Expertin über Twitter-Chaos «Elon Musk steht mit dem Rücken zur Wand»

Von Andreas Fischer

16.12.2022

Twitter sperrt Accounts mehrerer US-Journalisten

Twitter sperrt Accounts mehrerer US-Journalisten

San Francisco, 16.12.22: Twitter hat US-Medienberichten zufolge die Konten von mindestens sechs prominenten Journalisten gesperrt. Betroffen seien unter anderem Mitarbeiter der «New York Times», der «Washington Post» und des Senders CNN. Die Sperrungen erfolgten ohne Vorwarnung, schrieb etwa die «Washington Post». Vor ihrer Sperrung hatten viele der Journalisten Zehntausende Follower auf der Plattform, schrieb die «New York Times». Auf Bitten um eine direkte Stellungnahme habe Twitter zunächst nicht reagiert, berichteten mehrere US-Medien. In mehreren Tweets in der Nacht zum Freitag schrieb Musk allerdings, für Journalisten gälten dieselben Regeln, wie für alle anderen auch. «Sie haben meinen exakten Echtzeit-Standort gepostet, im Grunde die Koordinaten für ein Attentat», schrieb Musk, ohne Details oder Beweise zu nennen. Musk sprach von einem Verstoss gegen die Twitter-Nutzungsbedingungen.

16.12.2022

Elon Musk macht Twitter zu seiner persönlichen Autokratie. Die Soziologin Katja Rost erklärt, warum der Tech-Milliardär gefährlich ist und ob du Twitter überhaupt noch vertrauensvoll nutzen kannst.

Von Andreas Fischer

Twitter hat die Konten mehrerer Journalisten gesperrt, die kritisch über die Social-Media-Plattform und deren neuen Besitzer berichten: Tech-Milliardär Elon Musk scheint nach der Übernahme von Twitter an seinen eigenen Ansprüchen zu scheitern. Die Meinungsfreiheit jedenfalls gilt nicht für alle.

Geht's mit Twitter jetzt also endgültig bachab? Oder hat Musks erratisches Verhalten doch Methode? Und solltest du deinen Twitter-Account lieber kündigen? Wir haben bei der Soziologin Katja Rost von der Uni Zürich nachgefragt.

Zur Person: Katja Rost
John Flury

Katja Rost ist Ordinaria für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschafts- und Organisationssoziologie, der digitalen Soziologie, sozialer Netzwerke und Diversität.

Was bedeuten Elon Musks häufige Änderungen der Regeln und Sperrungen für die Glaubwürdigkeit von Twitter?

Erhöht wird die Glaubwürdigkeit durch solche Aktionen von Elon Musk sicher nicht. Man sollte die Situation bei Twitter aber etwas differenzierter betrachten. Musk kämpft einen Kampf gegen Windmühlen, ihm bläst viel Gegenwind ins Gesicht. Weil er etwa angekündigt hat, Donald Trump zurückzuholen, wird er von gewissen Kreisen negativ betrachtet. Von anderen Seiten bekommt er hingegen viel Zuspruch.

Sind das klassische Rechts-gegen-Links-Grabenkämpfe?

Eine politische Polarisierung schwingt natürlich mit, auch wenn sie gar nicht gewollt ist. Natürlich wird es nicht neutral gewertet, wenn Musk ankündigt, Donald Trump zurückzuholen. Damit verstösst er alle, die froh waren, dass Trump weg war. Darunter auch viele Journalistinnen, die häufig dem linken Spektrum zuzuordnen sind.

Elon Musk bewegt sich jedenfalls in einem schwierigen Umfeld, zumal die Firmenübernahme nicht so geglückt ist, wie er sich das vorgestellt hat. Er steht sozusagen mit dem Rücken zur Wand: Musk ist gezwungen, Änderungen einzuführen, die er versprochen hat. Jetzt merkt er jedoch: Sobald er versucht, Restriktionen einzuführen, schneidet er sich ins eigene Fleisch.

Sie sagen, die «Übernahme ist nicht geglückt»: Das tönt nach höherer Gewalt. Kann Elon Musk etwa gar nichts für das Chaos bei Twitter?

Natürlich ist er selbst verantwortlich. Nur: Bisher war er ziemlich erfolgsverwöhnt, alles ist ihm geglückt. Seine Unternehmen wie Tesla und SpaceX haben ihn zu einem der mächtigsten Männer der Welt gemacht. Er steht nun unter dem Druck, an seine Erfolgsstorys anzuknüpfen.

Die Begnadigung von Donald Trump hatte Elon Musk mit der völligen Meinungsfreiheit bei Twitter begründet: Nun aber sperrt Musk kritische Journalisten aus. Wie passt das zusammen?

