Eine EinordnungSo glaubwürdig sind die Versprechen der Taliban
Von Philipp Dahm
18.8.2021
Als die Taliban herrschten: Das Islamische Emirat von Afghanistan
Kabul, 9. August 2021: Afghanen fliehen vor den Taliban in die Hauptstadt. Und das aus gutem Grund: Der alte Mann wird sich noch daran erinnern, wie es in seinem Land zwischen 1996 und 2001 zugegangen ist, als die Fanatiker das Sagen hatten.
Bild: Keystone
Ihr Terrorregime beginnt im September 1996 nach dem Fall von Kabul. Die Taliban etablieren strenges Rechtssystem, in dem Diverses verboten ist, von Musik, Film und Fernsehen über Malerei und Fotografie bis hin zu Fussball oder Schach.
Bild: KEYSTONE
Besonders hart trifft es die Frauen, die sich verhüllen müssen, aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Sich zu bilden wird ihnen explizit verboten. Sie werden quasi unter Hausarrest gestellt.
Bild: KEYSTONE
Sexueller Missbrauch ist an der Tagesordnung, Verfehlungen werden streng bestraft: Im Februar 1998 erhält beispielsweise eine Frau wegen «Ehebruchs» öffentlich 100 Peitschenhiebe, weil sie in Kabul mit einem Mann unterwegs ist, der nicht ihr Ehemann ist.
Bild: KEYSTONE
Amnesty International schätzt, dass 80 Prozent der Ehen unter Zwang eingegangen werden. Dabei verheiraten die Fanatiker auch minderjährige Mädchen. Seit 1998 müssen Mieter und Hausbesitzer ihre Fenster schwärzen, damit Frauen nicht sichtbar sind.
Bild: KEYSTONE
Taliban beim Zerstören von Alkohol: Frauen aus ethnischen Minderheiten wie etwa Usbekinnen werden von den Taliban entführt und entweder als Sex-Sklaven ins pakistanische Ausland verkauft oder in die Trainingscamps der Gotteskrieger gebracht werden.
Bild: KEYSTONE
Die Vereinten Nationen werfen den Taliban immer wieder vor, Gräueltaten gegen die Bevölkerung zu begehen. Sie zählen zwischen 1996 und 2001 15 Massaker, die «hochgradig systematisch» durchgeführt werden, so die UN.
Bild: KEYSTONE
Einen unrühmlichen Platz in der Geschichte der Taliban-Herrschaft nimmt das Stadion von Kabul ein, das immer wieder für Hinrichtungen genutzt werden, zu denen Tausende Menschen kommen. Bereits der Besitz von Waffen kann ein Todesurteil sein.
Bild: Commons/Masoud Akbari
Die Vereinten Nationen versuchen in jener Zeit, die Not der Bevölkerung zu lindern, die nach dem afghanischen Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1996 ohnehin schon gross ist. Die Taliban behindern jedoch aus «politischen und militärischen Gründen» die Verteilung von Hilfsgütern, kritisieren die UN.
Bild: AP
Ein weiterer Eckpunkt der Taliban-Herrschaft ist der kulturelle Krieg: Museen werden zerstört oder in Moscheen umgewandelt. Hinweise auf frühere Zivilisationen sind passé – weshalb zum Beispiel die 2000 Jahre alte Buddha-Statue von Bamiyan gesprengt wird.
Bild: KEYSTONE
Opferzahlen jener Zeit gibt es nicht. Fakt ist, dass in den fünf Jahren des Taliban-Regimes sehr viele afghanische Kinder zu Waisen werden.
Bild: KEYSTONE
Als die Taliban herrschten: Das Islamische Emirat von Afghanistan
Kabul, 9. August 2021: Afghanen fliehen vor den Taliban in die Hauptstadt. Und das aus gutem Grund: Der alte Mann wird sich noch daran erinnern, wie es in seinem Land zwischen 1996 und 2001 zugegangen ist, als die Fanatiker das Sagen hatten.
Bild: Keystone
Ihr Terrorregime beginnt im September 1996 nach dem Fall von Kabul. Die Taliban etablieren strenges Rechtssystem, in dem Diverses verboten ist, von Musik, Film und Fernsehen über Malerei und Fotografie bis hin zu Fussball oder Schach.
Bild: KEYSTONE
Besonders hart trifft es die Frauen, die sich verhüllen müssen, aber nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen. Sich zu bilden wird ihnen explizit verboten. Sie werden quasi unter Hausarrest gestellt.
Bild: KEYSTONE
Sexueller Missbrauch ist an der Tagesordnung, Verfehlungen werden streng bestraft: Im Februar 1998 erhält beispielsweise eine Frau wegen «Ehebruchs» öffentlich 100 Peitschenhiebe, weil sie in Kabul mit einem Mann unterwegs ist, der nicht ihr Ehemann ist.
