Wahlen in Österreich Kurz als strahlender Sieger – aber mit wem soll er nun regieren?

Matthias Röder, dpa

30.9.2019

ÖVP-Chef Sebastian Kurz spricht nach seinem Wahlgewinn am Sonntagabend in Wien zu seinen Anhängern.
ÖVP-Chef Sebastian Kurz spricht nach seinem Wahlgewinn am Sonntagabend in Wien zu seinen Anhängern.
Bild: EPA/Florian Wieser

Die österreichische Parlamentswahl nach der Ibiza-Affäre wird für die rechte FPÖ zum Debakel. Sebastian Kurz und seine ÖVP sind die grossen Gewinner – doch die Suche nach einem Koalitionspartner wird knifflig.

Österreich hat gewählt: Stunden vor Schliessung der Wahllokale ahnt die ÖVP schon ihr Glück. «Die Menschen wollen ihren Kanzler zurück», umreisst ÖVP-Wahlkampfmoderator Peter Eppinger am Sonntagnachmittag die Stimmung in Österreich.

Mit den ersten Hochrechnungen wird dann klar, dass der 33-jährige Ex-Kanzler Sebastian Kurz tatsächlich wieder triumphiert. Seine ÖVP ist demnach grosse Siegerin der Wahl mit 37,1 Prozent der Stimmen – einem Plus von 5,6 Prozentpunkten im Vergleich zu Nationalratswahl 2017. SPÖ und FPÖ sind dagegen deutlich abgesackt.

Kurz wird vom österreichischen Bundespräsident Alexander Van der Bellen demnächst den Auftrag erhalten, eine Regierung zu bilden. Rein rechnerisch kann der Ex-Kanzler ein Bündnis mit den erstarkten Grünen schmieden. Er könnte aber auch mit der SPÖ oder erneut mit der rechten FPÖ. Der 33-Jährige sagte dazu am Abend im ORF, er werde auf alle im Parlament vertretenen Parteien zugehen. «Ich werde mir jeden Schritt sehr gut überlegen.»

Mit Migrationspolitik gepunktet

Kaum hatte der strikt migrationskritische Kurz vor gut zwei Jahren die Partei übernommen, setzte sie zum Höhenflug an. Und das auf Kosten der rechten FPÖ. Die FPÖ ist im Vergleich zum Zuspruch der vergangenen Jahre dramatisch auf rund 16 Prozent abgestürzt. Das Minus von zehn Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl 2017 ist auch Folge der jüngsten Affäre um Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache. Dem 50-Jährigen wird ein üppiger Lebensstil auf Kosten der Partei vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Untreue.

Auch wenn Strache die Vorwürfe wortreich auf Facebook bestreitet, ist der politische Schaden für die Rechtspopulisten über die Wahl hinaus erheblich. Es ist möglich, dass Strache bald aus der FPÖ ausgeschlossen wird. Die FPÖ selbst nahm sich noch am Abend weitgehend aus dem Spiel bei den Spekulationen über denkbare Regierungsbündnisse und kündigte einen «Neustart» an, voraussichtlich in der Opposition.



Bündnis ÖVP-Grüne möglich

Damit rückt ein mögliches Bündnis in den Mittelpunkt, das vor wenigen Monaten noch als quasi ausgeschlossen galt: ÖVP-Grüne. Denn die 2017 noch an der Vier-Prozent-Hürde gescheiterte Umweltpartei hat wie erwartet ihr Rekordergebnis von 2013 mit 14 Prozent fast wieder eingestellt. Damit würden die 71 Mandate der ÖVP und die 26 Sitze der Grünen für die nötige Mehrheit von mindestens 92 Sitzen im Parlament reichen. Auf Landesebene hat sich eine schwarz-grüne Partnerschaft wie zum Beispiel in Tirol bereits bewährt.

Der 57-jährige grüne Parteichef Werner Kogler, der manchmal eher wie ein etwas zerstreuter Gelehrter wirkt als wie ein scharfzüngiger Umweltaktivist, gilt als durchaus aufgeschlossen. Allerdings hat er im Wahlkampf die Wahrscheinlichkeit eines ÖVP-Grünen-Bündnisses mit nur fünf Prozent bezeichnet. «Wir brauchen Zeichen der Umkehr», sagte Kogler – und meint eine nötige Kursänderung unter anderem in der Umweltpolitik. Auch Teile der Grünen in Wien gelten als äusserst skeptisch und können mit Kurz gar nichts anfangen.

Die ehemalige Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sieht beim Thema Klimaschutz mit den Grünen gar kein so grosses Problem. Schwieriger würde es bei Fragen der Migration und der Sicherheit, meinte die Kurz-Vertraute am Abend im ORF. Aus Brüssel kam schon der Rat, eine solche Koalition zu wagen. So könne Kurz «Österreich aus den negativen Schlagzeilen herausbringen und zu einem starken Akteur auf der europäischen Bühne machen», sagte EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Grosse Koalition eher unwahrscheinlich

Eine Koalition der ÖVP mit den Sozialdemokraten, die rechnerisch ebenfalls möglich ist, gilt angesichts des tiefen Misstrauens zwischen den beiden Volksparteien als besonders schwierig. Die SPÖ müsste auch aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln. Sie verbuchte 21,8 Prozent (minus 5,1 Prozentpunkte). Das ist ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Nationalratswahl.

Die 48-jährige Ärztin Pamela Rendi-Wagner, Parteichefin seit knapp einem Jahr, hatte zwar höchst engagiert gekämpft, war dem versierten Kurz aber auch bei den TV-Duellen unterlegen. Die zuletzt demonstrierte Geschlossenheit der oft zerstrittenen Sozialdemokraten hatte nicht verfangen. Trotzdem schloss SPÖ-Geschäftsführer Thomas Drozda am Wahlabend personelle Konsequenzen aus. Auch Rendi-Wagner gab sich entschlossen und sagte: «Ich freue mich, mit euch diesen Weg weiterzugehen.»



ÖVP-Jubel ohne Grenzen

Die ÖVP feiert den Sieg umso mehr, weil er den bisher grössten Abstand zum Zweitplatzierten bedeutet. Der Jubel der Anhänger bei der Wahlparty kannte keine Grenzen. «Ich bin überwältigt und fast schon sprachlos», meinte ein strahlender Sieger Kurz. Es seien nach seinem Sturz schwere vier Monate gewesen. «Aber heute hat uns die Bevölkerung zurückgewählt.»

Kurz war infolge der Ibiza-Affäre von Ex-Vizekanzler Strache vom Nationalrat mit einem Misstrauensvotum gestürzt worden. Dieser von der SPÖ lancierte Schritt bescherte den Sozialdemokraten ein neues Tief in den Umfragen. Die liberalen Neos hatten den Misstrauensanstrag nicht unterstützt. Sie kamen auf ihr bisher bestes Ergebnis mit 7,8 Prozent (plus 2,5 Prozentpunkte).

Welche Aufgaben eine neue Regierung bewältigen muss, machten die Bürger bei Befragungen am Wahltag klar. Auf Platz eins liegt die Sorge ums Geld («Steuern senken, mehr Nettolohn garantieren»), fast gleichrangig gefolgt von den Themen wie «leistbare Mieten sicherstellen», «Gesundheitssystem reformieren und verbessern» und den «Klimaschutz forcieren». Der einstige Wahlkampfschlager «Zuwanderung stoppen», der wesentlich zum Erfolg von ÖVP und FPÖ 2017 beigetragen hat, rangiert nicht mehr ganz vorne.

Galerie: Die Wahlen in Österreich

Zurück zur Startseite