Vergewaltigungsprozess in FrankreichDie Frau, die den «monströsen» Vergewaltiger verteidigt
Samuel Walder
18.9.2024
Die aktuell wohl bekannteste Strafverteidigerin Frankreichs spricht im Interview über ihren Mandanten Dominique Pélicot. Für sie ist klar: Jede Person hat einen fairen Prozess verdient.
Samuel Walder
18.09.2024, 10:55
18.09.2024, 10:59
Samuel Walder
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die französische Anwältin Béatrice Zavarro verteidigt Dominique Pélicot, der seine Frau jahrelang missbraucht und sie von anderen Männern vergewaltigen liess.
Zavarro betont, dass Pélicot monströse Taten begangen hat, ihn jedoch nicht als Monster sieht.
Jeder Mensch hat einen angemessenen und fairen Prozess verdient, findet die Strafverteidigerin.
Die aktuell wohl berühmteste Strafverteidigerin Frankreichs ist Béatrice Zavarro. Überall in den Medien ist sie mit ihrer markanten, roten Brille zu sehen. Sie vertritt Dominique Pélicot. Der Mann, der seine Frau zehn Jahre lang unter Drogen gesetzt und vergewaltigt hat. Als seine Frau bewusstlos war, hat der Angeklagte zugeschaut, wie sich über 90 andere fremde Männer an seiner Frau vergingen. Die Taten hat er gefilmt.
Doch wie kam es dazu, dass die Anwältin den Jahrhundertfall übernommen hatte? Sie sagt gegenüber «20 Minuten»: «Er hat mir einen Brief geschrieben und ich habe ihn daraufhin im Gefängnis besucht. Dort haben wir über sein Dossier geredet.» Zweifel hatte die Anwältin keine: «Ich habe überlegt, und er hat mir vertraut. Als ich mit ihm sprach, hat er spontan und ehrlich über alles Auskunft gegeben. Da habe ich zugesagt, ihn zu verteidigen. Ich fand es interessant, ihn zu vertreten.»
Für Zavarro gilt, Mensch ist Mensch
In den Medien und auch im Volksmund wir der Täter als «Monster» betitelt. Zavarro hat da eine andere Meinung: «Ich vertrete einen Mann, der monströse Taten vollzogen hat. Aber ich vertrete kein Monster.» Pélicot bleibe ein Mensch mit einem Hintergrund, einem chaotischen Lebensweg. Die Anwältin wolle nichts relativieren: «Aber wir sind alle Männer und Frauen, und manche haben Fehler und Abweichungen, aber wir bleiben trotz allem Menschen. Er hat etwas Schlimmes getan, das ist unbestreitbar, aber er ist kein Monster.»
Der Täter streitet nichts ab und gibt alle Taten, die im vorgeworfen werden, begangen zu haben, zu. Zavarro sagt, es sei keine Verteidigungsstrategie, sondern: «Er hat von Anfang an alles zugegeben. Das zeigt seine Spontanität. Er erzählt seine Wahrheit.» Und, er bereue seine Taten komplett. «Es tut ihm unendlich leid, dass er diese Taten vollzogen hat. Und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich seine Anwältin bin. Dieser Mann hat ja auch alles verloren.»
«20 Minuten» hackt nach und meint, ob das nicht dem Selbstmitleid verschuldet ist. Die Anwältin verneint: «Gehen wir davon aus, dass er in die Sachen verwickelt ist, die wir kennen, dann wird er keine Sympathien ernten. Man wird nie denken, dass er sympathisch ist, dass er ein guter Mann ist. Man könnte nie denken, dass dieser Mann seine Familie liebt.»
Der Täter denkt an seine Familie
Aber Zavarro könne sagen, das Gegenteil sei der Fall. Er versuche die Interessen der Familie immer zu wahren. «Er ist nicht in dieser Egoperspektive gefangen, er denkt nicht zuerst an sich. Er denkt an seine Familie und zuerst an seine Frau und bereut die Dinge gegenüber seiner Ehefrau.»
Die Zuschauer, Medien und die französische Bevölkerung stellen sich eine Frage: Wie kann die Anwältin so eine Person, die solch schrecklichen Dinge getan hat, verteidigen? Zavarro antwortet reflektiert: «Ich bin nicht diejenige, die richtet. Was er tat, ist monströs, das denke ich schon, aber meine Gefühle als Frau interessieren niemanden. Ich bin auch nicht hier als Frau, ich vertrete ihn als Anwältin, als seine Verteidigerin.»
Die Anwältin ist überzeugt, dass jede Person eine angemessene Verteidigung und einen gerechten Prozess verdient hätte. «Wir sind in Frankreich, jeder hat das Recht auf einen fairen Prozess, wir sind nicht in einem Land, in dem innert ein paar Minuten ein Urteil gefällt wird, ganz ohne nicht», erklärt die Anwältin.
«Es ist nicht einfach, den meistgehasstesten Ehemann der Nation zu verteidigen»
Ganz so einfach sei es aber nicht: Aber es ist sicher nicht einfach, den derzeit meistgehasstesten Ehemann der Nation zu verteidigen. Zurzeit versuche ich einfach, meine Verantwortung als Verteidigerin in diesem Fall so gut wie möglich wahrzunehmen. Und alles andere kommt später.»
Die Anwältin wurde selber nie zur Zielscheibe von hasserfüllten Kommentaren, Anrufen oder E-Mails. Doch die Menschen fragen sich, wie sie diesen Job machen könne. Zarravo antwortet: «Ich mache nur meine Arbeit. Ich habe diesen Beruf gewählt und mache ihn, so gut ich es kann.»
Und ausserdem gäbe es überall im Land Menschen, die schlimme Dinge getan haben. Auch diese Menschen bräuchten einen Anwalt oder eine Anwältin. «Er hat vielleicht etwas schlimmere, aussergewöhnlichere Dinge getan, aber er bleibt ein Mensch, der das Anrecht auf eine korrekte Verteidigung hat», sagt Zavarro abschliessen.