Bild: KEYSTONE
Amnesty International schätzt, dass 80 Prozent der Ehen unter Zwang eingegangen werden. Dabei verheiraten die Fanatiker auch minderjährige Mädchen. Seit 1998 müssen Mieter und Hausbesitzer ihre Fenster schwärzen, damit Frauen nicht sichtbar sind.
Bild: KEYSTONE
Taliban beim Zerstören von Alkohol: Frauen aus ethnischen Minderheiten wie etwa Usbekinnen werden von den Taliban entführt und entweder als Sex-Sklaven ins pakistanische Ausland verkauft oder in die Trainingscamps der Gotteskrieger gebracht werden.
Bild: KEYSTONE
Die Vereinten Nationen werfen den Taliban immer wieder vor, Gräueltaten gegen die Bevölkerung zu begehen. Sie zählen zwischen 1996 und 2001 15 Massaker, die «hochgradig systematisch» durchgeführt werden, so die UN.
Bild: KEYSTONE
Einen unrühmlichen Platz in der Geschichte der Taliban-Herrschaft nimmt das Stadion von Kabul ein, das immer wieder für Hinrichtungen genutzt werden, zu denen Tausende Menschen kommen. Bereits der Besitz von Waffen kann ein Todesurteil sein.
Bild: Commons/Masoud Akbari
Die Vereinten Nationen versuchen in jener Zeit, die Not der Bevölkerung zu lindern, die nach dem afghanischen Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1996 ohnehin schon gross ist. Die Taliban behindern jedoch aus «politischen und militärischen Gründen» die Verteilung von Hilfsgütern, kritisieren die UN.
Bild: AP
Ein weiterer Eckpunkt der Taliban-Herrschaft ist der kulturelle Krieg: Museen werden zerstört oder in Moscheen umgewandelt. Hinweise auf frühere Zivilisationen sind passé – weshalb zum Beispiel die 2000 Jahre alte Buddha-Statue von Bamiyan gesprengt wird.
Bild: KEYSTONE
Opferzahlen jener Zeit gibt es nicht. Fakt ist, dass in den fünf Jahren des Taliban-Regimes sehr viele afghanische Kinder zu Waisen werden.
Bild: KEYSTONE
Die Taliban geben sich plötzlich geläutert, wollen die Rechte der Frauen akzeptieren und versprechen, ihre einstigen Gegner zu schonen. Kaum zu glauben, oder?
Von Philipp Dahm
18.08.2021, 16:50
18.08.2021, 16:51
Philipp Dahm
Es ist schon merkwürdig: Da geben die Taliban ihre erste Medienkonferenz, und was im Westen davon ankommt, klingt wie ein Märchen aus «1001 Nacht».
Die Taliban reden demnach von Amnestie: Sprecher Sabiullah Mudschahid habe gesagt, dass auch jene, die die Taliban bekämpft hätten, nichts zu befürchten hätten. Die Rechte der Frauen würden respektiert werden – im Rahmen des islamischen Rechts. Medien wie auch Botschaftsangehörige müssten sich nicht um ihre Sicherheit sorgen.
Es mutet fast so an, als sei der heilige Geist in die Kämpfer gefahren: «Wir wollen keine Konflikte mehr», heisst es aus der Hauptstadt. «Wir wollen keinerlei Chaos oder Unannehmlichkeiten in Kabul sehen.» Es habe Profiteure gegeben, die die Situation nutzen würden, um beispielsweise zu plündern. Darum werde man sich kümmern.
Wer aber zwischen den Zeilen liest, wird stutzig. «Wir haben die Fremden vertrieben, und ich möchte der ganzen Nation dazu gratulieren», beginnt etwa die Rede des Sprechers. Mudschahid sagt, seine Landsleute hätten auf diesen «historischen Schritt» gewartet, während das aktuelle Chaos allein auf die Kappe von Menschen ginge, die die Situation ausnutzen und Unruhe stiften wollten.
Nur deshalb seien die Taliban bereits in Kabul eingerückt – um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. «Die gesamte globale Gemeinschaft kann versichert sein, dass wir uns dem Versprechen verschrieben haben, dass sie von unserem Boden aus in keiner Weise Schaden zugefügt wird.»
Zwischen den Zeilen lesen
Aber Mudschahid sagt auch: «Wir haben andere Regeln, eine unterschiedliche Politik, andere Ansichten, andere Herangehensweisen. Afghanen haben das Recht, ihre eigenen Regeln, Vorschriften und ihre eigene Politik zu machen, sodass sie im Einklang mit unseren Werten stehen.» Das sind Formulierungen, die wie ein Hintertürchen des Versprechens daherkommen, die Taliban seien plötzlich milde.
Auch beim Bekenntnis zu den Frauenrechten gibt es Ungereimtheiten. Einerseits werde es «keinerlei Diskriminierung» geben, «aber natürlich in dem Rahmen, den wir haben. Unsere Frauen sind Muslimas. Auch sie werden glücklich sein, in unserem Rahmen unter der Scharia zu leben.»
