Wikileaks-GründerEntscheidung über US-Auslieferungsantrag für Assange erwartet
dpa
4.1.2021 - 05:22
Dem Wikileaks-Gründer drohen in Amerika bis zu 175 Jahre Haft. Kritiker sehen in der US-Anklage und dem Verfahren über eine mögliche Auslieferung in Grossbritannien einen Angriff auf die Pressefreiheit. Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ist besorgt.
Im Verfahren um den US-Auslieferungsantrag für Wikileaks-Gründer Julian Assange vor einem Londoner Gericht wird am Montag mit einer Entscheidung gerechnet.
Der 49-Jährige sitzt derzeit im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten der britischen Hauptstadt. Im Falle einer Auslieferung und einer anschliessenden Verurteilung drohen ihm in Amerika bis zu 175 Jahre Haft.
Die Anhörung des Westminster Magistrate Courts findet im Gebäude des Strafgerichts Old Bailey in London statt und soll um 11.00 Uhr (MEZ) beginnen. Erwartet wird, dass beide Seiten im Falle einer Niederlage Berufung einlegen werden. Nach einer weiteren Instanz könnte das Verfahren vor den britischen Supreme Court gehen und schliesslich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg beschäftigen.
Die US-Justiz wirft dem gebürtigen Australier Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning – damals Bradley Manning – geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Der 49-Jährige habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, so der Vorwurf. Seine Unterstützer sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht gebracht hat.
Kein faires Verfahren
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sieht in dem Prozess in London kein faires Verfahren. «Was wir sehen, ist, dass die Briten Julian Assange systematisch seiner grundlegenden Rechte berauben, seine Verteidigung vorzubereiten, Zugang zu seinen Anwälten und zu rechtlichen Dokumenten zu haben», sagte der Schweizer der Deutschen Welle.
Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Stimmen, die sich für Assange stark machen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert die sofortige Freilassung des Wikileaks-Gründers. «Die US-Anklage gegen Julian Assange ist eindeutig politisch motiviert», sagte Geschäftsführer Christian Mihr am Freitag. «Die USA wollen ein Exempel statuieren und eine abschreckende Wirkung auf Medienschaffende überall auf der Welt erzielen.»
«Wenn die USA mit ihrem Auslieferungsantrag erfolgreich sind und Assange vor Gericht stellen, droht dasselbe Schicksal künftig jedem Journalisten und jeder Journalistin weltweit, die geheime Informationen von öffentlichem Interesse veröffentlichen», sagte Mihr. «Hier stehen die Zukunft von Journalismus und Pressefreiheit weltweit auf dem Spiel.»
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, zeigte sich hinsichtlich des Verfahrens besorgt. «Menschenrechtliche und humanitäre Aspekte dürfen nicht übersehen werden», schrieb die SPD-Bundestagsabgeordnete. Auch der körperliche und psychische Gesundheitszustand von Assange müsse bei der Entscheidung über die Auslieferung in die USA «unbedingt Berücksichtigung finden». Grossbritannien sei dabei an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, «auch mit Blick auf das mögliche Strafmass und die Haftbedingungen», so Kofler.
Deutscher Bundestag setzt sich für Freilassung ein
Im deutschen Bundestag gibt es inzwischen eine parteiübergreifende Arbeitsgemeinschaft, die sich für eine Freilassung Assanges einsetzt. Darin sind Abgeordnete aller Parteien ausser der AfD vertreten. Die Obfrau der Linken im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, will beim Urteilsspruch in London dabei sein. «Selbst wenn die Auslieferung juristisch beschieden würde, kann die britische Regierung diese jedoch stoppen – und verhindern, dass der Fall Assange eine Blaupause für die Verfolgung unliebsamer Journalisten wird», sagte Dagdelen. «Eine Auslieferung in die USA wäre ein Dammbruch und muss verhindert werden.»
Assanges Vater, John Shipton, hofft inzwischen auf eine Begnadigung seines Sohnes durch den designierten US-Präsidenten Joe Biden. Assanges Verlobte, Stella Moris, hatte bislang vergeblich versucht, den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump zu einer Begnadigung ihres Partners zu bewegen. Sie warnte im «Spiegel», Assange würde unter den zu erwartenden Haftbedingungen in den USA «nicht lange überleben» – dort erwarte ihn ein «schreckliches Vegetieren» ohne Kontakt zur Aussenwelt.
Assange hatte sich 2012 aus Furcht vor einer Auslieferung nach Schweden und von dort in die USA in die Landesvertretung Ecuadors in London gerettet. Er blieb dort bis zu seiner Festnahme im Frühjahr 2019. Ermittlungen in Schweden wegen Vergewaltigungsvorwürfen wurden später eingestellt. UN-Experte Melzer hatte sie als «konstruiert» bezeichnet.
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