Mehr Geld für Aufrüstung: Nato will Verteidigung stärken
«Die Nato-Verteidigungsminister haben sich getroffen, um sich mit zentralen Fragen unserer Sicherheit zu befassen. Dazu gehört die Verstärkung unserer Unterstützung für die Ukraine; die Stärkung unserer Abschreckung und Verteidigung mit den richtigen Streitkräften, Fähigkeiten und Beständen; und den Schutz unserer kritischen Infrastrukturen durch eine verstärkte militärische Planung und Zusammenarbeit mit der Industrie.»
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte auf der Abschlusspressekonferenz zum Verteidigungsministertreffen klar, wo die Schwerpunkte des Militärbündnisses derzeit liegen. In Europa gebe es gerade einen grossen Krieg, erklärte er. Daher liege es auf der Hand, dass mehr Geld für Verteidigung ausgegeben werden müsse und dass Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts das Minimum sein sollten. Hinzu kämen die anhaltenden Gefahren durch Terrorismus und die Sicherheitsherausforderungen durch China.
Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius teilte die Einschätzung, dass Ausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts künftig die Untergrenze sein sollten. Für Deutschland würde eine Verschärfung des Nato-Ziels Stand heute eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um einen zweistelligen Milliardenbetrag erfordern. Bislang gibt die Bundesrepublik deutlich weniger als zwei Prozent des BIP für Verteidigung aus.
16.02.2023
Die Nato ist schon vor einem Jahr entschlossen gewesen, die Ukraine zu unterstützen – in welcher Form, war aber völlig offen. Wie sich die Dinge seither entwickelt haben, hätte wohl kaum jemand vermutet.
Am Tag nach der russischen Invasion in die Ukraine kamen die Spitzen der 30 Nato-Mitgliedsstaaten zu einem Krisengipfel zusammen. Sie stuften den Angriff, der zum grössten Krieg in Europa seit 1945 werden sollte, rasch als schwerste Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit seit Jahrzehnten ein.
«In dieser sehr dynamischen und schwierigen Situation ist schwer vorherzusagen, was in Zukunft passieren wird, aber die Verbündeten bieten Unterstützung und sind sehr entschlossen, das weiterhin zu tun», sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Wie diese Unterstützung aussehen könnte, war eine offene Frage.
Zuerst Treibstoff und Helme, nach zähem Ringen folgte Artillerie
In den Monaten danach schickten Unterstützer der Ukraine bei der Nato und anderswo Treibstoff, Helme, medizinische Versorgung und andere zivile Hilfen. Nach zähem Ringen folgten dann Artillerie und Luftverteidigungssysteme – in der Hoffnung, dass diese den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht provozieren würden.
Die Nato hütete sich als Organisation davor, in einen umfassenden Krieg mit der Atommacht Russland hineingezogen zu werden. Technisch gilt das noch immer. Aber ein Jahr nach Kriegsbeginn führte die Ukraine-Kontaktgruppe nun Gespräche im Nato-Hauptquartier in Brüssel, wo sonst Führung, Minister und Gesandte der Allianz sitzen. Kurz nach der Zusage zur Lieferung von dringend benötigten Kampfpanzern bat die Ukraine jetzt um Kampfflugzeuge.
«Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.»
«Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen», sagte der Verteidigungsminister Hanno Pevkur aus Estland, das an die Ukraine grenzt und Putins Absichten gegenüber besonders wachsam ist.
Die Nato hat ihre Truppenpräsenz dort verstärkt. «Wir hatten viele Fragen», erklärte Pevkur. «Sollen wir Panzer schicken? Jetzt ist diese Entscheidung getroffen. Wir wissen, dass die Ukraine jede Art von Hilfe braucht, und das bedeutet auch Kampfjets.» Alles, was jetzt noch zu fehlen scheint, sind verbündete Truppen vor Ort.
