ErderwärmungBangladesch bekommt den Klimawandel brutal zu spüren
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5.11.2021 - 00:00
Nur ein Bruchteil der Emissionen auf der Welt werden von Bangladesch verursacht. Dennoch leidet das Land verheerend unter den Folgen des Klimawandels. Millionen Menschen verlieren ihren Lebensunterhalt.
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05.11.2021, 00:00
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Abdus Satter kann mit ansehen, wie jede Flut ihm ein bisschen mehr von seiner Existenz nimmt. Sein Dorf Bonnotola im südwestlichen Bangladesch beheimatete einst 2000 Menschen, die meisten Bauern wie er selbst. Dann verdarb das ansteigende Meer den Boden mit salzigem Wasser, zwei Zyklone in den vergangenen zwei Jahren zerstörten die Dämme aus Schlammmassen, die das Dorf vor den Gezeitenwellen schützten. Jetzt wohnen dort nur noch 480 Menschen, die anderen hat das Meer obdachlos gemacht.
Bonnotola ist eines von vielen Beispielen in Bangladesch. Die Auswirkungen des Klimawandels treffen das Land brutal – allem voran die wachsende Zahl von Zyklonen, Küsten-Überschwemmungen und Gezeitenfluten, die das Salzwasser weiter ins Inland treiben. Millionen Einwohner verlieren ihren Lebensunterhalt, wie Mohammad Shamsuddoha vom gemeinnützigen Center for Participatory Research Development sagt. Er weist auf Vorhersagen hin, nach denen etwa 30 Millionen Menschen aus den Küstengebieten vertrieben werden könnten.
Bangladesch und andere schwer von der globalem Erwärmung betroffene Staaten sind verzweifelt auf mehr finanzielle Hilfen angewiesen, um die Herausforderungen bewältigen zu können – und hoffen auf Fortschritte bei der UN-Klimakonferenz, die derzeit im schottischen Glasgow stattfindet. Eine Jahre alte Abmachung sah vor, dass reiche Länder ärmeren Nationen jährlich insgesamt 100 Milliarden Dollar (nach derzeitigem Stand etwa 91 Milliarden Franken) für eine Umstellung auf saubere Energien und andere Massnahmen zur Verfügung stellen, aber das hat sich so nicht erfüllt. Und die Gelder, die zur Verfügung gestellt werden, ungefähr 80 Milliarden Dollar (etwa 73 Milliarden Franken) im Jahr 2019, reichen verteilt auf die Länder nicht aus, um wirklich etwas zu bewegen.
In Gabura, einem anderen Dorf am Bengal-Flussdelta, quält sich Nazma Khatun ab, ihre beiden Töchter zu ernähren. Sie näht und verkauft Tücher, verdient dadurch täglich weniger als umgerechnet 2,7 Franken. Die Hälfte davon muss sie für Arzneimittel zur Behandlung von Hautkrankheiten ausgeben, an denen nach ihren Angaben jeder im Dorf leidet, weil Land und Trinkwasser aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels verseucht worden sind. «Wir haben überall Wasser», sagt die 43-Jährige. «Aber wir haben keinen Tropfen mehr aus Teichen oder Brunnen zum Trinken.»
Das Land war einst fruchtbar, Mango- und Jackfruchtbäume gediehen, jeder baute in seinem Garten Gemüse an, Flüsse, Brunnen und Teiche boten Trinkwasser, wie Khatun schildert. «Jetzt ist das unmöglich.»
1973 waren 833'000 Hektar Land von übergreifendem Meereswasser betroffen, 2000 waren es 1,02 Millionen und 2009 1,056 Millionen Hektar, wie Bangladeschs Soil Resources Development Institute berichtet. Der Salzgehalt im Boden hat in den vergangenen 35 Jahren um 26 Prozent zugenommen.
Im Dorf Bonbibi Tola versammeln sich Frauen jeden Tag an einem Brunnen mit Handpumpe, um Wasser zum Kochen und Trinken heimzubringen, manche schleppen es über vier Kilometer hinweg nach Hause. Aber das nur für eine begrenzte Zeit: Brunnen in dem Gebiet haben nur in den Monaten nach Monsunregen Wasser, wie eine der Frauen schildert.
Die drei Dörfer liegen in der südwestlichen Region Shyamnagar mit 400'000 Einwohnern. Beamten zufolge hat die Regierung kein Geld für zusätzliche Entsalzungsanlagen, um Wasser trinkbar zu machen. Das Gebiet brauche vielleicht 500 davon, «aber wir haben nur 50 oder so», sagt Alamgir Kabir von der Nawabenki Ganomukhi Foundation, einer örtlichen Nichtregierungsorganisation.
Sieben Milliarden Schaden durch Zyklon
Bangladeschs Bruttoinlandsprodukt ist zwar von umgerechnet 5,4 Milliarden Euro 1972 auf 264 Milliarden Euro im Jahr 2019 gestiegen, aber das Land kann die Kosten der Erderwärmung nicht allein bezahlen. Zwischen 2000 und 2019 hat es 0,41 Prozent seines BIP aufgrund der Folgen des Klimawandels verloren, und ein einzelner Zyklon 2019 richtete Schäden im Umfang von umgerechnet sieben Milliarden Euro an.
Bangladesch sollte die Kosten des Treibhauseffekts auch nicht allein tragen müssen, sagt Abdul Kalam Azad, Sondergesandter des Landes beim Climate Vulnerable Forum, einer Gruppe von Staaten, die besonders gefährdet sind, wenn die Erde noch wärmer wird. Bangladesch mit seinen 160 Millionen Einwohnern habe stets nur einen Bruchteil der weltweiten Emissionen verursacht – und werde dennoch verheerend vom Klimawandel getroffen.
Heikles Thema Kompensation
Bangladeschs Regierungschefin Sheikh Hasina brachte das heikle Thema finanzieller Kompensationen seitens der grössten Luftverschmutzer für die durch den Klimawandel entstandenen Verheerungen in Glasgow auf den Tisch. «Die Frage von Verlust und Schäden muss angesprochen werden, einschliesslich eines globalen Teilens der Verantwortung für Klima-Migranten und jene, die durch den Anstieg der Meere, der Salzhaltigkeit, Flusserosion, Fluten, Dürre vertrieben worden sind», sagte sie am Montag vor den Konferenzteilnehmern.
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 enthält zwar eine Passage, nach der die Unterzeichner anerkennen, dass es wichtig sei, sich mit den «Verlusten und Schäden im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels zu befassen». Aber «unglücklicherweise ist kein einziger Pfennig für Verluste und Schäden gezahlt worden», so Saleemul Huq vom International Centre for Climate Change and Development in Bangladesch. Es sei «von kritischer Bedeutung», die Kompensationsfrage in Glasgow zu thematisieren.
Für Satter ist es vielleicht schon zu spät. Jeden Morgen strömen Wellen in sein Haus, und bald wird er mit seiner Familie fliehen müssen. Das Meer habe ihre Zukunft und ihre Vergangenheit genommen, sagt er und weist auf einen morastigen Graben, der einst ein Hof war – mit den Gräbern seiner Eltern.