Indien und Co Chinas blutige Grenz-Geschacher – 65 Tote ohne einen Schuss

Von Philipp Dahm

6.7.2020

Ein indischer Helikopter im Juni über dem Himalaya.
Ein indischer Helikopter im Juni über dem Himalaya.
Bild: Keydstone

Ein Scharmützel zweier Atommächte im Himalaya kostet mindestens 55 Soldaten das Leben, ohne dass auch nur ein Schuss fällt. Nun wird lokal aufgerüstet – mit Kampfsportlern und Panzern. 

An der indisch-chinesischen Grenze kommt es immer wieder zu Scharmützeln – doch die Öffentlichkeit nimmt davon kaum Notiz. Eine Studie hat gezeigt, dass nur über ein bis zwei Prozent der Vorfälle, die es zwischen 2010 und 2014 gab, auch berichtet wurde.

Doch in diesen Tagen ist die Weltgemeinschaft für Grenzgeplänkel sensibilisiert, seitdem Peking aussenpolitisch immer aggressiver auftritt. Mit Vietnam, den Philippinen, Malaysia und Japan streitet sich China um Inseln im Südchinesischen Meer, in Sachen Hongkong oder Taiwan verstärkt die Zentralregierung den Druck.

Mit Neu-Delhi schwelt schon seit 1962 ein Konflikt, nachdem der sino-indische Krieg nach kaum einem Monat in einem nervösen Waffenstillstand endete. Vordergründig ging es damals um ein kleines, karges Gebiet im Himalaya, doch Peking nahm Indien vor allem seine Haltung in der Tibet-Frage übel, weil Neu-Delhi dem Dalai Lama Asyl gewährte.

Schlägerei auf 4'200 Metern Höhe

Dass die bestehende Demarkationslinie verletzt wird, ist heutzutage zwar nicht ungewöhnlich, doch im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Vorfälle massiv erhöht: Die «Observer Research Foundation» gibt die Zahl der Grenzübertritte der Volksbefreiungsarmee mit 660 an – bei 20 umstrittenen Grenzgebieten. Hinzu kämen 108 Luftraumverletzungen.

Indiens Premier Narendra Modi besucht Soldarten in Nimu in der Region Ladakh.
Indiens Premier Narendra Modi besucht Soldarten in Nimu in der Region Ladakh.
Bild: Keystone

Ein Schuss ist in den mehr als 78 Jahren nach Friedensschluss aber notabene nie gefallen. Auch nicht am 15. Juni dieses Jahres, als sich die zuletzt häufenden Nickligkeiten in einem blutigen Gefecht münden, bei je nach Quelle 35 oder 43 Chinesen und 20 Inder ihr Leben lassen.

Wie ist das möglich? Das Unglück nimmt am 5. Mai am Salzsee Pangong So auf 4'225 Meter Höhe seinen Lauf, durch den die Grenze verläuft. Angehörige des 17. Kumaon Regiment liefern sich am Strand eine Schlägerei mit chinesischen Soldaten. Steine fliegen. 72 Inder werden bei dem Vorfall verletzt. Auf vermehrte Flüge chinesischer Helikopter reagiert Neu-Delhi mit der Entsendung moderner Su-30 Kampfjets.

Der Pasngong So, an dem China und Indien aneinander grenzen.
Der Pasngong So, an dem China und Indien aneinander grenzen.
Bild:Gemeinfrei

Tödlicher Kampf im Himalaya

Am 10. Mai kommt es im Tal Muguthang zu einer Schlägerei zwischen 150 Soldaten, bei der sieben Chinesen und vier Inder zu Schaden kamen. In Indien werden derweil Vorwürfe immer lauter, China verlege heimlich und scheibchenweise seine Grenze vor.

Elf Tage später schreibt eine indische Zeitung, China würde sich an dem Bau einer Strasse beim Galwan-Fluss stören, die allerdings auf indischem Territorium liege, dessen Zugehörigkeit unbestritten sei. Pekings Staatsmedien behaupten dagegen, Indien würde unerlaubte Befestigungen bauen.

