Alternative Mastodon im Aufwind Twitter-Nutzer satteln vom Vögelchen aufs Rüsseltier um

Von Dirk Jacquemien

7.11.2022

Mastodon könnte ein Refugium für frustrierte Twitter-Nutzer*innen werden.
Mastodon könnte ein Refugium für frustrierte Twitter-Nutzer*innen werden.
Getty Images

Die Elon-Musk-Chaostage bei Twitter haben bereits viele Nutzer*innen zum Alternativdienst Mastodon verscheucht. Doch wie funktioniert der eigentlich – und hat er eine Zukunft?

Von Dirk Jacquemien

Elon Musks Einstand als Twitter-Eigentümer war, vorsichtig ausgedrückt, ereignisreich. Etwa Massenentlassungen, gefolgt von Bitten an viele Mitarbeiter*innen, doch wieder zurückzukehren. Unklar sind jedoch weiterhin Musks Pläne zu den Moderationspraktiken auf Twitter. Was darf in Zukunft dort alles gesagt werden?

Klar ist nur: Über Musk selbst darf man sich nun nicht mehr lustig machen, indem man ihn nachahmt. Dann gibt es ab sofort eine permanente Sperre vom selbst ernannten Kämpfer für die Meinungsfreiheit.

Dementsprechend gibt es schon entsprechende Absetzbewegungen von Menschen, die ihre Meinungsfreiheit nicht von den Launen eines Milliardärs mit fragilem Ego abhängig machen wollen. Hauptziel ist derzeit das dezentrale soziale Netzwerk Mastodon.

Seit 2016 in der Entwicklung

Mastodon wird bereits seit 2016 vom deutschen Programmierer Eugen Rochko entwickelt. Finanziert wird das Projekt ausschliesslich durch Sponsor*innen und Spenden. Werbung gibt es dementsprechend nicht. In den vergangenen Jahren geriet Mastodon immer mal wieder kurz in die Nachrichten, als bei einer der zahlreichen Kontroversen um Twitter oder Facebook über Alternativen gesprochen wurde.

Doch die Aufmerksamkeit, die dem Projekt jetzt zuteilwird, hat eine ganz neue Dimension. In der vergangenen Woche hat es seine Nutzerzahl auf knapp über eine Million verdoppelt – ist damit aber immer noch weit von Twitters rund 200 Millionen Nutzer*innen entfernt.

Dem ersten Augenschein nach sind es vor allem bisherige «Power-User» von Twitter, etwa Journalist*innen oder in der Tech-Branche aktive Menschen, die den Sprung zu Mastodon wagen. Die wenigsten löschen dabei auch ihren Twitter-Account, sondern warten eher noch ab, wie sich das Ganze entwickelt.

Twitter als Eidgenossenschaft

Mastodon ist aber nicht einfach ein Twitter-Klon, sondern setzt auf einen komplett anderen technischen Unterbau, um auf ein mit Twitter vergleichbares Nutzererlebnis zu kommen.

Mastodon versteht sich als ein «föderales» System, also quasi Twitter als Eidgenossenschaft. Es besteht aus vielen unabhängig voneinander betriebenen Servern, hier «Instances» genannt, die sich freiwillig zu einem sozialen Netzwerk zusammenschliessen.

Eine Instance kann sich allgemein an alle Menschen wenden oder sich etwa regional oder auf bestimmte Berufs- oder Interessensgruppen beschränken. Generell ist aber egal, bei welcher Instance du dich anmeldest, du kannst mit den Nutzer*innen anderer Instances interagieren und deren Posts lesen. Ein einzelner Post auf Mastodon nennt sich übrigens «Toot», oder zu deutsch «Tröt», denn Mastodon ist das englische Wort für eine Gattung von ausgestorbenen Rüsseltieren.

Ein fröhliches Mammut ist das Maskottchen von Mastodon – hoffentlich kein Omen für das Überleben des sozialen Netzwerkes.
Ein fröhliches Mammut ist das Maskottchen von Mastodon – hoffentlich kein Omen für das Überleben des sozialen Netzwerkes.
Mastodon

Jeder Server macht eigene Regeln

Prinzipiell kann jede Instance ihre eigenen Regeln festlegen, was Nutzer*innen erlaubt ist. Allerdings sollte es sich eine Instance nicht mit den anderen Mitgliedern der Föderation verscherzen, denn diese können sie aus der Mastodon-Eidgenossenschaft ausstossen.

Wenn eine Instance beispielsweise Nazis willkommen heisst, können die Betreiber*innen der anderen Instances sagen, mit euch wollen wir nichts zu tun haben, und die Vernetzung verweigern. Nutzer*innen der Nazi-Instance können dann nicht mehr mit den restlichen Mastodon-Instances tröten. Und in der Tat haben die meisten Instances Regeln, die etwa Hassrede verbieten.

Andrang überlastete Mastodon kurzzeitig

Jeder, der Zugriff auf einen Server hat, kann eine Mastodon-Instance eröffnen und betreiben. Knapp 3500 verschiedene Instances gibt es derzeit. In der vergangenen Woche schalteten viele Instances aufgrund des hohen Andrangs Neuabmeldungen temporär ab oder brachen unter der Last zeitweilig ganz zusammen. Inzwischen hat sich das Netzwerk aber wieder einigermassen stabilisiert.

Auf der offiziellen Website von Mastodon gibt es eine Übersicht von Instances und den Hinweis, ob sie gerade neue Nutzer*innen annehmen. Zugreifen kannst du auf Mastodon über den Browser oder diverse Apps – offiziell und inoffiziell – für iOS und Android.

Zukunft ist ungewiss

Ob sich Mastodon allerdings auf Dauer als Twitter-Alternative etablieren kann, ist noch völlig offen. In den vergangenen zehn Jahren konnte ausser TikTok kein neues soziales Netzwerk auf Dauer Fuss fassen.

Der nicht-kommerzielle Ansatz von Mastodon könnte sich in Zeiten von zunehmender Skepsis gegenüber den grossen Tech-Konzernen allerdings als Vorteil erweisen. Schliesslich dürfte sich die Mastodon-Zukunft auch daran entscheiden, ob Musk den Twitter-Tesla, Verzeihung, -Karren noch tiefer in den Dreck fährt oder doch noch die Kurve kriegt.

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