Politiker*innen im Style-Check«Typisch Schweizer: nicht zu bünzlig, nicht zu frech»
Von Bruno Bötschi
17.4.2022
Schweizer Politiker*innen im Style-Check // Jeroen van Rooijen: «Es herrscht ein Gesetz der Mittelmässigkeit»
Ob klassisch oder modern, eher graue Maus oder bunter Hund: Bei den Schweizer Politiker*innen ist alles dabei. Der Mode- und Stilexperte Jeroen van Rooijen hat ihre Outfits für blue News beurteilt.
29.03.2022
Einem Parteipräsidenten rät er zu einer neuen Krawatte, und das hält er von Politikerinnen in Anzügen: Der Mode- und Stilexperte Jeroen van Rooijen beurteilt die Outfits von National- und Ständerät*innen.
Von Bruno Bötschi
17.04.2022, 07:15
20.04.2022, 13:04
Bruno Bötschi
Hin und wieder könnten sie einem fast leidtun. Den Objektiven der Fotograf*innen entgeht kaum ein modischer Ausrutscher. National- und Ständerät*innen stehen im Rampenlicht – und dann müssen sie sich auch noch anhören, dass sie falsch angezogen seien.
Aber was ist falsch? Und was richtig?
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Wolfgang Joop reklamierte Ende vergangenen Jahres über den Kleiderstil des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz und seinem Minister Robert Habeck im «Spiegel»: «Diese Leute versinken schon in optischer Ohnmacht, bevor sie überhaupt angetreten sind.»
Auch im Bundeshaus in Bern sorgt die Mode immer wieder für Diskussionsstoff. Unvergessen ist der Auftritt von SP-Nationalrätin Anita Fetz, die 2001 in einem roten und mit Schweizerkreuz bedruckten Kurzarm-T‑Shirt für den UNO-Beitritt warb. Zu reden gab auch EVP-Nationalrat Heiner Studer, der im Sommer 2005 mit Shorts ins Bundeshaus marschierte.
Ich zeige dir in alphabetischer Reihenfolge jeweils ein Bild eines Parlamentariers. Nach kurzer Bedenkzeit möchte ich von dir jeweils eine kurze Einschätzung zum Outfit hören.
Thierry Burkart, Präsident FDP
«Mamma mia, das ist ja ein cooles Bild. Herr Burkart sieht darauf wie ein Dressman aus. Sein Mantel hat die richtige Länge, das Halstuch passt wunderbar und auch die Tasche gefällt mir sehr gut. Nur die Schuhe sind etwas zu spitz – und verraten so doch, dass der Träger aus dem Kanton Aargau kommt. Trotzdem: Dieser Mann ist für die FDP ein Gewinn – modisch ganz sicher.»
Marco Chiesa, Präsident SVP
«Andiamo a chiesa! (auf Deutsch: Lass uns in die Kirche gehen!) Herr Chiesa sieht in seinen Anzügen oft ein bisschen verkleidet aus. Vielleicht will er damit älter aussehen, als er in Wirklichkeit ist? Immerhin hat er ein hübsches Poschettli eingesteckt. Er scheint also nicht ganz beratungsresistent zu sein. Vielleicht ist das ein Hinweis darauf, dass auch innerhalb der SVP eine subtile Modernisierung stattfindet.»
Balthasar Glättli, Präsident Grüne
«Jesses, Herr Glättli sollte dringend zum Coiffeur gehen. Dieser Mann muss eine sehr volle Agenda haben, dass er keine Zeit findet, sein Resthaar wenigstens ein bisschen in Form zu bringen. Immerhin hat er es geschafft, beim Optiker eine halbwegs zeitgemässe Brille zu kaufen. So, wie er auf dem Bild aussieht, stelle ich mir den typischen Schweizer Mann vor: nicht zu bünzlig, nicht zu frech. Aber warum geben sich diese Typen derart schmucklos? Wenn schon keine Krawatte, dann könnte man es doch mindestens mit einem Einstecktuch versuchen.»