Milliardenhilfen von Nato-Verbündeten
In dem Jahr seit der Invasion haben allein die USA militärische Hilfen im Umfang von mehr als 27 Milliarden Dollar (25 Milliarden Euro) für die Ukraine bereitgestellt. Andere Verbündete wie Deutschland, Grossbritannien, Kanada, Italien, Polen und den Niederlanden steuerten laut Schätzungen aus Verteidigungskreisen Unterstützung im Wert von insgesamt mehr als 19 Milliarden Dollar bei. Hinzu kamen etliche Milliarden an Wirtschaftshilfen des Westens.
Für die nationalistische Regierung Ungarns, eines Nato-Partners, besteht kein Zweifel daran, was das bedeutet. «Wer Waffen schickt, wer den gesamten Jahreshaushalt eines der Kriegsteilnehmer finanziert, wer immer mehr und immer modernere Waffen verspricht, der kann sagen, was er will», sagte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im Januar. «Egal, was er sagt, er ist im Krieg.»
Stoltenberg bestreitet das. «Weder die Nato noch Nato-Verbündete sind Partei in dem Konflikt», sagte der frühere norwegische Ministerpräsident, der in dieser Woche Bündnispartner aufforderte, mehr Waffen und Munition für die Ukraine bereitzustellen. «Was wir tun, ist, der Ukraine Unterstützung zu bieten. Die Ukraine verteidigt sich selbst. Die Art von Unterstützung, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen, hat sich entwickelt, während sich der Krieg entwickelt hat.»
Zermürbungskrieg bringt Rüstungsindustrie in Bedrängnis
Heute feuert die Ukraine täglich so viele Granaten wie ein kleines Nato-Land in einem friedlichen Jahr bestellt, und die europäische Rüstungsindustrie kommt nicht hinterher. «Dies ist zu einem Zermürbungskrieg geworden, und deshalb ist es auch ein logistischer Kampf, und es ist eine enorme Kraftanstrengung der Verbündeten, die Munition, den Treibstoff, die Ersatzteile, die benötigt werden, tatsächlich ins Land zu bekommen», sagte Stoltenberg.
Eine der wohl wichtigsten neuen Erkenntnisse infolge des Kriegs ist die Tatsache, dass der Nato-Bündnisfall zur kollektiven Verteidigung im Angriffsfall kein abstraktes Versprechen mehr ist. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte das Vertrauen in diese Zusage untergraben, indem er damit drohte, Bündnispartnern mit zu geringen Rüstungsausgaben die Unterstützung zu entziehen. Sein Nachfolger Joe Biden gelobte schon frühzeitig nach Kriegsbeginn, dass die Nato «jeden Inch» ihres Territoriums verteidigen werde, um Putin von möglichen Angriffen gegen Mitgliedsstaaten abzuhalten.
40'000 Einsatzkräfte unter Nato-Kommando in Osteuropa
Ein Jahr später stehen etwa 40'000 Einsatzkräfte in Osteuropa unter Nato-Kommando, von Estland bis nach Bulgarien. Rund 100'000 US-Soldatinnen und -Soldaten sind in Europa stationiert. Etwa 140 Kriegsschiffe sind in europäischen Gewässern unterwegs, der Luftraum wird rund um die Uhr überwacht, und insgesamt 130 Flugzeuge sind in ständiger Bereitschaft.
Diese Kräfte sollten nur auf Nato-Gebiet bleiben. Aber Mitgliedsstaaten nahe der russischen Grenzen wie Litauen sind nach eigenen Angaben bereit, die Ukraine uneingeschränkt zu unterstützten. Sie sind dafür, das Land in die Nato aufzunehmen.
Wenn die Führung der Allianz im Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius zusammenkommt, wird sie vermutlich mit weiterer Hightech-Ausrüstung den Einsatz erhöhen. Dass ein Bündnispartner eine Entsendung von Truppen in Betracht ziehen könnte, ist schwer vorstellbar. Doch vor 18 Monaten hat noch nicht einmal die Nato geglaubt, dass Russland die Ukraine angreifen würde.