Ein Mord von 2017 bringt Malta ins Wanken

Philipp Dahm

29.11.2019

Mehr als zwei Jahre nach der Tat bringt der Mord an Journalistin Galizia Maltas politisches System ins Wanken.
Mehr als zwei Jahre nach der Tat bringt der Mord an Journalistin Galizia Maltas politisches System ins Wanken.
Bild: Keystone/EPA/Domenic Aquilana

Malta wird von einem politischen Skandal durchgeschüttelt. Er ist die späte Folge der Ermordung von Daphne Caruana Galizia – die Journalistin stand den Mächtigen des Landes auf die Füsse, was sie mit ihrem Leben büsste. 

Als die Dringlichkeitssitzung des maltesischen Kabinetts in der Nacht auf diesen Freitag endet, werden die Parlamentarier vor der Auberge de Castille bereits erwartet: Die Demonstranten tragen Schilder auf denen «Żibel» und «Xbajt» steht – «Müll» und «Ich habe genug». Und: «Murderers» – «Mörder».

Ein Mann spricht mit der Presse. Er sagt: «Wie um alles in der Welt können wir uns als Bürger dieses Landes noch in die Augen schauen, wenn uns diese Kriminellen immer noch regieren und uns hier im Metallkäfig halten?»

Was ist bloss los auf der kleinen EU-Insel im Mittelmeer, die doch eigentlich als Feriendestination und nicht als Krimi-Zentrum bekannt ist?

Tausende gaben letztes Geleit

Der Mann von der Demonstration heisst Matthew Caruana Galizia. Der Grund für seinen Protest: Er ist einer der drei Söhne von Daphne Caruana Galizia – die Investigativ-Journalistin wurde am 16. Oktober 2017 auf Malta von einer Autobombe getötet. Ihr Auto flog 45 Meter weit in ein Feld, ihre Leiche wurde 80 Meter vom Ort der Explosion entfernt entdeckt.

Es war Sohn Matthew, der damals die Explosion hörte, zum Tatort lief und die leblosen Überreste seiner Mutter fand. «Ich sah herunter, und da waren Teile meiner Mutter überall um mich herum», beschreibt er laut «Economist» zwei Tage später die Szene auf Facebook.

Zur Beerdigung am 27. Oktober 2017 kommen Tausende. In seiner Predigt ruft der Erzbischof Maltas den Journalisten zu, sie dürften niemals müde werden, «die Augen, Ohren und der Mund» des Volkes zu sein.

Die Bitte der Hinterbliebenen im August 2017, eine öffentliche Untersuchung des Mordes anzustrengen, blockiert Premierminister Joseph Muscat. Von der Trauerfeier wurden der maltesische Präsident und er ausgeladen, Galizias Familie wollte sie nicht dabei haben. Kein Wunder: Weil das Opfer deren Machenschaften kritisiert und gegen sie recherchiert hatte, wollte die Familie die Politiker nicht auf der Beerdigung sehen.

«Überall sind jetzt Verbrecher»

Daphne Caruana Galizia ist mit ihrer Arbeit immer wieder den Mächtigen an den Karren gefahren. 1996 wurde ihre Haustür angezündet, dem Hund der Familie wurde die Kehle aufgeschlitzt, das Auto eines Nachbarn wurde wohl fälschlicherweise in Brand gesetzt. 2006 wurde ihr Haus 2006 erneut angezündet, diesmal als die Familie darin schlief.

2008 beginnt sie ihren Blog «Laufende Kommentierung», der eine der beliebtesten Websites Maltas wird. Ihre Enthüllungen kosten dann auch den Familien-Terrier Zulu und den Collie Rufus das Leben: Ersterer Hund wird vergiftet, letzterer erschossen. Drohungen per Brief, SMS, E-Mail oder Telefon sind an der Tagesordnung. Bis 2010 steht die Journalistin unter Polizeischutz.

2016 kann die Reporterin die Panama Papers einsehen und zieht Verbindungen bis in die Chefetage der Regierung: So sollen auch Keith Schembri, der Stabschef des Premierministers, und Minister Konrad Mizzi tief in den Skandal verstrickt sein. In ihrem letzten Blogeintrag schreibt Galizia: «Der Verbrecher Schembri war heute im Gericht und plädierte darauf, kein Verbrecher zu sein.» Der Eintrag endet: «Überall, wo man hinsieht, sind jetzt Verbrecher. Die Lage ist verzweifelt.»

Postume Preissegen

Die Ermittlungen betreffend des Bombenattentats kommen anfangs nicht voran – nicht zuletzt, weil die Familie die Ablösung der ersten Ermittlerin erreichte: Die Frau war befangen, weil sie 2010 und 2011 nach einer Diffamierungsanzeige gegen das Opfer vorgegangen war. Danach hört man langer Zeit nichts mehr von der Polizei.

Dafür schwappt eine internationale Welle der Solidarität über die Familie: Daphne Caruana Galizia erhält posthum nicht weniger als 30 Auszeichnungen –­ darunter auch den PEC Award 2018 aus der Schweiz: «Dieses Verbrechen darf nicht ungestraft bleiben», heisst es damals, als die Schwester des Opfers in Genf die Ehrung entgegennimmt. Kurz zuvor wurde das Daphne Project ins Leben gerufen: Medientitel wie «The Guardian», «The New York Times», «Le Monde» und «The Times of Malta» spinnen seit April 2018 das Werk der Verstorbenen weiter.

Die Suche nach Daphnes Mördern scheint schnell am Ziel zu sein: Im Dezember 2017 werden drei Männer verhaftet, die den Mord begangen haben sollen. Angeheuert haben soll sie ein Mittelsmann namens Melvin Theuma, der nach seiner Festnahme einen Deal aushandelt: Immunität gegen Informationen über seinen Auftraggeber. Wie «Malta Today» berichtet, hat Theuma der Polizei Tonbandaufnahmen übergeben, auf denen er mit seinem Auftraggeber über den Mord spricht.

Mächtige Verstrickungen

Am 20. November 2019 wurde dieser Mann ebenfalls verhaftet: Es handelt sich um den millionenschweren Geschäftsmann Yorgen Fenech, der 450'000 Euro für den Anschlag bezahlt haben soll. Fenech, der inzwischen wieder auf Kaution freigelassen worden ist, bestreitet die Vorwürfe nicht nur, sondern will ebenfalls auspacken: Im Gegenzug gegen Straffreiheit werde er den wahren Auftraggeber nennen. Fenech deutet dabei an, dass Stabschef Keith Schembri hinter der Sache steckt. Schembri ist am 26. November zurückgetreten, ebenso wie drei hohe Politiker des Landes.

Schembri wird in der Folge festgenommen, verhört und wieder entlassen, weiss «The Times of Malta» – das Kabinett lehnt den Antrag auf Straffreiheit und trifft sich kurz nach der Entlassung Schembris in der Castille, dem maltesischen Pendant zum Weissen Haus, wo Daphnes Söhne Aufklärung fordern. Aktivisten und NGOs sehen in der Freilassung Schembris einen «Angriff auf die maltesische Demokratie und Justiz»: Der Premierminister tue alles, um «seinen besten Freund wenn nicht sich selbst» zu schützen, sagen sie.

Der Mordfall Galizia weitet sich nach den Festnahmen der letzten Tage zunehmend zu einem umfassenden politischen Skandal aus. Inzwischen hat sich auch die EU in die Affäre eingeschaltet und eine Delegation in das Land entsendet, die die aktuellen Vorgänge dort untersuchen soll.

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