Jürg Grossen, Präsident GLP
«Die Farbe des Anzuges gefällt mir gut. Es muss nicht immer Dunkelblau sein. Die Länge der Hosen hingegen ist weder Fisch noch Vogel und die Manschetten schauen zu weit raus. Ich vermute, Herr Grossen trägt einen normalen Konfektionsanzug, dabei müsste er eine sogenannte ‹Langgrösse› tragen. Die kontrastierenden Hemd-Knöpfe sehen provinziell aus. Sorry, dieser Gag ist durch. Ich hoffe, er hat dieses Hemd mittlerweile entsorgt.»
Mattea Meyer und Cédric Wermuth, Co-Präsidium SP
«Frau Meyer und Herr Wermuth bringen neuen Schwung in die Schweizer Politik. Nicht nur, weil sie die SP im Co-Präsidium leiten, sondern weil sie auch modisch neue Akzente setzen – und für eine deutliche Verjüngung des gefürchteten Berner Chic fédéral sorgen.
Frau Meyer entspricht dem, was die meisten Schweizer*innen unter dem Attribut ‹sportlich-elegant› verstehen. Es ist die meistgehörte Selbsttypisierung hierzulande. Der Blazer elegant, die Jeans und die Sneaker sportlich. Ich würde sagen, so ziehen sich 65 Prozent der Schweizer Frauen am. Sprich: Wenn ich mit meinem Look 65 Prozent der Wähler*innen erreichen kann, ist das gut.
Herr Wermuth ist ein gutaussehender Typ mit Bart, der ordentlich angezogen ist. Obwohl ich finde, ihm würde noch ein bisschen mehr Mut in Sachen Mode gut stehen. Wie schon einmal gesagt: Es muss nicht immer ein dunkler Anzug sein.
Fazit: Für mich ist das Duo Meyer/Wertmuth einer der Hoffnungsschimmer, dass sich die modische Muffigkeit irgendwann doch noch aus dem Bundeshaus rauspusten lässt.»
Gerhard Pfister, Präsident Die Mitte
«Herr Pfister ist sozusagen die Verkörperung des Chic fédéral. Sein Tschoopen und die Krawatte sehen so aus, als würde er sie schon etliche Jahre besitzen. Er scheint ein sparsamer Mann zu sein, der seine Kleider austrägt. Und er ist sicher kein Mensch, der gern shoppen geht. Wie viele Männer in seinem Alter hat er eine ‹gemütliche Mitte›, trotzdem könnte er mehr aus seinem Äusseren machen – allein schon wegen seines Charakterkopfes.»
Das waren also die Präsident*innen der wichtigsten Schweizer Parteien. Ich zeige dir nun noch vier Bilder von prominenten Schweizer Politikerinnen, damit das Verhältnis zwischen Frauen und Männern einigermassen ausgeglichen ist.
Petra Gössi, Nationalrätin FDP
«Wow, der Anzug von Frau Gössi sitzt nicht nur gut, er ist auch total zeitgemäss. Es ist eine Ableitung eines klassischen Herrenanzuges, sieht aber feminin aus. Trotz der schmucklosen, sportlichen Note ist der Anzug frisch und überraschend. Damit kommt in Bundesbern ein modisches Thema zur Sprache, das ich bisher oft vermisst habe – ein Mix aus Klassik und Sportswear.»
Tamara Funiciello, Nationalrätin SP
«Aus dem Auftritt von Frau Funiciello lese ich eine gewisse Robustheit und Kantigkeit. Sie ist eine Frau, die wahrscheinlich immer Hosen trägt. Sie gehört wohl auch zu den Sozi-Fashion-Kostverächter*innen. Davon gibt es einige, denn im linken Millieu gilt modisches Bewusstsein eher als Pfui. Dabei hätten diese Menschen den Bildungsstand, das Umfeld und auch das Budget, um sich etwas interessanter zu kleiden.»
