Lockdown in Shanghai Hungernde Bewohner flehen um Hilfe – Drohnen weisen sie in die Schranken

Von Maximilian Haase

8.4.2022

Shanghai meldet neue Corona-Fälle

Shanghai meldet neue Corona-Fälle

Mit einem strengen Lockdown und Massentests für 26 Millionen Menschen wollen die Behörden den aktuellen Corona-Ausbruch eindämmen.

06.04.2022

25 Millionen Menschen im Lockdown: Aufgrund Chinas strenger Null-Covid-Strategie spitzt sich die Lage in Shanghai immer weiter zu.

Von Maximilian Haase

Seit Tagen harren die rund 25 Millionen Einwohner*innen Shanghais in ihren Wohnungen und Häusern aus. Noch immer herrscht in der chinesischen Wirtschaftsmetropole ein strikter Lockdown; erst kürzlich hat die Regierung ihn auf unbestimmte Zeit verlängert. Schanghai gilt als Hotspot der bis dato schlimmsten Corona-Welle in China, die mit 20'000 täglichen Neuinfektionen nun eine neue Höchstmarke seit Pandemiebeginn überschritt.

Der Ausbruch befinde sich noch immer in seiner «Hochphase», sagte Lei Zhenglong von der Gesundheitskommission laut Nachrichtenagentur AFP; die Situation bezeichnete er als «sehr schwerwiegend». Beobachter lesen in diesen Aussagen, dass ein Ende des Lockdowns nicht in Sicht sei. Auch wenn die meisten Fälle asymptomatisch verliefen, hält die Regierung in Peking an ihrer strikten Null-Covid-Strategie fest. Heisst: strenge Ausgangssperren, Quarantäneregelungen und Massentests.

Empörung über Eltern-Kind-Trennung

Welche Folgen das für die Bevölkerung haben kann, zeigte sich in den letzten Tagen in der Millionenstadt Shanghai, die von den Behörden zuvor schrittweise abriegelt wurde. Meldungen über Panik und Hamsterkäufe kursierten, sogar der Vizeparteichef gestand Probleme ein – etwa in der medizinischen Versorgung für chronisch Kranke und Schwangere. Medizinisches Personal, insgesamt 40'000 Menschen, wurden Berichten zufolge aus anderen Regionen Chinas nach Shanghai verlegt.

Für Aufsehen sorgten vor allem Berichte, nach denen selbst positiv getestete Kinder und Babys von ihren Eltern getrennt worden seien. Der unvermeidliche Aufschrei darüber zog nun leichte Lockerungen nach sich: Noch immer müssen Infizierte jeden Alters in Quarantänelager, oft in umfunktionierten Warenhäusern oder Messehallen. Doch können Kinder mit «speziellen Bedürfnissen» nach Angaben der Stadtverwaltung auch dann von ihren Eltern begleitet werden, wenn diese nicht infiziert seien. 

In den letzten Monaten waren auch immer wieder Fälle von bereits bei der Einreise positiv getesteten ausländischen Kindern gemeldet worden, die ohne ihre Eltern und mit fehlenden Sprachkenntnissen ins Spital kamen. Laut Nachrichtenagentur dpa sei dabei auch von «traumatischen Erfahrungen» berichtet worden.

Zwar steuert die Regierung nun mit weiteren Massnahmen gegen – laut staatlichem Fernsehsender CCTV sollen abermals alle Einwohner der Stadt getestet und ein Ausstellungskomplex zum provisorischen Corona-Spital für 40'000 Patienten umgebaut werden. Doch scheint der Unmut in der Bevölkerung zu wachsen. Insbesondere die Versorgungslage in Shanghai spitzt sich weiter zu. Weil es an Lebensmitteln und Medikamenten mangele, seien einige Bewohner*innen gar auf Tauschhandel umgestiegen, wie es etwa in einem Artikel der Zeitung «Welt» heisst.

Knappe Lebensmittel und Wucherpreise

Überhaupt mehren sich Meldungen über mangelnde Versorgung mit Nahrungsmitteln. Die Regale in den Supermärkten seien leer, die Lieferungen der Behörden unzureichend und die kommerziellen Dienste völlig überfordert, berichtet etwa die Nachrichtenseite «Foreign Policy». Wer online bestelle, müsse in den frühen Morgenstunden aufstehen und hoffen, «dass er zu den wenigen gehört, die durchkommen, bevor die Bestellungen eingestellt werden».