Gar nicht. Aber hier ist eben auch Musks grosses Dilemma: Einerseits begründet er den Schritt mit dem Schutz seiner eigenen Familie. Andererseits untergräbt es die Glaubwürdigkeit seines Unternehmens, dass ihm nichts anderes einfällt, als kritische Konten zu sperren, wenn er selbst betroffen ist.

Verliert Twitter durch solche Aktionen an Bedeutung?

Im Kern ist Twitter eine Journalisten- und Wissenschaftsblase, als soziales Netzwerk an sich hingegen unbedeutend. Nur 8 Prozent der Menschen nutzen Twitter: Das sind extrem wenig, vor allem im Vergleich mit anderen Netzwerken wie Facebook, Linkedin, Whatsapp und Tiktok. Die Gesamtbevölkerung ist jedenfalls nicht auf Twitter repräsentiert.

Bei so wenig Nutzerinnen müssen wir uns doch eigentlich gar nicht darüber aufregen, was bei Twitter passiert, oder?

Ganz so einfach ist es nicht. Die Aufregung ist so gross, weil auf Twitter die intellektuelle Elite, vor allem aber auch die politische Elite – links wie rechts – stark vertreten ist. Diese Eliten prägen den Diskurs in der Gesellschaft: Meinungen werden häufig über Twitter gemacht. Deswegen ist der Einfluss der Plattform auf das Politische und Gesellschaftliche gross. Das liess sich zuletzt beispielsweise bei den Diskussionen über die Corona-Massnahmen beobachten.

Ist Twitter überhaupt noch verlässlich?

Elon Musk ist erstaunlich einfallslos dabei gewesen, Twitter wieder glaubwürdiger zu machen. Ich glaube nicht, dass er die Übernahme mit einem klaren Plan angegangen ist und genau wusste, was er tun will, um die von ihm beschworene Meinungsfreiheit auch umzusetzen. Und zwar ohne Shitstorms und Persönlichkeitsverletzungen. Das sieht man ja jetzt bei den aktuellen Sperrungen: Im Prinzip macht Musk jetzt dasselbe, das er Twitter vor der Übernahme vorgeworfen hat. Dass Twitter zur Vertrauenswürdigkeit zurückfindet, davon bin ich bislang nicht überzeugt.

Elon Musk ist der Herr über Twitter: Seine Regeln und Gesetze sind nicht für alle Nutzerinnen leicht zu verstehen. (Archivbild)
Elon Musk ist der Herr über Twitter: Seine Regeln und Gesetze sind nicht für alle Nutzerinnen leicht zu verstehen. (Archivbild)
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Ist Elon Musk denn wirklich daran interessiert, Twitter zu einer Plattform der Meinungsfreiheit zu machen?

Das glaube ich schon. Ich bin allerdings skeptisch, dass es ihm gelingt: eben weil er bis jetzt keine Lösung vorgelegt hat. Dabei ist es ein fast schon heroisches Ziel, eine Plattform zu schaffen, auf der wir auch kontroverse Meinungen wirklich teilen und sie dann deliberativ diskutieren könnten. Aber das würde natürlich ein moralisches, sittsames Verhalten voraussetzen, was den Menschen in einem Onlinesetting, egal wie intelligent sie sind, fehlt, sobald Emotionen ins Spiel kommen.

Also sollten wir unsere Twitterkonten doch lieber kündigen?

Prinzipiell ja. Wer nicht einverstanden ist mit dem, was auf Twitter gerade passiert, sollte dort nicht mehr aktiv werden. Die Krux ist freilich: Ein ganzes Netzwerk mit allen Followern kann man nicht eins zu eins auf eine andere Plattform mitnehmen. Deswegen bleiben viele Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen weiter aktiv.

Könnten die Leute nicht andere soziale Netzwerke nutzen?

Natürlich gibt es alternative Plattformen. Aber dort ein ähnlich gut funktionierendes und qualitatives Netzwerk aufzubauen, klappt nicht von heute auf morgen. Das ist ein Prozess von drei, vier, fünf Jahren. Das weiss natürlich auch Elon Musk: Weil er quasi ein Monopol hat, kann er sich ziemlich viel erlauben.

Wie gefährlich ist ein Mann wie Elon Musk, der ein extrem reichweitenstarkes Massenmedien kontrolliert und dabei seine eigenen Regeln macht?

Er ist definitiv gefährlich, allerdings nicht erst seit der Übernahme von Twitter. Elon Musk ist ein typischer Vertreter der «Winner Takes It All»-Märkte und durch die Plattform-Ökonomien extrem reich geworden. Er hat bislang immer auf die richtigen Unternehmen gesetzt hat und damit häufig eine Monopolstellung erreicht. Das hat Musk clever gemacht, aber natürlich ist es nicht gut, wenn eine Person so viel ökonomisches Kapital auf sich vereint und damit extrem viel Einfluss nehmen kann auf Gesellschaft und Politik: Und dabei ist Elon Musk jedenfalls nicht zurückhaltend.

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