Patriots für die UkraineDarum pfeift Biden jetzt auf Putins Drohungen
Oliver Kohlmaier
22.12.2022
Selenskyj: Patriot-System wird ukrainische Luftabwehr «signifikant stärken»
Selenskyj: Patriot-System wird ukrainische Luftabwehr «signifikant stärken»
21.12.2022
Die Lieferung von Patriots an Kiew hatte US-Präsident Biden bislang ausgeschlossen. Nun schickt er die schlagkräftigen Flugabwehrsysteme doch in die Ukraine. Was steckt dahinter?
Oliver Kohlmaier
22.12.2022, 17:26
Oliver Kohlmaier
Drohungen sind ein fester Bestandteil von Putins Strategie im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mit ihnen versucht Russlands Präsident unter anderem, den Westen von der Unterstützung Kiews abzuhalten. Auch vor drastischen Drohungen schreckt er er dabei nicht zurück — etwa dem möglichen Einsatz von Atomwaffen.
«Putin hat die nuklearen Drohungen während des Krieges strategisch eingesetzt, indem er die Rhetorik manchmal verschärft und manchmal abgeschwächt hat, je nach Bedarf», schreibt der Militär-Experte Alexander Bollfrass vom ETH Center of Security Studies auf Anfrage von blue News.
Zur Person
zVg
Dr. Alexander Bollfrass hat im kalifornischen Berkeley Politikwissenschaften studiert und an der Princeton University promoviert. Er war unter anderem am Davis Center der Harvard University sowie beim Think-Tank Stimson Center tätig, bevor er ans Center for Security Studies der ETH Zürich ging.
Putins Plan geht durchaus auf. So weigert sich etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in Sorge vor einer Eskalation beharrlich, der Ukraine die ersehnten Leopard-2-Kampfpanzer zu liefern.
Und bereits als die ersten Gerüchte zur möglichen Patriot-Entsendung kursierten, kam eine giftige Warnung aus dem Kreml. Dies sei ein «weiterer provokativer Schritt», hiess es. Die USA würden sich laut Aussenamtssprecherin Maria Sacharowa immer tiefer in den Ukraine-Krieg hineinziehen lassen — «mit allen daraus folgenden Konsequenzen».
Biden schien das nicht zu beeindrucken.
Militärisch kein Game-Changer
Nach dem Besuch Selenskyjs im Weissen Haus schlug Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in dieselbe Kerbe. Den USA gehe es darum, «ihre Linie fortzusetzen und de facto indirekt mit Russland bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen», sagte er.
Auch wenn die Patriot-Systeme Expert*innen zufolge militärisch wohl kaum eine Wende bringen werden: Mit der Lieferung an die Ukraine überschreitet US-Präsident Joe Biden eine selbst gesteckte Grenze. Woher also kommt der Sinneswandel?
Drohungen bei Ukrainern «am wenigsten wirksam»
Bollfrass schreibt, bei der Entscheidung der USA dürften mehrere Faktoren eine Rolle gespielt haben, nur wenige davon seien von aussen sicher abzuschätzen:
Die USA hätten lange Zeit erklärt, dass das Patriot-Raketenabwehrsystem kompliziert zu bedienen sei und eine lange Ausbildung erfordere. «Es ist möglich, dass einige Ukrainer in den letzten Monaten die erforderliche Ausbildung erhalten haben», vermutet der Politikwissenschaftler.
Putins Drohungen betrachtet der Forscher indessen durchaus noch immer als wirksam. Zumindest wenn es darum gehe, «die Art der militärischen Unterstützung einzuschränken, welche die USA bereit sind zu geben». Zudem gestalte Putin mit seinen Drohungen die politische Reaktion in Westeuropa, erklärt Bollfrass und fügt hinzu: «Am wenigsten wirksam waren die Drohungen bei den Ukrainern selbst.»
Sinneswandel durch Putins Raketen-Terror?
Dass die Patriots nun doch in die Ukraine gehen, hat Putin nicht zuletzt selbst provoziert. Denn die Lieferung modernster Luftabwehr-Systeme ist wiederum eine Reaktion auf eine Eskalation Putins.
Seit Monaten fliegen Raketen, Drohnen und Bomben auf die ukrainische Energie-Infrastruktur mit dem Ziel, im Winter den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen.
Bollfrass zufolge könnten russische Drohnen- und Raketenangriffe auf die kritische Infrastruktur die Dringlichkeit erhöht haben, die ukrainischen Luftabwehrfähigkeiten zu verbessern. Hinzu kommt: «Die Ukraine erwartet einen massiven russischen Angriff im Januar, was weiter zur Dringlichkeit beiträgt.»
Ob die Patriot-Luftabwehr indessen ihre Stärken ausspielen kann, wird sich noch zeigen müssen. Das russische Militär wird natürlich ein taktisches Interesse daran haben, Luftabwehr-Systeme wie die Patriots ins Visier zu nehmen, schreibt Bollfras und fügt hinzu: «Sie wollen zeigen, dass die militärische Unterstützung aus Amerika verwundbar ist.»