Graham vs. Kreml Deftiger diplomatischer Kleinkrieg – wegen Fake News

Von Philipp Dahm

30.5.2023

Hat «immense Freude» an der Wut Moskaus: US-Senator Lindsay Graham.
Hat «immense Freude» an der Wut Moskaus: US-Senator Lindsay Graham.
Archivbild: EPA

Ein US-Senator frohlockt, weil in der Ukraine viele Russen sterben. Moskau eröffnet ein Strafverfahren, doch nun zeigt sich, dass die Aussage aus dem Kontext gerissen ist. Lindsay Graham kommentiert genüsslich.

Von Philipp Dahm

30.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Freitag, den 26. Mai, hat US-Senator Lindsay Graham den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew besucht.
  • In einem Video scheint Graham zu sagen, Russen würden in der Ukraine sterben und dass das die «beste Investition gewesen» sei, die die USA je gemacht hätten.
  • Russland hat ein Strafverfahren gegen Graham eröffnet und ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Es hagelte Kritik russischer Offizieller.
  • Eine umgeschnittene Version des Videos zeigt nun, dass die Aussagen aus dem Kontext gegriffen und harmlos sind.
  • Graham frotzelt, er stelle sich gern dem Weltstrafgericht, wenn Putin, der wegen Kriegsverbrechern angeklagt ist, es auch tue.

Washington und Moskau liefern sich seit dem Wochenende ein relativ undiplomatisches Geplänkel, das am 26. Mai in Kiew seinen Lauf nimmt. An diesem Tag trifft US-Senator Lindsay Graham Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident nutzt die Gelegenheit, um für seine Sache zu werben.

Immerhin ist sein Gast eine gewichtige Stimme in der republikanischen Partei, die im kommenden Jahr wieder das Weisse Haus erobern will. Kiew fürchtet, dass in diesem Fall das US-Engagement in dem Krieg abnehmen könnte. Selenskyj bedankt sich deshalb entsprechend ausgiebig für die Militärhilfen, die Washington bereitstellt.

Und es passiert das scheinbar Unmenschliche. «Jetzt sind wir frei», sagt Selenskyj. «Und wir werden frei sein.» «Und die Russen sterben», schliesst Graham an. Und bekundet dann: «Es ist die beste Investition, die wir je gemacht haben.» Das schlägt Wellen. Auch Rachel Blevins etwa ist ausser sich.

«Immer, wenn du denkst, dass Mitglieder der US-Regierung bei ihrer Unterstützung der Ukraine nicht noch schamloser werden können, finden sie anscheinend doch einen Weg», schimpft die Texanerin, die einst im Dienste von RT America stand und sich offenbar immer noch als Sprachrohr des Russen-Senders versteht. Der 67-Jährige Graham ist übrigens kein Regierungsmitglied.

Moskau schiesst gegen Graham

Auch der Kreml ist wütend. Das Innenministerium eröffnet noch am Wochenende ein Verfahren und lässt Graham zur Fahndung ausschreiben. Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow kommentiert das Ganze am 29. Mai mit den Worten: «Es ist schwer, sich für ein Land eine grössere Schande vorzustellen, als solche Senatoren zu haben.»

Auch Putins Lautsprecher Dmitri Medwedew meldet sich zu Wort. «Der alte Trottel, Senator Lindsay Graham, hat gesagt, dass die Vereinigten Staaten noch nie so erfolgreich Geld ausgegeben haben wie beim Mord an Russen», wird der 67-jährige Vize-Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats zitiert. «Das hätte er nicht tun sollen.»

Dabei ist jener Clip mit der angeblichen Konversation alles andere als koscher. Anfangs wird noch diskutiert, ob Grahm «dying» (sterben) oder «done» (erledigt sein) gesagt. Viel wichtiger ist aber, dass es in dem Video aus dem Büro des ukrainischen Präsidenten offensichtlich einen Schnitt gibt, bevor die Aussage mit der «besten Investition» kommt.

Lieber tot als Sklave

Kiew veröffentlicht daraufhin eine ungekürzte Version des Clips, die das Gesagte in den Kontext rückt. Die «beste Investition» sei die Freigabe von 38 Milliarden Dollar Militärhilfen gewesen, sagt Graham. Er fährt fort, dass auch die Amerikaner*innen einst unter dem Motto gelebt hätte «Live free or die». «Jetzt sind wir frei», antwortet Selenskyj. «Und die Russen sterben», entgegnet Graham.

Der Senator aus South Carolina – den Sitz hält er schon seit Jahren – schiesst zurück. «Die russische Propaganda-Maschine arbeitet wie immer hart», kommentiert er die Spitzen aus Moskau. Medwedew könne das Sterben stoppen, indem die russischen Truppen abgezogen würden. «Die Wahrheit ist, dass Putin und du euch nicht weniger darum kümmern könntet, dass russische Soldaten sterben.»

Auf Twitter legt Graham nach. Es bereite ihm «immense Freude», sich den Zorn Moskaus zugezogen zu haben, stichelt der Republikaner. Er werde weiter kämpfen, bis «jeder russische Soldat vom ukrainischen Territorium vertrieben worden» sei. Und er werde sich der russischen Justiz stellen – aber nur am Internationalen Gerichtshof, wo Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen angeklagt ist. «Wir sehen uns in Den Haag», frotzelt er.

Selenskyjs Büro hat das Video wohl in voller Absicht derart gekürzt. Erreicht hat Kiew damit, dass Moskau den republikanischen Senator öffentlich angreift – und so weiter in die Arme des russischen Gegners treibt. Der Gewinner bei diesem diplomatischen Vorfall zwischen Russland und den USA ist deshalb eindeutig die Ukraine.