Militär-Experte der ETH«Eine Eskalation ist nicht auszuschliessen»
Von Dominik Müller
9.10.2023
Militärstrategie-Experte Michel Wyss spricht im Interview mit blue News über die grössten Hindernisse für die israelische Armee, ein mögliches Eingreifen des Iran und den überraschenden Angriff der Hamas.
Von Dominik Müller
09.10.2023, 17:17
09.10.2023, 18:59
Dominik Müller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Militärstrategie-Experte Michel Wyss von der ETH Zürich schätzt im Interview die Möglichkeit einer israelischen Gegenoffensive ein.
Eine allfällige Bodenoffensive wird durch die vielen israelischen Geiseln in Gewalt der Hamas erschwert.
Der Iran dürfte sich nicht direkt ins Kriegsgeschehen einmischen, erwartet der Experte. Bei der Hisbollah im Libanon und bei schiitischen Milizen besteht allerdings diese Möglichkeit.
Israel habe die Konfrontationsbereitschaft der Hamas unterschätzt.
Michel Wyss, welche militärische Reaktion erwarten Sie von Israel?
Momentan deuten viele Indizien darauf hin, dass sich Israel auf eine Bodenoperation vorbereitet.
Michel Wyss
ETH Zürich
Michel Wyss ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Militärakademie der ETH Zürich. Er forscht unter anderem zu Stellvertreterkriegführung unter nicht staatlichen Akteuren.
Die Hamas hat zahlreiche Menschen entführt und an unbekannte Orte in den Gazastreifen verschleppt. Ist unter diesen Voraussetzungen eine israelische Bodenoperation überhaupt durchführbar?
Eine allfällige Bodenoffensive wird durch die Präsenz der Geiseln erschwert und stellt ein zusätzliches Risiko dar. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass sich die Hamas auf das Szenario einer israelischen Bodenoperation eingestellt und vorbereitet hat.
Welche Reaktionen anderer Staaten, beispielsweise vom Iran, erwarten Sie, sollte Israel massive militärische Gegenschläge verüben?
Der Iran wird sich wahrscheinlich nicht direkt einmischen, da er nicht über die dafür notwendigen militärischen Fähigkeiten verfügt. Bei einer grossen israelischen Militäroperation im Gazastreifen besteht aber die Möglichkeit, dass sowohl die Hisbollah im Libanon als auch schiitische Milizen auf den Golanhöhen Aktionen an der israelischen Nordgrenze durchführen. Eine Eskalation ist dabei nicht auszuschliessen.
Wie konnte sich das so gut bewachte Israel so überraschen lassen von der Hamas?
Die genauen Umstände, die zu dieser Überraschung geführt haben, werden erst in den kommenden Wochen und Monaten ersichtlich werden und aller Voraussicht nach Konsequenzen auf der militärischen, nachrichtendienstlichen aber auch politischen Stufe haben. Man muss davon ausgehen, dass in den Sicherheitskreisen falsche Annahmen zur Konfrontationsbereitschaft der Hamas existierten. Vermutlich ging man davon aus, dass diese nicht ihre Macht in Gaza durch einen solchen Grossangriff aufs Spiel setzen wird.
Die jüngste bewaffnete Auseinandersetzung im Gazastreifen vom Mai dieses Jahrs dürfte diesen Eindruck verstärkt haben. Die Hamas hatte sich damals nicht an den Raketenangriffen beteiligt. In nächster Zeit dürfte sich herausstellen, ob dies möglicherweise Teil eines grösseren Täuschungsmanövers war.
Hinweis zur Transparenz: Michel Wyss hat die Fragen aus Zeitgründen schriftlich beantwortet.
Israel mobilisiert 300'000 Reservisten – so viele wie noch nie
Das gab es noch nie: Israel mobilisiert wegen des Kriegs mit der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Palästinenserorganisation Hamas rund 300'000 Reservisten.