Aluhut als «Helm des Vaterlandes» Künstler legt russische Lehrer und Lehrerinnen rein

Von Philipp Dahm

13.11.2024

«Helm des Vaterlandes»: Lehrerinnen aus dem Oblast Worionesch schmücken sich mit Aluhüten.
«Helm des Vaterlandes»: Lehrerinnen aus dem Oblast Worionesch schmücken sich mit Aluhüten.
Screenshot: Telegram/ula_bo

Russische Lehrerinnen preisen den «Helm des Vaterlandes» – den Aluhut. Sie wähnen sich im Dienst der guten Sache – dabei hat ein Künstler aus Belarus sie reingelegt. Der will blinden Gehorsam vorführen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Sieben Schulen in Woronesch reagieren auf einen offiziellen Aufruf, Aluhüte gegen den Feind anzufertigen.
  • Dass sie das Ganze filmen sollen, verrät, dass nicht der Kreml, sondern ein Künstler und Aktivist aus Belarus dahintersteckt.
  • Wladislaw Bochan hat schon ähnliche Aktionen gebracht, bei denen er Schulen hereinlegte, um sinnlosen Gehorsam zu entblössen.
  • Bochans Leitlinie sind die 14 Merkmale aus Umberto Ecos Essay «Urfaschismus».

Es sind fünf Lehrerinnen, die alle eine russische Fahne in der Hand halten. Das Absurde sind die Aluhüte auf ihren Köpfen. Auch auf ihnen prangt die weiss-blau-rote Flagge.

Dann spicht eine der Damen. Sie sagt in die Kamera: «Die Herstellung unserer Aluhüte ist nicht nur eine kreative, sondern auch eine patriotische Tätigkeit. Diese Hüte symbolisieren den Schutz unseres Heimatlandes vor dem Feind. Sie sind ein Symbol der Einheit und Widerstandsfähigkeit angesichts externer Herausforderungen für unser Land.»

Die Lehrerinnen meinen das ernst. Sie glauben, nur eine offizielle Anordnung zu befolgen. Diese hat dazu aufgefordert, die Aluhüte als «Helm des Vaterlandes» anzufertigen, der sie «gegen ausländische Feinde schützen» soll. Mit Videos und Bildern sollten sie belegen, was sie getan haben.

Das tun diese Frauen aus dem Oblast Woronesch: «Lasst den Helm, den ihr mit euren eigenen Händen macht, zu einem Mittel des Schutzes unseres wundervollen Landes gegen die ausländischen Feinde werden», wird eine Lehrerin zitiert. Sie weiss nicht, dass sie auf einen Streich hereingefallen ist.

Umberto Ecos «Urfaschismus» als Leitlinie

Nicht Moskau hat die Schulen zu der sonderbaren Aktion aufgefordert, sonder ein Aktivist und Künstler aus Belarus. Wladislaw Bochan hat seinen Schwindel am 9. November auf seinem Telegram-Kanal öffentlich gemacht: Sieben Schulen sind seinem Ruf gefolgt. Zwei davon haben dabei Kinder in das Aluhut-Basteln eingebunden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Bochan Russland derart narrt. Der Exilant verfolgt eine Agenda: Er will mit seiner Aktion aufzeigen, wie weit der Faschismus in Russland fortgeschritten ist. Bochan orientiert sich dabei an dem Essay «Urfaschismus» von Umberto Eco aus dem Jahr 1995, das diesem Phänomen 14 Merkmale zuweist.

Ablehnung der Moderne, Angst vor Differenz und Irrationalismus sind drei jener Faktoren, die hier passen. Zumindest zeugt das Befolgen der falschen Aluhut-Order von einer gewissen Hörigkeit in der russischen Gesellschaft. Die nimmt der Belarusse immer wieder ins Visier: 2022 macht er sich bei Schulen in Smolensk selbst zum Thema.

Wie Bochan vorgeht

Bochan schreibt den Schulleiter*innen von einer Verleihung des Titels «Held der Russischen Föderation»: Kinder müssen Schilder mit seinem Porträt und Sprüchen wie «Wladislaw ist unser Held! und «Wladislaw ist unser Stolz!» anfertigen.

