reaktionen der Trauernden, die darauf warteten, RGB den letzten Tribut zu zollen. Als die Zuschauer Trump erkannten, wurde Buh-Rufe laut. Die Menge skandierte: «Vote hin out!»

Dass sich der New Yorker (der in der letzten Woche auch noch seiner Heimatstadt die Bundesmittel streichen wollte, weil sie zu «anarchisch» seien) nicht so einfach aus dem Amt wählen lassen wird, hat er selbst eingeräumt. «Nun, wir werden sehen, was passiert», antwortete Trump am Donnerstag auf die Frage, ob es eine friedliche Amtsübergabe geben wird.

Sein Parteikollege Lindsey Graham, Vorsitzender des Justizausschusses des Senats, versuchte zwar, das Volk zu beruhigen. «Ich versichere Ihnen, es bleibt friedlich», sagte er. Aber er sagte 2016 auch, wenn in Trumps letztem Amtsjahr ein Richter stirbt, würden die Republikaner bis nach der Wahl warten, bevor ein Nachfolger nominiert würde.

Falsches Vorbild 

Fassen wir zusammen: Ob nun berechtigt oder nicht – viele Amerikaner haben in dieser Woche einiges Vertrauen in die Institutionen des Landes verloren. Von Covid-19-Opfern über die «Black Lives Matter»-Bewegung bis zu jenen, die an die Stärke von Recht und Ordnung glauben. Der US-Präsident weigert sich beharrlich, zu akzeptieren, falls er die Wahl verliert, während immer öfter die Nationalgarde in den Städten eingreift, wo die Menschen auf die Strasse gehen.

Die Farce, die seit dem Tod von RBG im Gange ist, polarisiert das Land noch weiter, auch wenn man das kaum mehr für möglich hielt. Und es wird immer schwieriger, zu prognostizieren, was der Tag nach dem Urnengang bringen wird.

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