Druck aus PekingIslamisches Leben in China schwindet
AP/toko
7.5.2021
Unter dem Druck der Regierung sinkt die Zahl gläubiger Muslime in China. Berichte über die Zerstörung von Moscheen dementiert Peking zwar. Doch die Behörden finden andere Wege, um die Religionsfreiheit zu beschneiden.
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07.05.2021, 21:27
07.05.2021, 21:56
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Tursunjan Mamat fastet im Ramadan, anders als seine beiden acht und zehn Jahre alten Töchter. Für Kinder sei das Fasten nicht erlaubt, erklärt der gläubige Muslim aus der Region Xinjiang im Westen von China. Der 32-jährige Uigure beklagt sich nicht über Beschränkungen der Religionsfreiheit - zumindest nicht vor der Gruppe ausländischer Journalisten, die von Regierungsbeamten zu seinem Haus in der Stadt Aksu gebracht worden waren.
Die Beamten hören die Antworten des Mannes mit, der von seiner Religionsausübung nach den Regeln der Kommunistischen Partei erzählt. «Meine Kinder wissen, wer unser heiliger Schöpfer ist, aber ich vermittele ihnen kein detailliertes religiöses Wissen», sagt der Uigure. «Wenn sie 18 Jahre alt sind, können sie nach ihrem freien Willen Religionsunterricht besuchen.»
Zahl der Gläubigen sinkt
Unter dem Druck der offiziellen Politik scheint der Islam in Xinjiang vor einer unsicheren Zukunft zu stehen. Laut einem Bericht der australischen Denkfabrik ASPI vom vergangenen Jahr wurden 170 Moscheen zerstört. Das Institut spricht von einer vorsätzlichen Auslöschung der uigurischen und islamischen Kultur. Peking weist die Anschuldigungen zurück, ebenso wie Vorwürfe von Masseninhaftierungen und Zwangsarbeit, die die Beziehungen zu westlichen Regierungen belasten.
Einheimische Imame berichten zudem über eine sinkende Zahl von Gläubigen in Xinjiang. Noch vor zehn Jahren hatten sich zum Freitagsgebet in der Id-Kah-Moschee in Kashgar an der historischen Seidenstrasse jede Woche 4000 bis 5000 Menschen versammelt. Jetzt sind es nur noch 800 bis 900, wie Imam Mamat Juma sagt. Der regierungstreue Geistliche führt dies aber auf einen natürlichen Wertewandel und nicht auf die Politik zurück. Die jüngere Generation wolle mehr Zeit mit Arbeiten statt mit Gebeten verbringen, sagt er.
Im April organisierte die chinesische Regierung eine fünftägige Reise nach Xinjiang für etwa ein Dutzend ausländische Journalisten – als Teil einer grossangelegten Propagandakampagne, um Vorwürfen eines gewaltsamen Vorgehens gegen die Uiguren entgegenzutreten. Peking bezeichnet solche Anschuldigungen als Lügen westlicher Politiker und Medien.
Religionsfreiheit hat Grenzen
Die Regierung betont, die Religionsfreiheit zu schützen und den Bürgerinnen und Bürgern die Ausübung ihres Glaubens im Rahmen der geltenden Gesetze und Verordnungen zu ermöglichen. Diese Beschränkungen sind in Xinjiang allerdings allgegenwärtig: von einer Grundschule, deren Direktor sagt, Fasten sei wegen der Trennung von Religion und Bildung nicht möglich, bis hin zu einer Baumwollgarn-Fabrik, wo den Arbeitern das Beten selbst in ihren Schlafräumen verboten ist.
Von Rechts wegen dürfen Chinesen dem Islam, Buddhismus, Taoismus, Katholizismus oder freikirchlichen Protestantismus folgen. Praktisch hat dies aber Grenzen. Arbeiter dürfen fasten, wie der Geschäftsführer der Textilfabrik Aksu Huafa, Li Qiang, sagt. Sie seien jedoch verpflichtet, auf ihre Gesundheit zu achten. Bei Kindern sei das Fasten nicht gut für das Wachstum, erklärt Imam Juma.
Die Uiguren sind die grösste ethnische Minderheit in Xinjiang. Die überwiegend muslimische Gruppe umfasst zehn Millionen der insgesamt 25 Millionen Einwohner der Region. Sie trugen die Hauptlast des harten Vorgehens der Regierung, das auf eine Serie von Aufständen, Bombenanschlägen und Messerstechereien folgte.
Die Behörden erschweren unabhängige Berichterstattung aus der Region, obwohl einige Beschränkungen in jüngster Zeit etwas gelockert wurden. AP-Journalisten, die in den vergangenen Jahren auf eigene Faust Xinjiang besucht hatten, waren von verdeckten Ermittlern verfolgt, gestoppt, vernommenund gezwungen worden, Fotos oder Videos zu löschen.
«Setzen Sie die Sinisierung des Islams in unserem Land fort»
Bei dem kürzlichen Besuch in der mehr als 500 Jahre alten, pastellgelben Id-Kah-Moschee beteten dort etwa 50 Menschen, die meisten von ihnen ältere Männer. Der uigurische Imam Ali Akbar Dumallah, der 2012 aus China geflohen war, spricht von einer reinen Inszenierung für Besucher. «Sie sind routiniert darin, eine solche Szene zu schaffen, wann immer sie sie brauchen», sagt er in einem Videointerview aus der Türkei. «Die Leute wissen genau, was sie zu tun haben, wie sie sich hinlegen müssen, für sie ist es nichts Neues.»
Wegen des Verbots von Religionsunterricht für Minderjährige könnten junge Leute nicht das notwendige Wissen erwerben, beklagt Dumallah. «Die nächste Generation wird die chinesische Denkweise akzeptieren», sagt der Imam. «Sie werden immer noch als Uiguren bezeichnet werden, aber ihre Mentalität und Werte werden verschwunden sein.»
Der offiziellen Linie zufolge können Erwachsene auf eigenen Wunsch in einem staatlich geförderten Institut für Islamwissenschaft studieren. Auf dem neu gebauten Campus ausserhalb von Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, lassen sich Hunderte Studierende nach einem von der Regierung verfassten Lehrplan zu Imamen ausbilden. In einem Lehrbuch ist offen von einer Anpassung an die chinesische Kultur die Rede. «Setzen Sie die Sinisierung des Islams in unserem Land fort», heisst es im Vorwort. «Führen Sie den Islam zu einer Anpassung an eine sozialistische Gesellschaft.»