Im Juni 2022 lässt der Aktivist Lehrer und Schüler in einem Moskauer Vorort Müll sammeln – und den plakatierten Mottos «Arbeit macht frei» und «Ein Volk, eine Nation, ein Herrscher», die die Nazis ersonnen haben. Im August 2023 sorgt Bochan dafür, dass eine religiöse Prozession in Kursk unter den Slogans «Alles für Russland», «Wir sind Russen» und «Gott ist mit uns!» stattfindet.

Das Vorgehen ist stets ähnlich: Bochan gibt sich als eine Institution aus. Im letztgenannten Fall schrieb er als regionaler Vertreter der Putin-Partei Einiges Russland die Schulen an. Ein erstes Schreiben sei ignoriert worden, berichtet der Aktivist.

Im Juli 2021 aus Belarus geflohen

Also habe er in einem zweiten damit gedroht, dass die Schulen, die nicht mitmachen würden, sich dem Gouverneur gegenüber erklären müssten. Lehrende von drei Dorfschulen hätten daraufhin bei seiner Aktion mitgemacht.

Der Belarusse musste seine eigene Heimat vor drei Jahren verlassen. «Im Juli 2021 wurde ich wegen Teilnahme an einer Protestkundgebung verhaftet und nach Hause geschickt, um auf meinen Prozess zu warten, der am nächsten Tag stattfinden sollte», erzählt er Radio France. «Aber ich wollte das Risiko einer Gefängnisstrafe nicht eingehen.»

Weil er zuvor an Demonstrationen gegen Lukaschenko teilgenommen hatte, droht ihm eine lange Haftstrafe. Bochan flieht mit seiner Ex-Frau und ihren beiden Kindern über Russland und die Ukraine nach Polen.

Darum hat der Künstler kein Mitleid

«Das System sorgt dafür, dass die Menschen nicht nachdenken, sondern nur eines tun: ausführen. Ausführen mit Freude und guter Laune», erklärt der Künstler und erinnert an eine Aktion von Oktober 2023, als er russische Schulen aufforderte, sich für Putins Geburtstag mit Zitaten zu filmen. Die kamen aber nicht von russischen Patrioten, sondern dem verhassten Ukrainer Stepan Bandera.

«Das zeigt, dass ihre Ideen, ihre kriegerischen Slogans, nur heisse Luft sind», sagt Bochan. «Sie wissen nicht einmal, wie der Feind aussieht, gegen den sie angeblich kämpfen.» Mitleid mit seinen Opfern habe er nicht. «Man muss verstehen, dass in Russland und Belarus die Schule nicht Teil des Bildungssystems, sondern eines propagandistischen Systems ist.»

Bochan will auf die Mechanismen des Autoritären hinweisen – doch die Hoffnung, dass seine Heimat Belarus aus der Diktatur herauskommt, die sie im Griff hält, hat er aufgegeben.

Militärischer Beistand: Nordkorea ratifiziert Abkommen mit Russland

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STORY: Nach Russland hat auch Nordkorea ein strategisches Verteidigungsabkommen beider Länder ratifiziert. Das meldet die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Das Abkommen verpflichtete beide Länder, sich im Falle eines Angriffs einer dritten Partei gegenseitig militärische Hilfe zu leisten. Der Pakt trete in Kraft, wenn beide Seite die Ratifizierungsurkunden austauschen würden, meldete das staatliche koreanische Fernsehen. Der russische Präsident Wladimir Putin und Nordkoreas Machthabe Kim Jong Un hatten das Abkommen im Juni auf den Weg gebracht. Kim sprach damals von einem Schritt, der die bilateralen Beziehungen zu einer Art «Allianz» aufwerte. Hintergrund dürfte auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine sein. Nordkorea hat nach westlichen Geheimdienstangaben bereits 10.000 Soldaten nach Russland entsandt. Sie könnten Teil einer Offensive in der russischen Region Kursk werden. Das ukrainische Militär hat dort nach einem Vorstoss im Spätsommer Gebiete unter seine Kontrolle gebracht.

13.11.2024