Und auch die Medienfreiheit wird verbal gleich wieder eingeschränkt: «Der Islam ist ein sehr wichtiger Wert und unserem Land, und nichts darf sich gegen islamische Werte richten.» Später ergänzt der Taliban-Sprecher noch einmal relativ deutlich: «Unsere Nation ist eine muslimische Nation – das war vor 20 Jahren so und ist auch heute so.»
Hanbalitische Schule: Dogma, Dogma, Dogma
Und so müssen wir allen Lippenbekenntnissen zum Trotz auch davon ausgehen, dass es im Islamischen Emirat 2021 genau so zu- und hergehen wird wie im Islamischen Emirat, das es zwischen 1996 bis 2001 gab (siehe obige Bildergalerie): Es ist demnach ausgeschlossen, dass es keinerlei Diskriminierung geben wird.
Das Rechtsverständnis der Taliban ist von der hanbalitischen Schule geprägt, der nur fünf Prozent der Sunniten angehören. Diese Lehrrichtung ist vor allem im strengen Saudi-Arabien vorherrschend: Riad hat seine Ideologie durch religiöse Schulen in Pakistan verbreitet, denen vor allem afghanische Flüchtlingskinder zum Opfer gefallen sind.
Aus den Kindern von damals sind die Taliban von heute geworden: Sie haben den Hanbalismus mit in ihre Heimat gebracht und bei ihrer Machtübernahme 1996 gleich zur Anwendung gebracht: Dieben wird die Hand abgehackt, Frauen, die ohne männlichen Begleiter untergwegs sind, werden öffentlich ausgepeitscht und Mörder und Vergewaltiger vor Zuschauern hingerichtet.
Afghanen sollen Daten löschen
Die Hinrichtungen waren nicht zuletzt deshalb stets gut besucht, weil jegliche Form von Ablenkung verboten war – von Musik über Malerei bis hin zum Fernsehen. Anderen Religionen wurde das öffentliche Zeigen oder gar Ausüben ihres Glaubens verboten.
Jetzt sagt der Taliban-Sprecher: «Es gibt Sikhs und Hindus im Land, die religiöse Freiheiten geniessen.» Sogar den letzten Juden in Afghanistan will er schützen: Zebulon Simantov, der mit einer jüdischen Tadschikin verheiratet ist, will das Land und die einzige Synagoge darin nicht verlassen.
Dass auch das afghanische Volk dem plötzlichen Humanismus der Taliban nicht traut, zeigen zwei Meldungen. Die Erste: Hilfsorganisationen drängen die Afghanen, ihre digitalen Spuren zu verwischen. «Die Taliban haben jetzt wahrscheinlich Zugang zu verschiedenen biometrischen Datenbanken und Ausrüstung», warnt Human Rights First.
Preise für Burkas verzehnfacht
«Die Daten können auch genutzt werden, um deine Kontakte und Netzwerke aufzudecken», ergänzt Welton Chang. Human Rights First veröffentlichte auf Farsi Tipps, wie man die biometrische Erfassung umgehen kann: den Blick senken oder Make-up benutzen. Angeblich gehen die Taliban nun von Tür zu Tür, um nach Verrätern zu suchen.
Ein zweiter Indikator dafür, dass auch das Volk dem Frieden nicht traut: Der Preis für Burkas hat sich verzehnfacht, seit die Taliban die Regierung übernommen haben. Die Vollverschleierung für Frauen ist im Westen ein Symbol für die Unterdrückung der Frauen – und auch für junge Afghaninnen relatib ungewohnt
Für jene, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan gross geworden sind, wird die Umstellung hart werden. «Sie wollen immer noch, dass Frauen zu Hause bleiben», bekundet stellvertretend eine 25-Jährige, die für eine Hilfsorganisation in Herat arbeitet. Sie ist zuletzt wie viele andere Frauen zu Hause geblieben.
«Ich kann die Burka nicht akzeptieren»
«Ich glaube, ich bin nicht bereit, eine Burka zu tragen. Ich kann sie nicht akzeptieren. Ich werde für meine Rechte kämpfen», glaubt die 25-Jährige, «was auch immer passiert.» Dass Afghanistan nun friedlich wird, sei aber alleine schon deswegen unwahrscheinlich, weil es sich um ein «enorm zerrissenes Land» handelt, wie Conrad Schetter von der Uni Bonn sagt.
«Erstens gibt es eine grosse ethnische Vielfalt, die sich auch in den verschiedenen Sprachen zeigt», erklärt der Autor der Rhein-Neckar Post, «und zweitens auch eine religiöse Vielfalt, weil es neben den Sunniten auch einige Schiiten in dem Land gibt. Und drittens gibt es auch noch eine grosse Differenz zwischen Stadt und Land.»