Magdalena Martullo-Blocher, Nationalrätin SVP
«Der Kleiderstil von Frau Martullo-Blocher ist dem von Bundesrätin Viola Amherd nicht unähnlich. So wird das in der Schweiz auf dem Land gemacht: Frau trägt einen bunten Blazer, dazu ein Top und eine mehr oder weniger freche Hose. Aber immerhin hat sie das blaue Farbkonzept von oben bis unten durchgezogen.»
Regula Rytz, Nationalrätin Grüne
«Frau Rytz machte bei mir in den vergangenen Jahren immer wieder Eindruck. Ich habe das Gefühl, sie ist im Einklang mit sich, aber auch ihrem Kleiderschrank. Sie ist auf entspannte Art feminin angezogen; für eine grüne Politikerin schon fast ein bisschen konservativ. Dieser Look kann gerade für eine Linke ein Türöffner sein.»
Fazit: Findest du, unsere National- und Ständerät*innen kommunizieren gut mit ihrem Textil?
Fakt ist, viele National- und Ständerät*innen ziehen sich ausgesprochen ländlich an – möglicherweise ist das auch gewollt. Unsere Parlamentarierer*innen sind ja Kantonsvertreter*innen. Als ich vor Jahren schon einmal einen Style-Check im Bundeshaus gemacht haben, fiel mir zudem auf: Politiker*innen aus dem rechten Spektrum reden viel lieber über Mode als jene aus dem linken Lager.
Woran könnte das liegen?
Vielleicht hat es damit zu tun, dass für linke Politiker*innen die Mode ein Teil der beargwöhnten Konsumkultur ist und es deshalb kein wichtiges Thema ist. Hingegen erinnere ich mich noch gut daran, wie ich mit einigen SVP-Vertretern intensiv über die richtige Krawattenbreite und -länge diskutiert habe.
Forscher*innen der Universität Bern schauten sich 2018 die Kleiderwahl in Bundesbern etwas genauer an: Untersucht wurde, inwiefern sich Kleidung auf das Repräsentationsverständnis von Parlamentariern auswirkt. Die Forscher*innen umschrieben das Aussehen der Politiker wie folgt: «Dunkler Anzug, schlichte Krawatte, dezente Anstecknadel gilt als die heilige Dreifaltigkeit.»
Die Politik sucht immer nach Mehrheiten – insofern ist das konservative Modeverhalten unserer National- und Ständerät*innen nachvollziehbar. Gleichwohl finde ich es nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber wahrscheinlich fürchten viele Parlamentarier*innen, zu viel Eleganz könnte verdächtig wirken.
Joschka Fischer wollte 1982 ebenfalls etwas mit seinem Aussehen ausdrücken: Der Politiker der damals jungen Anti-Establishment-Partei Die Grünen legte den Amtseid zum hessischen Umweltminister in Jeans und weissen Turnschuhen ab.
Solche modischen Botschaften fehlen fast gänzlich im Schweizer Politbetrieb. Es hat sich alles in einer braven Mitte nivelliert. Die meisten grünen Politiker*innen würden heute kleidermässig als Vertreter*innen der FDP durchgehen. Das finde ich schade.
Designer Wolfgang Joop sagte im «Spiegel»: «Wenn einer sich schlampig anzieht, denkt er auch schlampig.»
Es gibt ganz viele brillante Denker*innen, die sich nichts aus Mode machen. Deshalb würde ich nie wegen einer miesen Kleiderwahl auf einen schlechten Charakter schliessen. Gibt sich allerdings ein Mensch überhaupt keine Mühe, was sein Äusseres betrifft, ist das irgendwann eine Unhöflichkeit, nein, Respektlosigkeit seinen Mitmenschen gegenüber. Denn man zieht sich nicht nur für sich selber an, sondern auch für andere.
Bötschi besucht Film-Ausstatter Jost: «Für ‹Papa Moll› brauchten wir viel Nutella und Gleitcrème»
Er zieht seine Fäden sprichwörtlich hinter den Kulissen: Rudolf Jost ist zuständig für die Kostüme von Fernseh- und Filmproduktionen. Ein Besuch in seinem Atelier in Zürich – inklusive Anprobe eines Fatsuits.
07.02.2022
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