Unabhängigkeit Störrische Schotten wollen Johnson die Brexit-Party vermiesen

Von Christoph Meyer/dpa

24.1.2020

Boris Johnsons ärgste Gegnerin: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (Mitte) macht ein Selfie mit Parlamentariern ihrer Partei. 
Boris Johnsons ärgste Gegnerin: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon (Mitte) macht ein Selfie mit Parlamentariern ihrer Partei. 
Bild: Keystone

Was können Schotten gar nicht leiden? Wenn ihnen ein Engländer sagt, was sie zu tun haben. Auf diesen Reflex hofft auch die schottische Regierungschefin – sie will den Brexit für die Unabhängigkeit nutzen. 

Boris Johnson ist auf bestem Weg, als ein Grosser in die Geschichte Grossbritanniens einzugehen. Nach seinem Wahlsieg im Dezember und dem Vollzug des EU-Austritts am 31. Januar kann der Premierminister das Königreich nach seinem Willen umgestalten, eine «Ära Johnson» einleiten.

Doch es gibt etwas, das ihm seinen in den Geschichtsbüchern auch als ein hässlicher Makel anhaften könnte: der Drang der Schotten nach Unabhängigkeit.

Nördlich des Hadrianswalls scheint der Zauber nicht zu wirken, mit dem Johnson die Engländer dazu gebracht hat, erst für den Brexit zu stimmen und ihn dann auch noch im Regierungssitz Downing Street zu bestätigen. In Schottland ist der blonde Politiker denkbar unpopulär. Will Johnson das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs verhindern, muss er erst diesen Fluch brechen.

Die Schotten ticken anders

In Schottland herrscht nicht nur ein anderes Wetter, sondern auch ein anderes politisches Klima als im Rest des Königreichs. Nicht der Brexit, sondern die mögliche Loslösung von London ist das bestimmende Thema in dem Landesteil mit rund 5,4 Millionen Einwohnern. Johnsons Tories gingen in Schottland geschwächt aus der Parlamentswahl hervor, die linksgerichtete Schottische Nationalpartei SNP triumphierte.

Johnsons ärgste Widersacherin heisst Nicola Sturgeon. Die SNP- und Regierungschefin in Edinburgh hat es sich zum Ziel gesetzt, Schottland zur Unabhängigkeit zu führen. Sie fordert eine Volksabstimmung noch in diesem Jahr. Johnson lehnt das ab. Die Frage sei bereits beim Referendum 2014 für eine ganze Generation entschieden worden, lautet die Begründung des Premiers. Damals stimmten 55 Prozent der Schotten gegen die Abspaltung.

Klares Nein: Nicola Sturgeon hat mit ihrer Meinung zum Brexit nie hinter dem Berg gehalten. 
Klares Nein: Nicola Sturgeon hat mit ihrer Meinung zum Brexit nie hinter dem Berg gehalten. 
Bild: Keystone

«Wir werden aus der EU gerissen»

Sturgeon argumentiert, die Lage habe sich seit dem EU-Referendum 2016 verändert. Rund 62 Prozent der Schotten votierten gegen den Brexit. Sie wurden aber von den Austrittsbefürwortern in England und Wales überstimmt. «Wir werden gegen unseren Willen aus der EU gerissen», kritisiert die SNP-Chefin immer wieder.

Doch Sturgeon weiss auch, dass ihre Stunde noch nicht gekommen ist. Die Befürworter einer Loslösung von London sind immer noch in der Minderheit, wenn auch knapp. Jüngste Umfragen legen nahe, dass inzwischen rund 48 Prozent der schottischen Wähler für die Unabhängigkeit stimmen würden. Das ist viel zu eng, um das Wagnis eines zweiten Referendums einzugehen – denn danach wäre das Thema möglicherweise wirklich erledigt.



Für die Strategie der SNP ist unter anderen Angus Robertson verantwortlich. Der Vertraute Sturgeons hat vor allem Brexit-Gegner im Bildungsbürgertum als potenzielle Unterstützer ausgemacht. «Gebildet, vernetzt und ökonomisch erfolgreich», das sei eine der Zielgruppen, die es zu gewinnen gelte, sagt Robertson.

Diese Gruppe stand der Abspaltung bisher eher skeptisch gegenüber. Doch nun zeige sich bereits ein deutlicher Trend zur SNP und zur Unabhängigkeit. Die Unbeliebtheit Johnsons in Schottland helfe dabei natürlich, so Robertson. Auf der anderen Seite gebe es Brexit-Befürworter, die zwar grundsätzlich im Vereinigten Königreich bleiben wollten, aber sich von London nichts vorschreiben liessen – und allein deshalb ein zweites Referendum unterstützen könnten.

«Wie der Brexit, aber viel schlimmer»

Hört man sich auf den Strassen von Edinburgh um, scheint sich seine These zu bestätigen. Begeisterung für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum ist nicht zu spüren, dafür eine Abneigung gegen Bevormundung aus London. «Ich finde, Schottland sollte im Vereinigten Königreich bleiben», sagt beispielsweise Steven Williamson, ein 43 Jahre alter Koch. Doch wenn die Mehrheit der Schotten es so wolle, müsse man eine zweite Volksabstimmung zulassen, findet er.



Rund 650 Kilometer weiter südlich im feinen Londoner Viertel St. James's sitzt der ehemalige schottische Labour-Politiker Jim Murphy in einem Konferenzraum und spricht mit Journalisten. Er will die Schotten davon überzeugen, nicht ihren eigenen Weg zu gehen. Murphy hält die Forderung nach schottischer Unabhängigkeit für wirtschaftlich noch verantwortungsloser als den Austritt Grossbritanniens aus der EU.

«Die Unabhängigkeit für Schottland ist das, was der Brexit für Grossbritannien ist, aber noch viel schlimmer», findet Murphy. Der schottische Staatshaushalt müsse massiv aus London subventioniert werden. Fiele das weg, müsste noch stärker gespart werden als ohnehin. Auch die Frage, welche Währung Schottland dann verwenden würde, ist noch lange nicht geklärt.

Hoffen auf die Regionalwahlen

Der SNP fehlt es trotz ihrer Stärke in Schottland an einem Hebel für ein zweites Referendum. Solange sich Johnson sperrt, sind ihr die Hände gebunden. Auf ein illegales Referendum, wie es die Katalanen in Spanien abgehalten haben, will sich die Partei nicht einlassen.

Ihre ganze Hoffnung ruht daher auf der Wahl zum schottischen Regionalparlament im Mai 2021. Die Unabhängigkeit werde «das entscheidende Thema» werden, glaubt Robertson. Sollte die SNP, die derzeit für ihre Minderheitsregierung auf die Unterstützung der Grünen angewiesen ist, die Wahl gewinnen, würde das den Druck auf Johnson erhöhen. Und falls ihn das nicht umstimmen sollte? Umso besser, glaubt Robertson. «Je länger er so weitermacht, desto unhaltbarer wird es.»

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