Bilder vom Mai und Juni zeigen, dass China seine Position am Galwan Fluss ausbaut.
Bilder vom Mai und Juni zeigen, dass China seine Position am Galwan Fluss ausbaut.
Bild: Keystone

Im steilen Galwan-Tal kommt es dann am 15. Juni zu dem tödlichen Gefecht, das sechs Stunden dauert. Um Grenz-Eskalationen zu vermeiden, ist der Waffeneinsatz in der Grenzregion verboten: Die Opfer der Auseinandersetzung stürzen ab, fallen womöglich in den minus zehn Grad kalten Fluss oder erliegen später ihren Verletzungen oder Erfrierungen. Unter den Toten sind auch die jeweiligen Anführer der Truppen.

Im Militärspital in Leh in der Ladakh ERegion traf Modi Soldaten, die beim Kampf mit Chinesen verletzt woprden sind.
Im Militärspital in Leh in der Ladakh ERegion traf Modi Soldaten, die beim Kampf mit Chinesen verletzt woprden sind.
Bild: Keyxstzone

In der indischen Öffentlichkeit hat der Vorfall zu einem Aufschrei und einem Boykottaufruf gegen chinesische Produkte geführt. Weil die Chinesen angeblich nagelbeschlagene Eisenstangen benutzt haben sollen, rüstet Indien nun seine Truppen mit Schlagwerkzeugen aus und hat 12'000 Arbeiter in die Region entsandt, um die Strasse fertigzustellen.

Indien antwortet zu Lande, zu Wasser und in der Luft

Vor einer Woche berichtete die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf chinesischen Medien, dass Peking seine Truppen vor dem Scharmützel im Galwan-Tal mit Bergsteigern und Kampfsportlern verstärkt habe, die in Lhasa zusammengezogen worden seien. Die neuen Soldaten sollten «die Grenze stärken und Tibet stabilisieren».

Indien antwortet nun mit der Verlegung seiner Spezialtruppe Ghatak in die Krisenregion. Ausserdem heizt die Entsendung indischer T-90 Panzer und von Artilleriegeschützen in den Himalaya die Lage weiter an. Derweil bleibt die Situation an der Demarkationslinie weiter extrem gespannt, berichtet «The Hindu»: Chinesen und Inder stünden sich nach wie vor «Auge in Auge» gegenüber.

Auf internationaler Ebene hat der Vorfall auch bereits Wirkung gezeigt: Am Wochenende hat die indische Marine Manöver mit japanischen Kriegsschiffen durchgeführt. «Wir müssen unseren Freunden nah sein», kommentierte Vizeadmiral Pradeep Chauhan die Übung vielsagend. Und während das reich der Mitte jegliche Einmischung ob in Tibet oder Hongkong verbittet, finanziert es im Nachbarland Myanmar angeblich Oppositionstruppen, wie «The Hindustan Times» berichtet.

Aufrüstung im Pazifik

Die beiden Staaten haben ausserdem beschlossen, den Austausch von Geheimdienst-Informationen im Verbund mit Australien und Grossbritannien zu intensivieren. Dass auch die USA dabei sind, versteht sich von selbst: Washington ist laut «New York Times» der eigentliche Adressat von Chinas Aggressionen ist.

Und Amerika mischt sich weiter ein: Das Pentagon denkt über die dauerhafte Stationierung von knapp 10'000 Soldaten in der Region nach. Laut «Deccan Herald» sollen Piloten aus Indien und Japan auf der US-Insel Guam im Pazifik Fortbildungen machen. Ausserdem verstärkt die Navy im Südchinesischen Meer ihre Seeraum-Überwachung aus der Luft und hält selbst demnächst ein Manöver mit zwei Flugzeugträgern ab.

Die USS Ronald Reagan wurde ins Südchinesische Meer bewordert.
Die USS Ronald Reagan wurde ins Südchinesische Meer bewordert.
Bild,: Keystone

Zuvor hatte die US Navy auch mit der australischen Marine geübt. Der fünfte Kontinent ist ein gutes Beispiel dafür, wohin Pekings aggressive Aussenpolitik führt: Premierminister Scott Morrison hat gerade angekündigt, in den nächsten zehn Jahren 255 Milliarden Franken in die Verteidigung zu investieren. China antwortete, man sei «vorbereitet auf militärische Provokationen von Australien.»

Provoziert fühlt sich Peking auch von Indien – und die bilaterale Stimmung bleibt schlecht, nachdem nun die tibetischen Exilregierung Neu-Delhi zu mehr Engagement gegen China aufgerufen hat. Fazit: Die Liste der Feinde Chinas wird dieser Tage anscheinend immer länger. Fest steht jedenfalls, dass eine weitere Aufrüstung des Pazifiks die Folge jener Diplomatie ist.

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