Die Lebensmittelknappheit sei «so gross, dass einige Menschen auf Nahrungssuche gehen, was zu Fällen von Lebensmittelvergiftungen führt». Die Einwohner tauschten online Tipps aus, wie man Gemüse länger haltbar machen oder Lebensmittel zubereiten könne, deren Haltbarkeitsdatum überschritten sei. Auch seien inoffizielle Läden entstanden, betrieben von jenen, die sich über den Winter mit Vorräten eingedeckt hätten, heisst es in dem Artikel.

Shanghai im Lockdown: Arbeiter in Schutzanzügen entladen Lebensmittel.
Shanghai im Lockdown: Arbeiter in Schutzanzügen entladen Lebensmittel.
Chinatopix Via AP/Keystone

Bisweilen sprechen die Reporter*innen gar von grassierendem Hunger: «Im Frühjahr 2020 riefen sich die Menschen in Wuhan abends am Fenster Mut zu, in Schanghai schreien die Menschen jetzt panisch aus dem Fenster, dass sie verhungern», heisst es in einer bemerkenswerten Reportage von Lea Sahay, der China-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung».

«Manche Nachbarschaftskomitees verteilen nur Lebensmittel an Menschen mit Shanghaier Wohnregistrierung», so die auch im «Tages-Anzeiger» veröffentlichte Reportage weiter, «anderswo behalten die Vermieter die Vorräte für sich selbst ein». Meist sei alles ausverkauft, «für den Rest verlangen die Verkäufer Wucherpreise». Die Einwohner Shanghais seien zunehmend verzweifelt, schreibt die «Washington Post». In den sozialen Medien beschwerten sich Menschen darüber, dass es nicht möglich sei, Lebensmittel und Wasser geliefert zu bekommen.

Proteste und Drohnen

Laut dem Portal «Weibo» hätten Einwohner*innen auf ihren Balkons unter anderem singend gegen die prekäre Versorgungslage in der Stadt protestiert. Anschliessend hätten sich Szenen ereignet, die einem dystopischen Sci-Fi-Film entsprungen scheinen. Ein Video zeigt, wie eine Drohne auftaucht und – laut Übersetzung der China-Korrespondentin des «Economist» – über Lautsprecher vermeldet: «Bitte halten Sie sich an die Covid-19-Einschränkungen. Kontrollieren Sie Ihr seelisches Verlangen nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster und singen Sie nicht».

Auch staatliche Medien sollen bereits darüber berichtet haben, dass Drohnen die Einhaltung des Lockdowns in Shanghai überwachen, wie etwa das Tech-Magazin «t3n» schreibt. Darüber hinaus sollen demnach aber auch rollende Drohnen zur Medikamenten- und Lebensmittellieferung eingesetzt werden.

Wie angespannt die Lage ist, sollen neben Unmutsbekundungen auf Social Media auch weitere im Netz kursierende Videos belegen, die allerdings meist von der Zensur wieder gelöscht werden. Sie zeigen etwa jene Regierungshelfer, die Infizierte aus ihren Wohnungen in Busse zerren, wie etwa die SZ berichtet. «Selbst ernannte Ordnungshüter übernehmen mit grossem Eifer die Aufgabe, sicherzustellen, dass sich Menschen an die Quarantänevorschriften halten», so Lea Sahay in ihrer Reportage.

Es handele sich um Polizisten, Sicherheitsleute und Freiwillige der Nachbarschaftskomitees, «die Menschen in ihren Häusern einmauern, Haustiere totprügeln, wenn sich deren Besitzer in Quarantäne befinden, und auf solche eindreschen, die ihre Masken nicht tragen». Sahay schreibt weiter: «Die kollektiven Exzesse erinnern besonders die Älteren an die dunklen Kapitel unter Mao, der mit brutaler Gewalt die Massen für seine politischen Ziele mobilisierte.»

Shanghai, so heisst es im Artikel der «Washington Post», «scheint ein Pulverfass für China zu sein, wo der Parteistaat seine Herrschaft damit rechtfertigt, dass er sich als Hüter der Gesundheit und des Wohlergehens des Volkes gibt».

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Mit Material von AFP und dpa