Lockdown, die Zweite: Das Burgtheater in Wien hat zu.
Ein Mann am Wiener Naschmarkt. Auch hier ist es menschenleer.
Auch hier, kein Gedränge auszumachen: Ein Mann geht über den Michaelerplatz.
Ebenfalls verwaist: Der Rathauspark in Wien.
Wien im Würgegriff der Pandemie
Lockdown, die Zweite: Das Burgtheater in Wien hat zu.
Ein Mann am Wiener Naschmarkt. Auch hier ist es menschenleer.
Auch hier, kein Gedränge auszumachen: Ein Mann geht über den Michaelerplatz.
Ebenfalls verwaist: Der Rathauspark in Wien.
Seit heute ist in Österreich der zweite Lockdown in Kraft. Für drei Wochen steht das öffentliche Leben still. Was bedeutet das für unsere Nachbarn im Osten? Einblicke einer Wienerin.
Die Stille wirkt in so einer grossen Stadt schon unheimlich. Morgens, auf dem Weg in mein Büro, begegne ich normalerweise aufgeregten Kindern mit viel zu grossen Schultaschen, die Baustellen werden von den Arbeitern bezogen, die Rollgitter der Geschäftslokale hochgezurrt. Mitten im Lärm und Trubel der Grossstadt wäre mahnend das Bimmeln der Strassenbahn zu hören.
Aber heute Morgen ist es wieder still in den Strassen Wiens. Die Strassenbahn schlängelt sich gemächlich mit einer Handvoll Passagieren durch die engen, leeren Gassen. Der Anblick der geschlossenen Geschäfte ist im Jahr 2020 kein neuer.
Seit heute Dienstag, 00:00 Uhr, ist in Österreich der zweite Lockdown, der die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen soll, in Kraft. Mehr als 9'000 tägliche Neuinfektionen gingen aus den Tests vergangene Woche hervor, die neuen Massnahmen haben damit vorrangig das Ziel, eine Überlastung der Intensivstationen in den Spitälern zu vermeiden.
Der erste Lockdown wurde im März verhängt. Damals reichte schon ein Zehntel der heutigen Infektionszahlen aus, um Handel und Schulen, das ganze Land herunterzufahren. Die Ausgangssperren, die seit Monatsbeginn ab 20 Uhr gegolten haben, werden nun auf den gesamten Tag ausgeweitet.
Wieder gibt es nur bestimmte Gründe, in den kommenden drei Wochen das Haus zu verlassen. Die Schulen sollen auf Fernunterricht umstellen, aber gleichzeitig den Kindern, die es benötigen, persönliche Betreuung anbieten. «Schrödingers Schule», witzelt man auf Social Media.
Noch rasch die Adventsgeschenke verschicken
Der Lockdown II könnte für viele vor allem kleine Unternehmen den existenziellen Gnadenstoss bedeuten. Der Handel muss erneut bis auf einige Ausnahmen schliessen, Apotheken, Postfilialen, Banken und Lebensmittelhändler bleiben offen. Die Gastronomie ist ohnehin seit Monatsanfang stillgelegt und wird mit Coronahilfszahlungen vom Staat über Wasser gehalten. Sind die Insolvenzen heuer im Vergleich zum Vorjahr noch leicht zurückgegangen, so erwarten Volkswirtschafter für 2021 eine Pleitewelle und einen starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen, sofern die Unterstützungszahlungen nicht verlängert werden.
In den vergangenen Tagen traf die Bevölkerung die letzten Vorbereitungen für den Lockdown II. Bei der Post ums Eck verschickten Frauen am Montagabend noch schnell die ersten Adventsgeschenke, während sich eine Familie noch rasch einen Plasma-Flat-Screen aus dem Elektromarkt holte – für die gemeinsamen Wochen auf der Couch.
Ein Schuhhändler bot am Wochenende minus 50 Prozent auf das gesamte Sortiment an, auch eine Möbelhauskette lockte mit grossen Rabatten möglichst viele Käufer an. In diversen Einkaufszentren, Geschäften und Läden bildeten sich angesichts der limitierten Besucherzahlen Warteschlangen, Securitys mussten den Einlass regeln.
Bei diesen Bildern stellt sich die Frage, inwieweit schon die zweite Welle an Coronainfektionen in Österreich hausgemacht war. Das Contact Tracing hatte angesichts der Kapazitätsgrenzen schon seit Längerem nicht mehr effektiv funktioniert; Behörden brauchen tage-, manchmal wochenlang, um Quarantänebescheide auszustellen. Die zahlreichen Erkrankungen und Todesfälle in Alters- und Pflegeheimen deuten auch hier auf Verfehlungen hin, die Infektionsraten haben sich in diesem Bereich neuerdings binnen zwei Wochen verdoppelt.
Gegen Besuchsverbote, wie sie im Frühjahr verhängt wurden, sprachen sich Interessenvertreter der Senioren deutlich aus – die psychischen Folgen einer wochenlangen Kontaktsperre seien für manche Heimbewohner*innen schwerwiegender als die gesundheitlichen Risiken.
Wie viele Opfer fordern die Folgen des Lockdowns?
Ein Faktor, der an dieser Stelle in die erhitzte und durch zu viele Diskutant*innen unübersichtlich gewordene Debatte um Covid-19 hinzukommt, ist die Frage, wie viele Opfer die Massnahmen selbst fordern. Hohe Umsatzzuwächse verzeichnen unter anderem die Alkohol- und Nikotinbranche, wie viele Folgeerkrankungen bringt der verstärkte Konsum mit sich? Wie viele Kinder sind im Lockdown gewalttätigen oder suchtkranken Eltern ausgeliefert oder verlieren den Anschluss in der Schule?
Wie viele Existenzen werden durch die Lockdown-Politik zerstört? Wie vielen psychisch Kranken gereicht die Isolation, ihre letzten Bände zur Realität zu kappen – wie viele vereinsamte Menschen bringt das Alleinsein zum Suizid?
Die vielen Fragen um die Angemessenheit der Covid-Massnahmen spalten das Land immer mehr. Vorangetrieben wird diese Spaltung noch von rechtspopulistischen Akteur*innen, die Zweifel in der Bevölkerung schüren und Verschwörungstheorien verbreiten, während es wohl seit Langem nicht mehr so angebracht war, als Gesellschaft zusammenzuhalten und zuversichtlich zu bleiben.
Zur Autorin: Sarah Kleiner arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt bevorzugt über Umwelt, Gesellschaft und politische Themen. Bis vor Kurzem engagierte sie sich als Organisationsleiterin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich für das Menschenrecht auf Pressefreiheit, ihre Texte wurden in diversen österreichischen Medien, wie zum Beispiel «Dossier», dem Monatsmagazin «Datum» oder der Wochenzeitung «Furche» publiziert. Gesammelte Arbeiten finden sich auf diekleiner.wordpress.com.
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